Der liebste Schiffsgenosse war mir ein junger Erbe aus Newyork, der von seiner europäischen Reise ...

IV.
Ueber das atlantische Meer.


Der liebste Schiffsgenosse war mir ein junger Erbe aus Newyork, der von seiner europäischen Reise zurückkam. Er hatte von uns Deutschen die Idee gefaßt, wir lebten poetisch in den Tag hinein. Auch gab er nächst seinem Lande dem unsrigen den Preis ächt weiblicher Anmuth, und wir gingen mit einander manches deutsche Paradiesgärtlein wieder durch, wo die lieblichen Mädchenblüthen so dicht und frisch wachsen wie Maiglöckchen nach dem Regen. Mein Freund war der Ansicht, daß zwischen dem Feuer der Südländerinnen, der feinstudirten Coquetterie der Französinnen und der steifen Schönheit der englischen Ladies die deutschen Frauen eine glückliche Mitte hielten. Aber darf ich es wieder sagen? – er meinte auch, die deutschen Mädchen seien die leichtgläubigsten, und viele deutsche Frauen hätten bei all ihrer Seelengüte doch keinen festen eigenen Charakter und hielten Männer und Söhne zurück, wo es etwas Großes zu wagen gälte. Wir gaben beide zu, daß man unter den Frauen in England vorzugsweise vollendete Schönheitsformen sähe, freilich sei dort die ätherische Blüthe in den vornehmen Ständen häufig schwindsüchtig, und in den untern Klassen die Schönheit einem fast gewissen Verderben ausgesetzt. Von den Französinnen war mein Freund am wenigsten erbaut, er erklärte sie sogar sammt und sonders für wölfisch. In Frankreich, meinte er, seien die Männer sanfter als die Frauen. Die stolznackigen und gluthäugigen Töchter Italiens und Spaniens würde er hochrühmen, wenn untadeliche Schönheit in ihrem Lande reichlicher ausgestreut sei und nicht schon so frühzeitig sich in die Umrisse orientalischen Alterthums versteckte. Hier konnte ich ihn wieder fassen, denn von dem Schicksale seiner Landsmänninnen, allzufrüh verblühen zu müssen, hatte ich schon Einiges erfahren. Er entschlüpfte mir aber behend und gewandt mit tausend Ausflüchten, wie es Amerikaner fast immer thun, wenn eine schwache Seite ihres Landes zur Sprache kommt.


Anziehend war mir das Thun und Treiben der Matrosen. Sie arbeiten immer langsam, taktmäßig, aber sicher und geschickt, auch mit rohem Geräth. So bärenmäßig sie auftreten, so klettern sie doch im Tauwerk gelenk und behende wie Eichhörnchen. Die Hälfte unsers Schiffsvolkes litt an Folgen von Ausschweifungen. Denn wenn Matrosen nach langem Pökelfleischessen auf der See an’s Land kommen, stürzen sie sich in das wildeste Lustleben. Die Seeluft aber macht sie sogleich wieder frisch und munter. Sie führen im Grunde ein recht arm- und mühselig Leben auf dem Wasser, aber zur Entschädigung haben sie den wilden Reiz der Gefahr, im Hafen vollste Freiheit und Mützen voll Geld und dazu den Stolz, Seemann zu sein. Unsere Mannschaft war eine vollständige Völkersammlung. Außer den Amerikanern befanden sich hier Deutsche, Engländer, Dänen und auch ein Franzose. „Wer ist der beste Matrose?“ fragte ich den Kapitän. „Keiner besser als der Deutsche.“ Diese Antwort habe ich oft von Seeoffizieren gehört. Der deutsche Matrose ist so geschickt und sicher auf der See, als der englische, aber nicht, wie dieser in der Regel, ein Säufer, sondern nüchtern und anständig. Als ein besonderer Vorzug der deutschen Matrosen wurde gerühmt, daß sie auf warme und trockene Kleidung und überhaupt auf die Pflege ihres Körpers halten und gute Haushälter sind. Der Engländer ist darin schlottriger und unsauberer; er tritt breit und fest auf und stirbt gewöhnlich auf oder an der See, während der Deutsche sich in der Mitte des Mannesalters gern in seine Heimath zurückzieht. Der Däne und Norweger wird als Matrose nicht weniger gerühmt; manche ziehen aber den ruhigen und reinlichen Holländer allen übrigen vor. Die hübschesten Burschen sind offenbar die Südländer, aber weder zähe noch zuverlässig. Wenn man außer der Mannschaft auf deutschen Schiffen einmal all die deutschen Steuerleute und Matrosen zählen könnte, welche auf fremden Schiffen dienen, würde man sich verwundern, wie viel Schiffsvolk unsere Küstenländer liefern.

Das Zwischendeck des Schiffes war vollgestopft mit Auswanderern aus Irland. Als ihre Heimath verschwand, sahen sie gleichgültig darein, – keine Thräne war zu bemerken. Ihre Gesänge waren eintönig und traurig. Wenn sie aus den Luken des Zwischendecks heraufstiegen, zeigte sich unter den Hunderten auch nicht ein einziges erträgliches Gesicht, zu den meisten schien die Kartoffel das Modell abgegeben zu haben. Bei ihrer Küche auf dem Verdeck entstand zehnmal des Tages Gekreisch und Balgerei, bis die Matrosen mit Flüchen und Schlägen dazwischen fuhren. Aber all dies arme gutmüthige Volk Irlands hatte doch jetzt die frohe Aussicht, in Amerika sich wieder herauszufüttern und in seinen Kindern dem fremden Lande einst tüchtige Bürger zu geben. Deutschland war diesmal im Zwischendeck nur durch Handwerksburschen vertreten, deren ja so viele unter Mühen und Noth mit unverwüstlichem Wandermuth durch die ganze Welt fahrten. Die Anzahl der Leute aus den niedern Klassen, welche Deutschland jährlich aus bloßer Abenteuerlust verlassen, ist außerordentlich. Die Gefolge wären noch immer da, aber die Gefolgsführer fehlen. Auch eine arme polnische Judenfamilie mit zahlreichen Sprößlingen wollte nach Amerika. Wenn auch ihre Sprache wie ihr Aeußeres Deutschland wenig Ehre machte, so lag doch etwas Rührendes in ihren Worten. „teitsche Leit sein die beste“. Der Arme findet sich wohl bei uns, während der reiche stolze Ausländer uns mit unserer Gutmüthigkeit wie einen weichen Volksbrei ansieht.

Die ersten vierzehn Tage durch lag der Wind steif in unsern Segeln und unaufhaltsam flog das Schiff durch die dunkeln weißüberschäumten Wellen. Nur kurze Sonnenblicke waren uns vergönnt, desto öfterer aber peitschten Regen und Wind und Wellen über das Verdeck. Einmal war drei Tage lang die Luke des Zwischendecks geschlossen und aus dem Dunststall da unten drangt nur verworrenes Geschrei herauf, ein Zeichen, wie unbarmherzig das arme Volk in dem engen gräulichen Raume mit all seinem schmutzigen Geschirr durcheinander geworfen wurde. Das waren trübselige Tage. Im ganzen Schiffe fast kein Plätzchen, das nicht naß und kalt war, im Bette konnte man sich mit dem besten Willen nicht festhalten, und auf dem Verdecke mußte man kriechen oder sich an’s Tauwerk klammern, um von den Sturzwellen nicht weggeschleudert zu werden. Kapitain und Steuerleute aber waren wohlgemuth, denn es ging frisch voran; am sechszehnten Tage hatten wir den St. Patrick, der eine Woche früher abgesegelt war, schon eingeholt. Dann legte sich der Wind, der Himmel wurde klar. Mit Schmutz überzogen, schleppten nun Männer, Frauen und Kinder aus dem Zwischendeck ihr Bettwerk an die Sonne, um es zu trocknen und zu reinigen. Es folgte eine Reihe heiterer Tage, der Morgen war kalt und nervenstählend, den Tag über wurde gespielt, geplaudert, gesungen und entsetzlich gegessen, und des Abends verwandelten wir öfter unser weißes geräumiges Verdeck zum Tanzplatz. Einmal überraschte uns dabei ein Gewitter, der Donner fiel mit seltsamen Geprassel auf das Meer, als wenn er darauf zerplatzte. Auch der Sonnenuntergang war wunderbar schön. Das Meer wogte in der Ferne wie der glänzendste Metallfluß, bis der Gluthball ganz hinabgetaucht war. Wenn dann alles schlafen gegangen und nur noch der Steuermann das Deck langsam auf und abschritt, begann meine schönste Zeit auf dem Schiffe. Soweit der Mond entfernt stand, soweit glänzte vom Borde durch das Meer bis zum Horizonte ein zitternder breiter Silberstreif, und rings auf den unermeßlichen Tiefen lag ein erhabenes Schweigen, das nur die kielaufrauschenden Wellen unterbrachen. Der Ocean wogt noch wie eine der urweltlichen Gewalten, selbst in seiner majestätischen Ruhe liegt etwas Riesenlauniges. Das Gefühl der Sicherheit mitten auf den bahnlosen Gewässern hat einen ganz eigenen Reiz, und die ruhige häusliche Ordnung auf dem Fahrzeuge, das wie ein lebendes Wesen, dem Druck am Steuer und der Segelrichtung gehorchend, seinen Weg durch die Fluthen geht, macht einem das Schiff lieb und heimathlich. Wer einmal eine längere Seereise gemacht hat, versteht wohl die Zuneigung, welche die Mannschaft für ihr Schiff hat, und warum sie es so gern mit Flaggen und Farben brautlich schmückt. Dieses schlanke Bauwerk von Holz, Eisen und Hanf läßt sie stolz nach allen Zonen fahren und sie mitten in der Meereswüste gesellig bei einander sein; aber es muß auch ihr Leben schützen, und sie hängen ihm an, als wenn es eine Seele hätte. Ich kenne wenige Töne, in welchen so eigen Lust und Grauen gemischt sind, als wenn man Nachts, aufgeweckt durch das Rasseln und Pfeifen des Windes im Tauwerk und durch das Kommandowort des Steuermanns, unwillkührlich aufhorcht und dann in seinem Bettkämmerchen hört, wie die Wellen leise anklatschen an die Schiffsplanken, deren wenige Zoll uns von der nassen Tiefe und ihren Ungeheuern scheiden. Es ist ein leises Mahnen, wie leicht und spielend das ringsum wogende Weltall dies kleine Menschen-Ich, das so keck denkt und schafft, wieder auslöschen kann. Bei stillem Wetter pflegte ich mich vor dem Schlafengehen in einem Kübel Seewasser zu baden. Zu Zeiten schien es wie flüssiges Feuer zu leuchten und bedeckte mich beim Baden über und über wie mit knitternden Funken. Das Wasser war dann auch weicher und schleimartiger, als wenn es nicht leuchtete.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band I