Dem Kapitän gefielen freilich diese heitern ruhigen Tage weniger als uns, und er zeigte verdrießlich ...

IV.
Ueber das atlantische Meer.


Dem Kapitän gefielen freilich diese heitern ruhigen Tage weniger als uns, und er zeigte verdrießlich auf der Seekarte die Menge der kleinen Zickzacks, welche das Schiff wegen Mangels hinreichenden Windes fahren mußte. Ohne Zweifel wird aber auch für Segelschiffe die Reise über den atlantischen Ocean bald beträchtlich kürzer werden. Die Amerikaner sind eifrig daran, auf der ganzen Linie zwischen Liverpool und Newyork die Strömungen der See und des Windes, die Schwere oder Leichtigkeit des Wassers und seine Tiefe und Wärme genau zu erforschen und aufzuzeichnen. Sie werden danach die Linie feststellen, auf welcher ein Schiff von Wind und Wellen am wenigsten Widerstand und am meisten Förderung zu erwarten hat. Durch solche Wind- und Stromkarten ist schon jetzt die Reise von Newyork um das Cap nach Californien fast um das Drittel gegen früher verkürzt.


Am vierundzwanzigsten Tage unserer Reise waren wir auf den Neufundlandsbänken. Das Meer ist hier nicht tief und der Golfstrom treibt nach dieser Gegend eine Menge von Gewürm, Seegewächsen und kleineren Fischen, welche im sonnendurchwärmten Wasser und im schlammigen Meeresboden sich wohl sein lassen. Da sie aber den größeren Fischen reichliche Nahrung geben, so haben diese hier ihren Sammelplatz. Das ganze Wasser schien lebendig zu sein. Schon unterwegs hatten mich die Sprünge der größeren Fische, welche stundenlang das Schiff begleiteten, unterhalten, hier aber rauschten sieben bis acht auf einmal durch die Fluthen, bald zeigten sich die schwarzen Flossen, bald der klotzige Kopf. Am Abend sah es aus, als wären rings im Meere Springquellen, so brausten und glänzten Wasserstrahlen in der Luft, welche diese Seeungethüme aufwarfen. Rings am Horizont vertheilt, ließen sich über zwanzig Segel wählen. Wir waren kaum noch hundert Meilen vom Lande, wenn gleich es noch nicht zu sehen war, so schickte es uns doch schon einen Schmetterling. Er flatterte langsam über die Wellen, bis er sich ermüdet ins Schiff setzte und von den jubelnden Kindern erhascht wurde. Wie das kleine bunte Ding einem sofort Wald- und Blüthenduft zu Sinnen rief, es kam wie ein Bote zu uns, daß hinter dem ewigen Seegewoge sich bald das grüne Gestade erhebe. Der Wind aber schlief nun ganz ein. Drei Tage lang hatten wir milden blauen Himmel, und wenn die Sonne in voller Glorie ins Meer gestiegen war, erhob der Mond sein glühendes Antlitz aus den schimmernden Wellen. Einmal erfreute uns auch ein prachtvolles Nordlicht. Erst stiegen langsam weiße Strahlen aus dem Meere den Horizont hinauf, allmählig verdichteten sie sich zu einem weiten leuchtenden Halbrund, das sich in jedem Augenblicke veränderte, bald wie Eisfelder und Gletscher starrte, bald wie Lichtwolken wallte. Dann schossen Strahlen nach unten und oben, breit und schmal, und in der Mitte bildete sich ein Gürtel in den Farben des Regenbogens, der im unaufhörlichen Wechsel blieb. So stand das herrliche Schauspiel über den dunklen Wogen, bis einzelne Sternbilder hindurchfunkelten und die Strahlen nach und nach erblichen. Am andern Morgen wimmelte es auf dem Wasser von Seegevögel, das darüber hinflatterte und sich auf dem Wellenspitzen wiegte, während hie und da ein schwarzes Seeungeheuer emporrauschte und wie schnaubend dazwischen einherfuhr. Mittags sahen wir Sable Island, das wie eine Kuppe sich auf der Seefläche erhob; als wir aber in der Entfernung von einer Stunde vorbeifuhren, war es nur eine niedrige Sanddüne mit einzelnen Hügeln. Gleichwohl brachte das kleine Eiland eine rechte Labung für die Augen; nachdem sie länger als vier Wochen durch die ewig rollenden Wogen ermüdet waren, bot sich doch wieder etwas Festes, auf dem der Blick zu ruhn vermochte. Ich konnte nicht aufhören, mit dem Fernrohr die Windungen der spärlich bewachsenen Dünen zu verfolgen, zwischen denen hier und dort eine Fischerhütte hervorschaute.

Eine Seefahrt bietet manchen Vergleich mit dem Wechselgange des Lebens. Manchmal geht es rüstig mit vollen Segeln vorwärts und man glaubt das nahe Ziel schon zu erblicken, dann kommen große und kleine Zwischenfälle, man muß laviren und kann trotz aller Anstrengung nicht weiter. In der ersten Zeit glaubte man auf dem Schiffe, wir würden die schnellste Fahrt haben, dann hielt schlechter Wind uns wochenlang auf, und nun überfiel uns nahe am Hafen eine Windstille, und dauerte fünf volle Tage. Die See war spiegelglatt, die Luft drückend schwül, jeder fühlte das Widersinnige, auf dem Meere gefangen zu liegen, ohne sich rühren zu können. Der Nebel wurde so dicht, daß man immer nur Theile des Schiffes sah. Ein anderes schwankte dicht neben uns aus den Dunstwolken hervor und wieder hinein, wie der fliegende Holländer. Des Abends schien der Mond einen bleichen niedrigen Bogen in die Nebelschleier. Lächerlich genug stellte sich auch noch ein anderer Nothstand ein, die Tabaksnoth. Der Kapitän wurde ganz verdrießlich, nie bekam ich ein freundlicheres Gesicht von ihm, als da sich auf dem Grunde meines Koffers noch ein paar Cigarren fanden. Endlich kam wieder Helle und frischer Wind. Welch ein freudiges Leben verbreitete sich auf einmal über das ganze Fahrzeug, als am andern Tage die lange Küstenlinie von Longisland vor uns lag. Das Zwischendeck kam in seinen besten Kleidern hervor und warf die alten Lumpen und Geschirre ins Meer. Wir kreuzten noch einen ganzen Tag in weiten Strichen an den niedrigen Eilanden hin und nahmen dann den Lootsen an Bord. Mit der einen Hand schüttelte er dem Kapitän die Hände, mit der andern reichte er die Zeitungen, über welche alles heißhungrig herfiel. Die Einfahrt zur Newyorker Bai wurde durch die vielen Schiffe bezeichnet, welche dort ein und aus schwärmten, wie Bienen vor der Oeffnung ihres Korbes. Vom Lande wehte Blüthenduft, es war eine ganz köstliche Luft. Die Leuchtthürme strahlten gleich niedrigen einsamen Sternen, der Mond erschien im vollen Glanze, und es begann Abend und Nacht so schön, wie ich sie jemals erlebt habe. Langsam zog das Schiff in die stillen Buchten hinein, aus deren Gebüsch weiße Landsitze hervorschimmerten. Dampfschiffe und leichte Segel schwebten lautlos an den stillen Ufern hin, aus der Ferne hörte man Glockenklang und Hundebellen. Wie jugendlich grün, wie glückverheißend erschien mir das gelobte Land!

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band I