Zur Reise nach Amerika hatte ich mir in Liverpool das gute Segelschiff „die Southkarolina“ ausgesucht. ...

IV.
Ueber das atlantische Meer.


Zur Reise nach Amerika hatte ich mir in Liverpool das gute Segelschiff „die Southkarolina“ ausgesucht. Es machte seine Fahrten in der Regel als Postschiff zwischen Newyork und Charleston und hatte deshalb eine prächtige Kajüte mit luftigen Kämmerchen nebenan. Man saß in den letztern zwar nicht wie in einer Kapelle, aber lag doch darin auch nicht eingeschichtet gleich Häringen in der Tonne. Die große Kajüte zählte nur acht Passagiere, das war ein weiterer Vortheil und versprach ruhige Stunden und freien Spaziergang auf dem Deck. In einem überfüllten Saale wird schon ein einziger Abend drückend, – die Gefangenschaft auf dem Schiffe aber dauert wochenlang, und kann man hier nicht auf das Deck in frische Luft entfliehen, so werden Augen, Nase und Ohr gar zu reichlich ergötzt durch allerlei häusliche Freiheiten der Mitreisenden. Dergleichen Seefreuden hatte ich auf Dampfschiffen bereits vollständig genossen, sammt jenem höllischen Gemisch von Gerüchen, wie sie sich etwa Morgens in einer jahrelang von Tabacksrauch und Bierdünsten durchsäuerten Wirthsstubenluft vereinigt finden, wenn man sich noch die schweren Dünste von Steinkohlen und Seewasser hinzudenkt. Wer Zeit hat und in seinem Innern etwas Brausepulver gegen die Langeweile mit sich führt, wird gleich mir dem dunstigen, gewühligen ewig rasselnden Dampfer ein stilles reinliches Segelschiff vorziehen.


Das Schiff war bereits aus den Docks gewunden und lag an der Hafenspitze, als wir des Nachts hinaufstiegen und zum erstenmal unser Bettchen zurecht legten. Am frühen Morgen umschwärmten uns nochmal die Boote, aus welchen Frauen mit Apfelsinen, Taback, Zuckerwerk und Seife zum Verkaufe an Bord kamen. Kapitän und Matrosen schritten ruhig durch den Lärm gleich ernsten Seebeherrschern. Endlich wurde das Verdeck klar gemacht, das Zwischendeckvolk hinuntergewiesen in die Luken, die Matrosen begannen ihre Arbeit nach dem Takte ihrer Gesänge, die selbst bei lustigen Stellen wie mühselig hervorgestoßen lauten. Das Schiff hob seine weißen Flügel und schwebte langsam den Menaistrom hinab in die See. Schon kamen uns so viele Dampfschiffe entgegen, daß sie mit ihren graubraunen Rauchwolken die Aussicht verdunkelten. Wenn die weißen Segelschiffe in den Rauchstreifen traten, den ein Dampfer dicht auf dem Wasser hinter sich her schleppte, sah es recht gespenstisch aus, etwa wie in Westfalen Wald und Hof vom Harrauch verschleiert werden. An der Mündung des Menai blitzte noch der Leuchtthurm mit veränderlichem Feuer, dann ließen wir das Feuerschiff hinter uns, endlich auch ein kleines festgemachtes Boot mit einem Glockenstuhl, aus welchem, nur von den Wellen bewegt, die Glocke ihre Warnungstöne über die Flächen schallen läßt, als zöge aus der Tiefe eine unsichtbare Hand das Glockenseil. Wir sahen jetzt im matten Lichte unzählige große Segelschiffe. In der Ferne scheint ein solches Schiff wie ein alter grauer Thurm im Nebel zu stehen, kommt es näher und sieht man noch nicht die Leute darauf, gleicht es einem fabelhaften Ungeheuer, das seinen einsamen Weg durch die Fluthen sucht. Der Wind gab uns tüchtige Stöße; das Schiff segelte scharf auf der Seite an der Küste hin, dann und wann theilten sich die Wolken und ließen umschäumte Klippen und dahinter dunkle Gebirgswände sehen.

Erst am andern Morgen lenkten wir nach Irland hin, jedoch nur ein stahlgrauer Streifen seiner Küste kam in Sicht. Als auch das letzte Stückchen Europas hinter die Fluthen sank und nun ringsum nichts als das öde Weltmeer: da wurde es mir auf einmal doch etwas schwer um’s Herz. Die Heimath stieg vor meinen Blicken auf mit den freundlichen Städten und Flüssen, die grünen duftigen Wälder, die alte Vaterstadt und die Lindenschatten, wo halbdunkle Mädchenaugen so tief in’s Herz sich stahlen und süße Worte wie Wohllaut weckend in die Seele fielen. Ich dachte, du bist doch ein rechter Narr, daß du dich wochenlang willst in diesem hölzernen Kerker auf der wilden See schaukeln lassen, bloß um Urwälder und Indianer zu sehen, und könntest es daheim in deinem hübschen Zimmer und unter deinen Freunden so gut haben; dort laben sie sich jetzt an Kirschen und Maiwein, und dir verwandelt sich hier der lockendste Bissen, während du ihn zum Munde führst, in Galle und Ekel. Ich war nahe daran, die ganze Reise zu verwünschen, denn die Seekrankheit fing an mein Gemüth mit dunklen Saiten zu beziehen.

Diese Meerswächterin hat mir noch auf jeder Seereise ein mehr oder minder zärtliches Stelldichein gegeben; denn ich hatte schon auf unsern Studentengelagen immer das Unglück, wie ich es zu meiner Schande gestehen muß, frühzeitig zu den Stillgewordenen in der Todtenkammer gebettet zu werden. Indessen der schrecklichste Katzenjammer am andern Morgen, so deutlich er auch einen Vorgeschmack von der Seekrankheit giebt, hatte doch noch die rosigen Lichtblicke, die ein guter Witz in die Tiefe des Elends hinabfallen ließ, aber die Seekrankheit wässert und knetet das arme Fleisch und Bein des Menschen so durcheinander, als wenn sie die Seele aus dem schmutzigen Zeuge herauswaschen wolle. Man sieht nichts, rein gar nichts vor sich als der Seefahrt langgedehnte Mühsal. Andere Seekranke sollen zuletzt kein anderes Gefühl mehr haben, als ob das Wasser immer höher an die Seele stiege und anschwellend im nächsten Augenblicke das schwach flimmernde Lebenslämpchen ganz ersticke. Bis zu diesem Leidensabgrunde hat mich indessen die Seekrankheit niemals untergetaucht. Ich behielt im Gegentheil immer eine kleine helle Stelle im Kopfe, wo es unaufhörlich dachte, dichtete und sich über den armseligen Plunder des übrigen Menschen lustig machte. Dafür blieb ich auch mehr als eine Woche in diesem Zustande und erinnere mich deutlich noch der innern Wuth, welche mich ergriff, wenn ich eben mit Noth mich auf’s Verdeck schleppte und der Kapitain mir fröhlich zurief: „wir gingen vorwärts wie mit Dampf“. Ach ich hätte einen Theil meines Lebens darum begeben, wären wir im Sturme nach dem Lande zurückgeflogen. Der Ocean ist herrlich, aber die Menschen haben noch nicht das Fahrzeug erfunden, seiner gewaltigen Erhabenheit froh zu werden ohne zu ächzen. Wie soll man auch in diesen schaukelnden Nußschalen voll widerlicher Gerüche nicht krank werden? Sobald man ihrer gewohnt ist, heilt der Odem des Meeres wunderbar kräftig. Während der zweiten Hälfte meiner Seefahrt führte ich mich jeden Morgen wie neu verjüngt, ein köstliches Gefühl von Frische und Lebenskraft zog mir durch die Glieder, ich konnte ohne Ermattung den ganzen Tag lesen und schreiben, aß aber auch wie ein Wolf.

Ich musterte nun allmählig meine Schiffgenossen. Der Kapitain war ein Irländer gewesen und obwohl entschieden amerikanisirt, war er doch ein warmherziger fröhlicher Mann geblieben, der manchen launigen Einfall zum Besten gab. Die beiden Steuermänner zeigten sich als ziemlich gebildete Leute, die mit Logarithmen gut zu rechnen verstanden, wenngleich die mathematischen Grundsätze derselben ihnen böhmische Dörfer waren. Insbesondere an dem jungen Steuermann bemerkte ich zuerst, welcher Vaterlandsstolz und welcher feurige Geist diese Amerikaner treibt und wie sie für sich und für ihr Land nach den höchsten Dingen streben. Ein junger Kaufmann aus den Sklavenstaaten entwickelte dagegen amerikanische Flegelei in verschiedenen Schattirungen, ein Mensch, der trotz seiner Jugend schon ein Abgrund von Schlechtigkeit war. Ein Kentuckier, Professor der Chemie, hatte unsern Liebig besucht und hielt ihn für den größten Mann der Welt. Ihn begleiteten seine Frau und zwei Töchterchen, letztere wurden so lange gegen meinen Schnurrbart aufgehetzt, bis ich diese den Amerikanern damals noch anstößige Zierde eines Morgens in’s Meer warf und dafür die bedungene Belohnung holte. Auch zwei junge englische Kaufleute gingen nach Amerika, um dort ihr Glück zu machen, waren aber vollgepfropft von den lächerlichsten Vorurtheilen gegen die neue Welt. Der eine wollte sogar die Leute zu Cincinnati, was den Amerikanern viel zu lachen gab, das Schweinestechen lehren. Nicht blos Franzosen, auch Engländer aus den mittleren Ständen sind häufig in den albernsten Vorstellungen über andere Völker befangen. Ich konnte einem solchen es einmal eben nur wahrscheinlich machen, daß die Preußen auch Deutsche seien.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band I