Caernarvon liegt schön gebettet an dem kristallenen Grün des Menay, so heißt das schmale Meerwasser, ...

III.
Nordwales.


Caernarvon liegt schön gebettet an dem kristallenen Grün des Menay, so heißt das schmale Meerwasser, welches Wales von der Insel Anglesea trennt. Gegenüber sind buschige Anhöhen, im Rücken die Snowdonberge. Im Hafen war ein kleiner Sturm, welcher das klare, grüne Wasser zu weißen Schaumwellen auftrieb und ein großes Seeschiff schaukelte, das zum kalfatern dalag. Caernarvon ist die Hauptstadt von Nordwales und hat deshalb auch die Hauptburg, welche den westlichen Eingang des Menay bewacht. Die Trümmer derselben, auf deren Erhaltung man gut Acht hat, gehören zu dem Schönsten, was man in dieser Art haben kann. Es ist ein Sechseck, an jeder Ecke ein kleines Thurmschloß für sich. Von dem höchsten, dem Adlerthurm, hat man eine treffliche Aussicht. In dieser Burg wurde bekanntlich der erste Prinz von Wales geboren. Sein schlauer Vater versprach den Wälschen einen Fürsten, der in ihrem Lande geboren sei und kein Wort Englisch könne, und als sie freudig einem solchen zu folgen versprachen, holte er ihnen sein eben gebornes Söhnlein mit den wälschen Worten: „eich dyn,“ d. h. dies ist euer Mann. Davon soll das Motto im englischen Wappen „ich dien“ herrühren. Mir fiel dabei ein, daß als Kaiser Sigismund England besuchte, der englische König mit seinen Großen ihm bis an das Schiff ins Meer entgegenritt und sich feierlich zu seinem Vasallen und Diener erklärte, jedoch sich alle kaiserliche Gerichtsbarkeit in seinem Lande verbat. Caernarvon ist, wie alle wälschen Städte, ziemlich still und haushälterisch, sie haben meist kleine, bürgerliche Häuser, nur in den schlechtern Straßen findet man Alterthümliches. Jetzt ist hier ein Haupthafen für die Verschiffung der Schiefertafeln und zugleich der Sammelplatz für die englischen Touristen, welche zu ihrem Lieblingsberg, dem Snowdon, wallfahrten. Die Letztern vermehren sich in Caernarvon fast ebenso sehr wie die Schiefertafeln, denn es ist jetzt große Mode in England, romantische Parthien aufzusuchen. Auch diese Mode ist vom Festlande herübergekommen, das englische Volk selbst erzeugt keine neue Moden und Sitten mehr, vielmehr läßt es sich darin mit jedem Jahre stärker vom Festlande beherrschen. Umgekehrt schickt auch England nicht bloß seine Sports, sondern auch einiges von seinen alten guten Moden, wie nämlich ein Volk denken und handeln müsse, auf’s Festland. Jene rührigen Touristen tragen viel dazu bei, daß die englische Kultur jetzt bis in die einsamsten wälschen Thäler hinein leckt. Bald wird es in ganz England keinen Ort mehr geben ohne städtische Sitten und Einrichtungen, nur etwa die Fischdörfer am kahlem Meeressaume ausgenommen, jene Matrosennester, wo die jungen Burschen auf's wilde Meer fahren, gerade wie andere Leute spaziren gehn.


Des Nachmittags schlug ich den Rückweg nach Liverpool ein über Bangor am Menay hin. Diese Straße bietet manche Schönsicht, welche durch die vielen kleinen Schiffe belebt ist, die Schiefer tragen. Ueber den Uferweg stürzen hin und wieder Waldbäche, lustige Boten von der zaubervollen Lust im Gebirge. Aber den ganzen Weg entlang war kein trockenes Plätzchen zu finden, denn es regnete alle Augenblicke, das verdirbt einem in England oft die schönsten Aussichten. Die Engländer sind wahrlich genügsam in Bezug des schönen Wetters; wenn ich des Tages nur dreimal naß wurde, hieß es: „ein schöner Tag heute!“ Uebrigens geben die dicken Wälschen neben dem niederen Volke in England, bei dem man die Körperbreite allenfalls auf das Biertrinken schieben könnte, den Beweis, daß nicht die feuchte Luft allein die Engländer so lang streckt. Das Wälsche war in dieser Gegend wieder stark mit englischen Wörtern untermischt. Ich hörte es zuletzt in einer armen Hütte, als Haus- und Familiensprache lautet es nicht übel. Offenbar haben die Franzosen, welches Volk gegenwärtig am meisten wälsche Beimischung hat, ihre Nasenlaute von den Wälschen, ihren Ahnen mütterlicher Seite.

Auf halbem Wege nach Bangor war eine kahle Höhe mit Schieferbrüchen, aus welcher die Wagen auf einer Eisenbahn an Ketten herab kamen. Ich eilte hinauf, es war die letzte Höhe, die ich auf lange Wochen bestieg. Der Ocean wurde jetzt mein Feld, der nur Tiefen hat, wunderbare, unerforschte. Noch einmal erfrischte ich mich an der lebenskräftigen reinen Luft, in der die Gedanken so lichtschnell sind und so fest werden wie Krystall. Noch einmal ließ ich die Blicke schweifen über das grüne Eiland Anglesea, und in das sich thürmende Gebirge, welches mit seinen tiefen Schluchten mich angähnte. Ich nahm Abschied von ihm, von seiner finstern Romantik und seinen blühenden Thälern. Nach wenigen Jahrzehnten wird das Naturvolk dieses Gebirges gründlich zersetzt und von englischem Geist und Wesen bewältigt sein. Aber bis die Engländer so weit kamen, hat es sie blutige, jahrhundertlange Kämpfe gekostet. Die alten Nordwälschen haben manchen Engländer mit zerschlagenem Schädel in ihren Bergen bestattet. Noch jetzt liegt etwas Unheimliches auf jenen Bergschluchten mit ihren schwarzen Seen. Es heißt, der finstere Geist des Gebirges sei zornig, daß seine Altäre nicht mehr rauchen, und fordere alljährlich ein junges Blut zum Opfer. Ich hörte darüber folgende Sage. Auf den Bergen weidete ein Hirtenmädchen, welches wie die Morgenröthe frisch war und wild wie der Vogel in den Lüften. Ein englischer Lord auf der Jagd sah sie, ihre Anmuth ergriff ihn und auf sein inniges Werben folgte sie ihm auf seine Burg. Weil er aber verlangte, daß sie ihrer Heimath Sitten und Glauben aufgeben und ihm dienen sollte als seine Magd, entfloh sie wieder zu ihren Bergen. Er setzte ihr nach, und bis hoch in’s Gebirge ging die wilde Jagd, sie rangen lange mit einander und er faßte ihr flatterndes Haar, sie mit sich fortzureißen. Da rief sie laut um Hülfe, und im Nu überfiel sie eine Sturmwolke und riß beide hinunter in den dunkeln See. Von dem Mädchen hörte man niemals wieder, den Lord aber fand man am Ufer mit stieren Augen und verrückten Sinnen, denn er hatte den furchtbaren Rächer des Gebirges gesehen.

Bangor liegt gar hübsch zwischen grünen Höhen, vor sich die Bai. Es ist eine alte Stadt in neuen Kleidern und voll von Wirthshäusern. Nachdem ich mir das hier ausgezeichnete Ale hatte gut schmecken lassen, stieg ich über Mauern und Pforten den mittlern Hügel hinauf und genoß eine schöne Aussicht auf die Bai und das Bangorthal. Ein englischer Großhändler baute hier ein gothisches Schloß, das berühmte Pennrhynkastle, in welchem der reichste normanische König, wenn er wieder auflebte, staunend sagen würde: so etwas sah ich niemals weder in gediegener Pracht noch in der Kunst meiner Zeit. Ein noch stolzeres Werk ist die Hängebrücke, welche Anglesea mit dem Festlande verbindet. Ihre außerordentliche Größe schwindet zwar in der weiten Meeresumgebung zusammen, aber wenn man darüber geht und das Sausen des Windes in den vielfachen feinen Verschlingungen der Eisendrähte kein Ende nehmen will, wenn man unter sich die bemasteten Schiffe sieht, dann erst merkt man das Riesenartige dieses Bauwerks, welches sich doch so leicht und zierlich darstellt. Nach beiden Seiten hat man von der Brücke eine hübsche Flußansicht mit niedrigen Felsenufern. Aber prachtvoll wird die Bai, je weiter man auf der anderen Seite der Meerenge kommt, ein herrlicher Park reiht sich an den anderen und immer schimmert dazwischen das herrliche frische Meergrün, in welches sich weiter hinab die mächtigen Felsberge eintauchen. Diese Bai von Beaumaris gehört gewiß zu den schönsten auf der Erde. Sie hat die farbigen, massenhaften Felsgestade und die würzige Luft eines italienischen Golfs, und gleichwohl Nebel und Stürme des Nordens. Ein seltsam gestaltetes Felsgebirge, welches bis weit in’s Meer hineingeht, hat Aehnlichkeit mit Capri im Golf von Neapel. Das Wasser war krystallhell und wechselte in prachtvollen Farben. Beaumaris ist ein vornehmes Seebad, und der Aufenthalt hier zählt zu den angenehmsten in England. Die Burgruine stellt sich prächtig dar. Die mächtigen Thürme und Zinnen der Hochburg sind durch ein gleichgebautes niedriges Viereck von Mauern und Thürmen eingeschlossen. Das Meiste ist wohlerhalten und der Epheu hat seine dunkelgrüne Hülle darüber gebreitet.

Um zehn Uhr fuhren wir die schimmernde Bai hinab. Die Einsichten rechts in die Bergthäler sind wundervoll. Links steht man die Feuerschiffe und den hellweißen Leuchtthurm mitten in den Fluthen. Jener capriähnlicher Felsberg, Ormeshead, wimmelte von Seegevögel aller Art, und es war schön anzusehen, wie die donnernden Wogen den Felsen hinanstürmten und die weißen Möven so ruhig darüber hin und her flatterten. Um schnell zu fahren, ließ der Kapitän stark arbeiten, das Dampfschiff tauchte dann mit dem rechten, dann mit dem linken Borde tief in’s Wasser, und diese Bewegung machte uns sammt und sonders seekrank. Es gab eine Fülle der erbärmlichsten Scenen. Dafür fuhren wir bereits um drei Uhr Nachmittags in den Mersay ein. Ganze Züge von Schiffen verkündigten die Nähe der Welthandelsstadt Liverpool.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band I