Das ganze übrige Straßengesindel bezeichnet man mit dem Namen Loafers. Dies sind die Herumtreiber, ...

XIII.
Loses Volk in Amerika und anderswo.


Das ganze übrige Straßengesindel bezeichnet man mit dem Namen Loafers. Dies sind die Herumtreiber, welche sich irgendwie Geld und Vergnügen zu machen suchen. Wo etwas zu sehen, zu sprechen, zu lärmen giebt, da sind sie die ersten dabei, und ihre größte Freude ist ein Massenaufzug mit viel Lärm und Spektakel. Die ruhigsten sind die „Loungers“ (Müßiggänger), vermögende Leute, welche kein Geschäft haben und sich die Zeit vertreiben wollen. Weil ihnen für geistige Beschäftigung Geschmack und Kenntnisse fehlen, so bleibt ihnen nichts übrig als an den Orten, wo Leute sich versammeln, Zerstreuung zu suchen. Schärfer in ihrem Wesen, jedoch noch vornehm, sind die „Blacklegs“ (Schwarzbeinige), so genannt, weil sie schwarze Beinkleider tragen; sie sind eine rohe Karrikatur des europäischen Dandy, Lion oder Flaneur, und die Hauptleute in den Spielhöllen und andern schlechten Häusern, machen des Nachts auch wohl einige Rowdystreiche. Was in den großen Städten manchmal eine kleine Schaar junger Kaufleute und Advokaten an einem einzigen Abend für wilde Stücke ausführt, davor würde man in Europa erschrecken; sie rennen aus einem Schenk- und Freudenhause ins andere, trinken überall und machen Unfug so arg und derb es nur angeht. Ihre einzige Sorge ist, der Polizei nicht in die Hände zu fallen, weil ihre Namen dann in die öffentlichen Blätter kämen; ihnen ist die Polizei gefährlich, nicht aber den ständigen Rowdies. Die untere Klasse der Loafers, welche eigentlich so genannt werden, ist außerordentlich zahlreich, sie sind unsere Bummler, Eckensteher, Stromer, aber sie unterscheiden sich von ihren europäischen Brüdern dadurch, daß sie rastlos beschäftigt sind, wenn auch nur immer mit Nichtigkeiten. Sie tragen lieber alte Filzhüte als Kappen, und sind im Aeußern keineswegs sauber; der Rowdy liebt die Wachstuchkappe, kleidet sich jedoch nicht schlecht; merkwürdig aber bei Beiden ist, daß sie gern die Hosen unten umkrempen. Zu den Loafers der niedrigsten Sorte gehören auch die „Runners“ (Ausläufer), welche durch List oder Gewalt die Einwanderer gleich von den Schiffen in die Wirthshäuser und zu den Agenturen für die Reisebeförderung ziehen, wo sie auf das schamloseste betrogen werden.


Es fragt nun ein Europäer: aber giebt es denn keine Hülfe gegen solche Banden? kann man nicht wenigstens den Rowdies das Handwerk legen? Nein, ohne stehende Heere ist das niemals vollständig möglich, und eher erträgt der Amerikaner, daß des Abends seine Straßen unsicher sind, als daß er die Kosten und die Gefahr übernähme, welche mit stehenden Heeren verbunden sind. Er sagt in seiner Weise: lieber wolle er Raufer und Müßiggänger aus Liebhaberei dulden, als sie patentieren und in Uniform stecken, denn der Schaden und die Kosten, welche stehende Heere dem Lande brächten, würde größer sein als alle Einbuße durch die Rowdystreiche. Zu Zeiten nehmen nun die Rowdies und mit ihnen das Häuserstüermen, die Brände und die Unsicherheit auf den Straßen so überhand, daß die Polizei dagegen so gut wie machtlos ist; man erträgt das Uebel, bis es sich von selbst wieder ändert, oder die freiwillige Miliz, worunter namentlich die Deutschen zählen, auf den Platz tritt.

Auch zu einer schärferen und zahlreicheren Polizei will der Amerikaner sich nicht verstehen, er haßt nichts mehr als ein immer sichtbares Eingreifen der Polizei und meint: der Rowdies könne sich jeder Mann erwehren oder ihnen wenigstens aus dem Wege gehen, gegen eine europäische Polizei aber gebe es keine Abwehr, und wenn man alles in allem rechne, werde die letztere mehr Leben und Gewinn im Beginnen schon unterdrücken, als die Rowdies zerstörten. Hält man ihm das Beispiel Englands entgegen, so meint er wieder: England sei ein altes Land, das fühle nicht mehr die Mißstände, welche sich in einem so jungen und so freien kräftigen Volke von selbst erzeugten. Ueberhaupt sucht der Amerikaner das Rowdy-Uebel eher zu vertuschen und es mit Jugendstreichen und Ueberfülle von Muth und Kraft zu entschuldigen, als daß er es in seiner ganzen Größe eingestände. Eine Hauptsache ist aber, daß die politischen Parteien, wie sie jetzt einmal geworden, ihre hartnäckigen Wahlkämpfe ohne die Rowdies und Loafers gar nicht führen könnten, diese sind die Leute, welche die Politik der Parteihäupter dem Volke mundgerecht machen, die Stimmberechtigten zusammenwerben und herbeiholen, die Gegenpartei zurückschrecken, Wahlkasten zertrümmern, kurz hin und wieder das Volk terrorisiren. Es ist nicht so selten, daß Rowdies für ihre Hülfe bei den Wahlen mit großen und kleinen Aemtern belohnt werden, gerade in der niedern Polizei finden sie ihre Stellen und sind dann geneigt, ihren alten Kameraden durch die Finger zu sehen. Treibt aber das Straßenvolk seine Rohheiten zu arg so heißt es bei dem Amerikaner regelmäßig, es häufe sich an aus den hungrigen und ungebildeten Schwärmen der Einwanderer. Das ist aber so unwahr, daß man die Rowdies nur einmal recht ansehen oder ihnen zuzuhören braucht, um zu wissen, daß sie ächte eingeborne Landessöhne sind. Unter den Loafers sammeln sich Eingewanderte schon eher, namentlich Irländer. Das Rowdy- und Loaferwesen ist im Ganzen recht eigentlich aus den amerikanischen Zuständen hervorgegangen. Wir haben schon vorher bei Südamerika Gründe dafür bezeichnet, ähnliche wirken auch in den Vereinigten Staaten, in diesen aber kommt das volle ungebändigte Krafts- und Freiheitsgefühl dazu. Frevel, die in andern Ländern das Dunkle suchen, treten hier wo alles öffentlich ist, auch frecher auf und schärfer ans Tageslicht. Wie politische und soziale Unfreiheit und Erwerbsmangel in andern Ländern Massen gedrückten Volkes hervorbringt, welche in Armuth, Kummer und Bangigkeit ihre Tage hinbringen, so erzeugt die amerikanische Freiheit und die Leichtigkeit, sich das Nöthige zum Unterhalte zu verschaffen, eine Menge müßiggängerischen Volkes, welches zu jedem Unfug aufgelegt ist. Solches Volk gab es in allen neu besiedelten Gegenden, wo das Land so weit, die Polizei so schwach ist und die rohe Kraft so viel gilt. Jetzt treten in Californien die „Hounds“ mit Pistolen im Gürtel auf, zu Ende dieses Jahrhunderts hatten die Piraten auf den westlichen Flüssen noch ihre sichern Verstecke, noch früher herbergten auch in den Seestädten die gewaltthätigsten Banden. Sie nahmen ab, je mehr anständige Leute ihren Abscheu dagegen ausdrückten, gleichwie die stehenden Krankheiten sich minderten, als nüchternes und reinliches Leben allgemeiner wurde.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band I