Die großartige Oeffentlichkeit, welche in Amerika herrscht, die Spannung, mit der alle jedem Charakter oder ...

XIV.
Washington.


Die großartige Oeffentlichkeit, welche in Amerika herrscht, die Spannung, mit der alle jedem Charakter oder Ereigniß von Belange folgen, sind natürlich in Washington erst recht an der Tagesordnung, dort, wo die gescheidtesten Köpfe aus dem ganzen Lande zusammenströmen, wo immer auf hoher Bühne gehandelt wird, nach welcher das ganze Volk hinschaut. Der Witz geht hier nicht auf leisen Socken, sondern ihm antwortet ein tausendfacher Wiederhall, und wird einer aus dem Sattel gehoben, so folgt ihm nach ein homerisches Gelächter. Hier in Washington, wo die amerikanische Laune unerschöpflich ist an mächtigen Streichen, könnte allenfalls ein amerikanischer Punch geschrieben werden. Es blieb mir immer räthselhaft, warum die Amerikaner gar nichts hervorbringen, was dem englischen Punch sich vergleichen könnte, da die öffentliche Spannung auf alles was im Volke vorgeht, bei ihnen viel lebhafter ist als in England, und das Talent, Sachen und Charaktere lächerlich zu machen, ihnen gar nicht abgeht. Aber vielleicht fehlt den Amerikanern der Humor, der mit einem Auge lacht und mit dem andern weint, und der künstlerische Blick ihrer Zeichner ist noch nicht geübt genug. Ihre Karrikaturen sind allegorisch oder eintönig, oder so unbehülflich, daß sie den Figuren müßten lange Zettel aus dem Munde hängen lassen, damit man deren Absichten verstehe. In Major Downing’s Briefen, den beiden Slicks und andern humoristischen Schriften ist indessen ein guter Anfang gemacht.


Die europäische Diplomatie scheint sich in Washington selbst nicht recht heimisch zu fühlen, sie hat ihre Wohnungen in dem stillen, hübsch gelegenen Georgetown, eine halbe Stunde von der Stadt, am frischen Potomak. Dort bietet sich den ganzen Fluß hinauf eine Fülle von Ansichten, welche einen eigenthümlich wilden Reiz haben. Die Ufer des Flusses sind Felshügel, meist nackt oder nur mit kurzem Gehölz bedeckt, das breite klare Gewässer schäumt um die Felsvorsprünge oder um die Blöcke, welche in seinem Bette liegen. Etwa drei Stunden weiter hinauf sind die Fälle des Potomak, der Fluß schießt breit hinunter, in mehreren einzelnen Fällen schäumend, von denen einige an dreißig Fuß hoch sind. Um die Schifffahrt möglich zu machen, ist mit großen Kosten ein Kanal nebenher geführt, von dem bei Georgetown ein Arm auf einer Brücke über das breite steinige Bette des Flusses geleitet ist. Von dem Leben und Treiben aber auf den Kanälen im Neuyorkstaat oder auch nur in Pennsylvanien war hier wenig zu sehen, Fluß und Kanal schienen recht einsam. Auf dem Potomak trieben sich ganze Schaaren von jenen wilden Enten, welche Canvaß Black Ducks heißen und ihres köstlichen, unübertrefflichen Geschmacks wegen in Menge selbst nach Europa versandt werden. Auf der Straße, welche jenseits des Potomak nach Virginien hinein führt, begegnete mir ein Frachtfuhrmann, der eine Brille und ein Bärtchen trug und deutsche Studentenlieder sang; im Chor der Universitätsbrüder hatte er wohl nicht daran gedacht, daß die Erinnerungen aus dem Commersbuche ihn einst am Potomak in diesem Aufzuge erheitern würden. Uebrigens hatte er sich in sein Geschick ergeben, war schon weit im Lande umher gekommen und würde mir noch manches erzählt haben, wenn nur seine Pferde hätten still halten wollen, diese aber verstanden nur amerikanische Flüche und Hiebe. Auf der Marinewerfte in Washington waren mir zwei keineswegs nett gekleidete Handlanger gezeigt, welche deutsche Officiere gewesen sein sollten, der eine schien dem Branntweinsgift bereits unrettbar verfallen zu sein. Solch deutsches Elend begegnet einem in Amerika auf allen Wegen und Stegen.

In Georgetown, so nahe bei Washington, ist ein Jesuitenhaus und ein Nonnenkloster, obgleich schon lange im besten Gedeihen scheinen sie ihrer Blüthezeit erst entgegenzugehen. Von der Höhe des Jesuitenhauses sind die Aussichten sehr anziehend. Das Thal hinab glänzt der breite Fluß zwischen grünen Inseln und Ufern, in der Ferne ziehen dunkle Höhen, stromaufwärts öffnet sich ein tiefes Flußthal mit hübschen Hügeln und Ufervertiefungen hinter einander. Auch einen Weinberg sieht man, der in guten Jahren seine siebenhundert Gallonen ziemlichen Getränks den Jesuiten abgeben soll. Dieser waren sieben, drei darunter Priester, in ihrem Gymnasium fast anderthalbhundert Kostschüler, deren jeder nur anderthalbhundert Dollars zahlte. Die Knaben saßen in den Klassen rings um ihren Lehrer, der in seiner Jesuitenkleidung mit der viereckigen Mütze recht väterlich aussah. Die Namen der Klassen, die Unterrichtsweise, die Klassiker mit den ausgemerzten anstößigen Stellen, kurz die ganze Einrichtung war vollständig so, wie früher in den Jesuitenschulen in Deutschland. Die Zucht ist strenge, die Schüler schliefen und studirten in großen Sälen zusammen, dort jeder hinter seinem Vorhange, hier jeder an seinem Pulte. Erlaubniß zum Ausgehen wurde nur alle vierzehn Tage ertheilt; wenn sie öffentlich zusammen erschienen, waren sie alle gleich gekleidet in blauem Tuche. Museum, Sternwarte und Bibliothek der Anstalt waren bereits mit dem Nothwendigsten versehen. Auf dem Museum sah ich eine Medaille, auf welcher die Herzogin von Berry der Muttergottes ein weinendes Kind, Heinrich V., darbrachte mit der Unterschrift; „beschirme die Hoffnung und den Schutz Frankreichs.“ Unter den Schülern waren auch viele Nichtkatholiken, – kein Wunder, da in den Vereinigten Staaten Anstalten so selten sind, welche sich im strengen und regelmäßigen Lehrplan mit den Jesuitenschulen messen dürfen. Was könnte dort nicht ein deutsches Gymnasium leisten? Noch aber stehen seinem Gedeihen zu viele Hindernisse im Wege.

Auffallend war mir aber bei meinen Streifereien um Washington, daß schon hier die Gegend lange nicht so belebt und angebaut war als in den nördlicheren Staaten. Im Felde liegen eine Menge ärmlicher Hütten, aus welchen Neger in Lumpen hervortreten und demüthig schon von weitem grüßen. Aus dem Benehmen der meisten darunter blickt ein unverwüstlicher Zug von Affennatur hervor. Bei manchem riesenhaften Kerl muß man sich wundern, welch winziger geistiger Funken diese Fleisch- und Knochenmasse durchirrt. Ebenso unverkennbar aber, wie der Anbau des Landes ärmlicher wird, werden die Menschen geselliger und offener, sobald man von Pennsylvanien nach Maryland und Virginien hinein kommt. Man fühlt, hier wird leichter und heiterer gelebt, es ist nicht mehr das strenge rastlose Arbeiten wie in den nördlicheren und mittleren Staaten, nicht das scharfe Selbstgefühl, welches dort bei jedem, selbst bei dem Farbigen, seine Tanten zeigt. Das liegt nicht allein in der wärmeren wohllüstigeren Luft, sondern viel mehr darin, daß es in den südlichen Staaten Gesinde giebt. welches die Arbeit thut und die andern bedient. Freilich besteht dies Gesinde nur aus Sklaven, und es ist vielleicht der Schluß nicht ganz unrichtig, daß, soweit solches Gesinde unter dem europäischen steht, im Durchschnitt auch um ebenso viele Grade die Humanität der feinern Herzens- und Geistesbildung in den Sklavenstaaten unter der europäischen steht.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band I