Das Gerichtshaus in Washington war damals vollgedrängt von Zuhörern: es wurde eine Verführungsgeschichte ...

XIV.
Washington.


Das Gerichtshaus in Washington war damals vollgedrängt von Zuhörern: es wurde eine Verführungsgeschichte verhandelt, in welcher hochstehende Männer spielten; der beleidigte Gatte hatte im Zorn den Verführer seines Weibes aufgesucht und niedergeschossen, und die öffentliche Meinung gab ihm Recht. Die Sache dauerte mehrere Tage und zog eine große Menge an, welche der Enthüllung von Geheimnissen lauschte, die ein wildes Gemälde von Leidenschaft entrollte. Aber keinen Augenblick wurde die Ruhe und Würde des Gerichtshofes gestört. Ich vertiefte mich unterdessen in die mancherlei Schätze des Patentamtes, welche in einem Gebäude von reinen Formen aufgestellt sind. Bunt durcheinander zeigen sich hier die Modelle zu all den Maschinen und Industrieerzeugnissen, für welche die Erfinder sich eilig ein Patent aus Washington holen, und wäre es auch nur eine neue Art von Rattenfallen. Das Patentamt hat aber nicht bloß die eingereichten Modelle, deren bald zwanzigtausend sein mögen, einzuregistriren, sondern es verfolgt auch mit Eifer und zum größten Nutzen des Landes die Aufgabe, alle Fortschritte in Handel und Ackerbau, in Technik und Gewerben zu merken und jährlich zu veröffentlichen. Darin wird es nicht bloß durch Civil- und Militär- Beamte unterstützt, sondern auch durch Private, welche aus bloßem Interesse für des Landes Ruhm und Vortheil ihre Aufzeichnungen und Vorschläge einschicken. Ebenso erhält die Nationalsternwarte von Bürgern der Vereinigten Staaten freiwillige Zusendungen aus allen Meeren und Ländern über naturwissenschaftliche Wahrnehmungen. Kein Kapitän im fernen Polarmeere, kein Wanderer im Felsengebirge, der nicht, wo ihm etwas Wissenswerthes auffällt, dabei an die Sternwarte in Washington oder an das dortige Smithson’sche Institut denkt, welches nach dem Willen seines Stifters auf großartige Weise „Vermehrung und Verbreitung des Wissens unter den Menschen“ zu seinem Ziele nimmt. Alles das ist ein Zeichen, wie warm und lebendig das Gemeingefühl dies große Volk durchströmt. und wie thätig auf allen Punkten seine Glieder mitwirken zum Besten ihres Landes.


Ein besserer Raum als der Modellkammer ist dem sogenannten Nationalmuseum gewidmet. In diesem findet man zu Vergnügen und Belehrung etwas von allen merkwürdigen und hübschen Sachen auf der Erde. Da sind zuerst Glaskasten mit dem Geschmeide englischer Königinnen, kostbare Säbel und Flinten, welche Admiräle und Präsidenten von orientalischen Fürsten erhielten und der Verfassung gemäß hier abgaben, Washington’s Kleidung und Feldgeschirr, unter welchem außer dem Theegeräth alles höchst einfach ist, Jackson’s Feldherrnzeug aus der Schlacht bei Neuorleans, Washington’s Oberfeldherrnbestallung, die Urschriften von Staatsverträgen mit amerikanischen und europäischen Mächten, an denen man die Staatssiegel und die Unterschriften bekannter Könige und Minister vergleichen kann. Das Merkwürdigste unter diesen ist die Urschrift der Unabhängigkeitserklärung. Man schrieb damals nicht sehr fein in Amerika, und sieht noch an den halbverblichenen Schriftzügen der Unterzeichner, wie bedächtig und wohlbewußt, von welch ungeheuren Folgen dieser Schritt sei, sie ihren Namen schrieben. Freilich, als zum erstenmal die öffentliche Unabhängigkeitserklärung im Kongresse gefordert wurde, waren viele Mitglieder in großer Seelenangst, wie man aus den Berichten damaliger Zeit noch deutlich entnehmen kann; aber der Mannesstolz stählt sich im Kampfe. Dann sind ferner da eine Menge indianischer Merkwürdigkeiten, Schädel, Götzen, Waffen und Putzsachen. In seinen Göttern und in seines Leibes Ausstaffirung legt jedes Volk zuerst an den Tag, was es in seinem Sinne am liebsten sein möchte. Der Neuseeländer drückt darin sein häßlich Gefräßiges, der Malaye sein Katzen- und Tigerartiges aus, der nordamerikanische Wilde schätzt Eigenschaften der vorzüglichern Raubthiere, die Indianer des stillen Ozeans zeigen sich als ein freundliches und geschicktes Völkchen. Auch einige hübsche Nachbildungen italienischer Madonnen sind im Saale aufgehängt; besonders gefiel mir eine mit dem ruhenden Kinde, man sieht den weichen Schlaf über sein Gesicht fließen. Ein deutscher Künstler, Pettrich, hat ein paar nicht schlechte Bildsäulen hingestellt; seine Washington-Statue ist unter den zahllosen Bildnissen dieses Vaters der Freistaaten noch eine der wenigen, welche von vernünftiger Auffassung zeugen; freilich muß auch hier der edle Feldherr seinen Mantel hinter sich ausbreiten, als stände er in einer großen Seemuschel.

Des Präsidenten Amtswohnung, das weiße Haus, zeigt sich einfach und freundlich, aber nicht ohne Würde. Es gleicht der Wohnung eines vornehmen Mannes, der in edlern Genüssen und in ausgewählter Gesellschaft lebt. Außer den Tagen, wo der Präsident seine Säle dem Strome der Besucher öffnet, hatte damals Polk noch kleinere Gesellschaftsabende. Die Präsidentin saß wie eine Königin von einem Halbkreise bildhübscher und lebhafter Frauen umgeben. Weil ihre religiöse Ansicht dagegen war, gab es zu ihrer Zeit keine Bälle im weißen Hause. Der Präsident unterhielt sich einfach und zwanglos in einem Kreise von Männern, die ihn mit hoher Achtung umgaben. Er schüttelt zwar jedem, der ihm vorgestellt wird, die Hand, er geht auch wieder, wenn seine Zeit aus ist, zum Volke zurück und nimmt vielleicht wie jeder andere Abgeordnete Platz im Kongresse, aber niemals gab es einen amerikanischen Präsidenten, der nicht sofort, als er in das weiße Haus einzog, die Würde und das Benehmen eines Fürsten mit dem Bewußtsein zu verbinden wußte, daß er nur der erste Bürger in seinem Volke sei.

Den höhern Staatsbeamten, deren einige ich auch in ihren Amtszimmern besuchte, ist eine gewisse Beamtenwürde nicht fremd, so einfach und freundlich auch ihr Benehmen ist. Es ist eine oft gemachte Erfahrung, daß der Beamte, sobald er einige Zeit in Washington gewesen, konservativ wird. Bei der Unterhaltung mit Fremden hören die Amerikaner von höherer Bildung, und es giebt ihrer viele eben so hochgebildete als humane Männer in Washington, ruhig zu, verbindlich aufmerkend und mit feinen unbewegten Gesichtszügen; wenn sie darauf ihre eigene Meinung sagen, dann wird Wort und Ausdruck lebendig bis zum Handeinschlagen. Ohne unaufhörliches Hervorheben der Schlagworte und ohne heftige Geberden der Hände und des Kopfes können überhaupt wenige Amerikaner sprechen. Das nationale Hochgefühl der Amerikaner merkt man besonders lebhaft unter den Mitgliedern der Bundesregierung. Einer der Herren sagte mir – es war gerade im mexikanischen Kriege, – ich müsse eilen ihr Land zu sehen, denn sonst würden sie noch so viel dazu erobern, daß die Reise zu lang würde. Ich sehe noch den kuriosen Blick, mit dem mir ein Unterstaatssekretär die Fächer zeigte, welche mit den Höflichkeitsschreiben europäischer Fürsten gefüllt waren.

Uniformen und Thürsteher erblickt man in Washington fast gar nicht. Auch auf der Werfte der Kriegsmarine gingen die Aufsichtsbeamten in gewöhnlicher, manchmal zerlumpter Kleidung. Aber dennoch merkt man bald, daß die Stadt ein Regierungssitz ist. Die Wagen rollen reichbespannt und mit hübsch gekleideten Kutschern, nicht bloß die Schwarzen, auch die Weißen sind höflicher als anderswo, und statt der rastlos drängenden Geschäftsleute zeigt sich hier eine Menge sorgfältig gekleideter Männer, welche scheinbar nichts zu thun haben. In Washington brandet das amerikanische Leben, welches so weite Wellen schlägt; die Staatsgeschäfte wie die Vergnügungen, die Leidenschaften wie die Kämpfe haben hier einen großartigen Zuschnitt. Man erzählt wilde Dinge von Liebe und Leidenschaft, von Spielhöllen, von kolossalen Bestechungen. Mit demselben Ungestüm, demselben Unternehmungsgeist, die der Amerikaner im Handel zeigt, werden hier die Staatssachen betrieben, es sind eben nur Geschäftsstreiche im Großen. Wer einmal im Kongreß sitzt, kann mit seiner Stimme und seinem Einflusse ansehnliche Geldgeschäfte machen. Mit den Zügen fahrender Frauen und Mädchen stellen sich daher gleich zu Anfang der Sitzungen auch ein Heer von Aemterjägern und andere ein, welche hier ihren Vortheil suchen. Die Stellenjägerei kann in der Welt nicht ärger sein als in Washington, weil eben weder Geburt noch Examen noch langer Dienst Anrechte zu einem Amte geben. Wer aber Dollars hat, hat Freunde. Auch darin, daß man auf solche Art ein Amt gewinnen muß, und nicht bloß in der nativistischen Abneigung gegen Deutsche liegt der Grund, weshalb deutsche Amerikaner verhältnißmäßig so gut wie gar nicht zu Washington in Staatsdiensten sind. Die Kongreßmitglieder lassen sich in den Sitzungen von Pagen bedienen, diese sind artig gekleidete Knaben aus den vornehmern Familien der Stadt, gewiß ein hübsches Ehrenamt, wenn die Knaben nur nicht täglich einen Dollar dafür nähmen. Der einflußreichste Deutsche in Washington, zugleich einer der geistvollsten Publizisten in Amerika, öffnete mir in seinem Zimmer zum Spaß seinen großen Wandschrank, mit Erstaunen sah ich darin eine ganze Apotheke von allerlei gebrannten Wassern. Einige Repräsentanten und Senatoren, namentlich aus den Südstaaten, liebten dergleichen im Vorbeigehen bei einem guten Freunde zu nehmen, der dann gesprächsweise allerlei Nützliches hörte.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band I