Die vierzig englische Meilen von Baltimore nach Washington fuhr ich in anderthalb Stunden. Der Wagen rasselte, ...

XIV.
Washington.


Die vierzig englische Meilen von Baltimore nach Washington fuhr ich in anderthalb Stunden. Der Wagen rasselte, die Schienen zischten und schrien, die Räder sprangen auf und ab, aber immer ging es reißend vorwärts. Zudem war es dunkler Abend, und ich konnte die Bilder von dem nicht verscheuchen, was ich schon an zerlöcherten Brücken und emporstehenden Schienen auf amerikanischen Eisenbahnen gesehen hatte. Man wird zwar in Amerika bald etwas gleichgültig gegen sein bischen Leben, aber diesmal freute ich mich doch, als wir glücklich in Washington waren.


Daß diese Stadt seltsam aussieht, ist bekannt. Ueberblickt man sie von der Höhe des Kapitols, so ragen hier und dort, weit von einander, Staatsgebäude auf, hoch und machtvoll als wären sie für Riesen gebaut, und dazwischen in den meilenlangen Straßen sucht das Auge zwischen kleinen Wohnungen und Schuppen oder in weiten Häuserlücken umher. Es stehen dort zwar genug stattliche Wohnhäuser, aber sie verschwinden ganz gegen die Größe der öffentlichen Gebäude und in der Weite der Straßen und Plätze. Das Ganze nimmt sich aus, als habe man sich nach einer Feuersbrunst eben dürftig wieder angesiedelt, und sei nun erst mit den paar großen Häusern fertig geworden, zum Zeichen, was die ganze Stadt werden solle. Diese wird aber unfertig bleiben, der Handel, auf dessen Goldströme sicher gerechnet wurde, hat sie links liegen lassen, und Könige, die durch ihr Machtwort Residenzen schaffen, giebt es in Amerika nicht. Die Kattenburg in Kassel macht einen ähnlichen Eindruck des Großartigen und Unvollendeten wie diese Bundesstadt, welche die Amerikaner „die Stadt der weiten Alleen“ nennen, um damit zu sagen, es gäbe mehr Straßen dort als Häuser.

Was aber an Staatsgebäuden steht, das ist alles majestätisch aufgerichtet, würdig der Größe des Bundesstaats, der weite Länder und Meere beherrscht. Eine stolzere Säulenhalle als vor dem Schatzkammergebäude giebt es nur noch in den Ruinen der griechisch-sicilischen Städte. Das Kapitol ist eines der prachtvollsten Bauwerke auf der Welt; im Einzelnen stört zwar, namentlich in den Aufsätzen der Seitenflügel, manches Unharmonische, aber das Ganze hat ein stolzes und gewaltiges Ansehen, und man hätte dafür keine gebietendere Anhöhe finden können, als auf der es steht. Aus den Fenstern der Kongreßsäle streift das Auge über dunkle Waldhöhen und über die spärlich bebaute Küste hinweg auf die glänzende Bai. Von der Kuppel des Kapitols ist die Aussicht besonders herrlich. Am Abend, wenn die felsige, halböde Küstenlandschaft durch die dunkeln Schatten noch einsamer wird und nur das Abendroth noch auf den Gewässern funkelt, überschleicht den Beschauer ein Gefühl von Größe und Wehmuth. Die frische Aussicht auf die Bai aber, welche man von allen Höhepunkten der Stadt hat, bleibt den ganzen Tag reizend. Wasser, Waldgrün, Himmelsbläue erhält das Herz heiter, und die reine Luft, welche von der See herüber weht, die Brust gesund. In der Sommerhitze ist indessen auch Washington mit Fiebern heimgesucht.

Das Innere des Kapitols ist bei weitem nicht so hell und hoch, als man es sich draußen vorstellt, der untere Theil scheint zu Gruftkapellen angelegt. Der Repräsentantensaal ist prächtig, aber doch behaglich eingerichtet; jedes Mitglied hat seinen eignen Schreibpult mit Kasten und Schloß vor sich. Es sieht dort etwas verbraucht aus, wie in den meisten öffentlichen Räumen, wo Amerikaner wirthschaften. Der Saal der Senatoren, dessen Decke von jonischen Marmorsälen betragen wird, zeichnet sich aus durch eine edle Einfachheit. Die Zuschauergallerien sind verhältnißmäßig enge gegen den Raum für die Berichterstatter der Zeitungen; diese sollen ja dem ganzen Volke alles treulich wiedergeben, selbst die unermeßlich langen Reden, welche hier Ohren und Wände ermüden. Bei feierlichen Gelegenheiten aber gestattet man auch Zuschauern den Eintritt in den innern Saal, gerade wie in der Paulskirche, als der Reichsverweser eingeführt wurde. Von ängstlicher Polizei ist keine Spur zu sehen, ohne daß die Würde der Versammlung darunter litte. Aber die Zuhörer, wie die Abgeordneten selbst, stören die Stille nie durch Klatschen oder Mißfallszeichen. Vor den Augen haben die Vertreter des Volkes Darstellungen der wichtigern Ereignisse und Persönlichkeiten im Feld und Parlament, auf welche sich die nationale Größe gründet. Die Portraits auf Oberst Trumbulls Schlachtgemälde sehen uns an als wenn sie lebten; sie sollen wirklich treu sein, der Oberst hatte miterlebt was er darstellte. Da ihm aber Stellung und Ausdruck der einzelnen Personen vorgeschrieben wurde, gleich wie Leute, die von der Kunst wenig verstehen, zum Maler sagen, „lieber Maler, male mir,“ so war auch an künstlerische Auffassung nicht zu denken. Es geht durch all die Kunstwerke, welche man in Washington sieht, der stolze Gedanke. wir sind die freien Männer von ganz Amerika. Was aber den Kunstwerth betrifft, so könnte man beinahe sagen: nur was Nichtamerikaner gemacht haben, ist gut. Die einheimischen Künstler sahen es einfach als ein Recht an, daß man ihnen die Kunstwerke in der Nationalstadt übertrage, nicht weil sie große Meister, sondern weil sie ächte Landessöhne seien, ja sie hielten es wohl gar für schädlicher, daß eines fremden Künstlers Hand ein Nationalwerk vollende, als daß ein eingeborner Künstler es verunstalte. Hat ein ächter Amerikaner nach fremden Mustern den reinsten Plan zu einem Kunstwerk entworfen, so scheint ihn zuletzt jedesmal ein häßlicher Kobold in den Nacken zu stoßen, daß er auch von seinen eigenen Ideen etwas hinzuthun müsse, und dann wird irgend etwas daran verändert oder angehängt, was so seltsam ist, daß man sich des Lachens nicht enthalten kann, wenn das Werk fertig ist.

So hängt auch dem Kapitol und den meisten übrigen Staatsgebäuden in Washington etwas Kurioses an, was die Harmonie stört, man übersieht es jedoch vor dem mächtigen Eindruck, den das Ganze macht. Bange aber wird jeder Fremdling, wenn ihm solche Bauungethüme entgegentreten, wie das tortenartig aufgewundene Gebäude des großen Smithson’schen Instituts, oder die Kastenform des Generalpostamts, das ist jedenfalls rein amerikanisch. Noch mehr spaßhaftes Unglück verfolgte die einheimischen Künstler bei ihren Statuen. Das amerikanische Volk hatte vom Jupiter gehört; nun mußte es doch einen Jupiter für sich allein haben, also wurde der gute Washington, der sich nicht über das Maaß eines wahrhaft edeln, verständigen, ausdauernden Mannes erhebt, zum Privat-Jupiter, Domestic Jupiter nennen sie ihn. Greenough setzte ihn nun nach dem Vorbilde des olympischen Jupiters in kolossaler Ausdehnung auf einen Sessel, aber nicht in einen Tempel, sondern in den Park. Der weiße Marmor ist sehr schön, jedoch nicht viel besser behandelt, als hätten unsere Künstler untern Ranges aus Sandstein eine große Gartenfigur zugehauen. Washington reicht mit der Rechten ein Schwertchen dar und weist mit der Linken zum Himmel, als wollt er sagen. „Hier nehmet das Schwert und Gottes Rache trifft euch, wenn ihr es unrecht brauchet.“ Das kann man sich allenfalls aus der Ferne gesehen dabei denken, obgleich man auch da nicht recht begreift, warum Washington eigentlich so viel lächelt und warum er so viel nackt ist. Kommt man aber näher, so meint man, er käme eben aus dem Bade und fragte freundlich drohend: „kommt denn keiner mich zu rasiren?“ Auf der großen Treppe zum Kapitol steht Persiko’s Columbus. Der Seeheld macht einen Seiltänzersatz, indem er mit einem Hurrah die kleine Kugel in die Höhe hebt, welche die gefundene zweite Erdhälfte vorstellen soll, und dabei stemmt er ganz natürlich die linke Hand auf den hintern Körpertheil. Nun aber schleicht sich noch eine Indianerin um ihn herum als sagte sie: „Gott behüte uns vor einem solchen Menschen.“ Sie hat einen förmlich verdrehten Leib und sieht von hinten ganz abscheulich aus, als hätte sie Eile dem Columbus ein Opfer ganz eigener Art darzubringen, wie ein Hündchen an einem Steinbilde. Dergleichen Zeug ist noch vielerlei aufgestellt.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band I