Es war ein heller Sonntagsmorgen, als ich die Bai von Newyork hinauffuhr. Die Wogen hoben und ...

V.
Erste amerikanische Eindrücke.


Es war ein heller Sonntagsmorgen, als ich die Bai von Newyork hinauffuhr. Die Wogen hoben und senkten sich in weiten stillen Schwingungen und spiegelten das reinste Lichtblau des Himmels. Die Menge der großen und kleinen Segel, alle so weiß und zierlich, und die Reihe der Landhäuser, alle so schimmernd zwischen Buschgrün, übersäeten durch ihren Widerschein die weite Bucht mit Glanzstreifen. Wir hielten auf die Spitze des Dreiecks zu, welches die äußere Bai bildet, und liefen dort in eine engere Straße ein. Wie sehnsüchtig schaute ich über die Ufer weg. Nach den einförmigen Tagen der Seefahrt winkt das Land so jugendlich schön, so heimisch aus den Wellen hervor. Ich meinte, nie hätte ich so frisches Grün, so reine milde Himmelsbläue gesehen. Wir traten in die innere Bai hinein, zu beiden Seiten Inselforts mit blendend weißen Wällen, vor uns ein See, umkränzt von sonnigen heitern Ortschaften. Aber welch Gewimmel von Schiffen und was für thurmartige Fahrzeuge schwebten über den Fluthen! Hinter dem Gewirr der Masten und Segel erhob sich die helle Häusermasse der Weltstadt im spitzen Dreieck, zu beiden Langseiten ergießen sich breite Ströme, ihre Ufer sind eingefaßt von einem dunkeln Rande, den zahllose Schiffe bilden, auf der Dreiecksspitze schwimmt halb im Meer ein grüner Park mit einem Fort darin. Schon mitten zwischen den Schiffen schaute ich mich rasch noch einmal um, herrliches glänzendes Leben auf allen Seiten, aber Berge und stolzaufstrebende Gestade nirgends. Nach den Schilderungen der Amerikaner hatte ich hochprangende Golfs, wie im mittelländischen Meere, erwartet, ich sah nur ein überaus anmuthiges Gewinde von Baien und Buchten, Flüssen und Meerengen und weiterhin einige grüne Anhöhen und Dünen, ganz in der Ferne etwas Bergwald, – aber lachend und freundlich war jeder Anblick, für den heimkehrenden Seefahrer ist er paradiesisch.


Wir wanden uns durch die Schiffe und ich eilte erwartungsvoll in die Straßen hinein. Sie waren menschenleer, es herrschte Sonntagsstille. Die Sonne lag glühend zwischen den Häusern und warf einen Schatten so dicht und so scharf abgeschnitten, daß ich wohl merkte, das war nicht mehr die milde Sonne Deutschlands. In der Nähe des Hafens sahen die Schoppen, Waarenhäuser und Wohnungen wie verbraucht oder vernachlässigt aus; als ich in die bessern Straßen kam, wunderte ich mich auch da über die leichte Bauart der zierlichen Häuser. Prachtvolle Gebäude waren selten, ein einförmiges Straßenviereck folgte auf das andere. Ich durchschritt eine breite unabsehlich lange Straße und wunderte mich nicht wenig, als Ich hörte, dies sei der weltberühmte Broadway. Aus einer Kirche, die obwohl nur von Holz doch wie ein griechischer Tempel gebaut war, kamen feierlich Schaaren von schwarzen, braunen und gelben Menschen, ihre Tracht war weiß oder grellbunt, sie schritten einher gleich einer aufgeputzten Heerde großer Affen. Nach und nach wallten aus den andern Bethäusern weiße Leute hervor, die geschwätzigen Damen zierlich von Herren geführt. Fast alle diese Weißen waren schlanke Menschen von jugendlichem Aeußern und in geschmackvoller Kleidung. Und welche Menge von niedlichen Frauengesichtern mit scharf blickenden Augen, eine edle hohe Schönheit sah ich nicht, aber die eine war immer hübscher als die andere.

Frohen Sinnes erreichte ich das Haus eines Freundes aus Deutschland und nach herzlichem Willkommen mußte ich mich an die Mittagstafel setzen. Es standen da viele Gerichte, die mir neu waren, allerlei Gemüse und Früchte, wilde Truthähne und gesottene Austern. Unter tausend Fragen verflog der Nachmittag. Bei aller deutschen Herzlichkeit schien mir doch der Ton der Unterhaltung merkwürdig kurzab und gemessen, ohne Umschweife wurde jedes Ding bei dem rechten Namen benannt. Von politischen und andern öffentlichen Zuständen des Landes redete man mit derselben Gewißheit und Gewohnheit des Mitherrschens, wie man bei uns etwa von der Einrichtung eines Kasino spricht. Auch das amerikanische Hauswesen mußte ich sehen, die Einrichtung war sehr einfach, aber höchst zweckmäßig, wenige Zimmer, aber jedes prächtig und behaglich. Dem Wiegestuhl konnte ich meinen Beifall nicht versagen. Des Abends machten wir einen Spaziergang durch die Stadt. Auf den Straßen war es noch still und festtäglich, auf den Flüssen aber gingen Dampfer ab und zu, deren Verdeck dicht besetzt war. Ich hörte, daß darauf hauptsächlich Deutsche seien, die geborenen Amerikaner aber den Sonntag nur in den Kirchen oder ruhig in ihren Häusern zubrächten. Wir traten in ein Clubhaus. Hier konnte sich das Herz eines Feinschmeckers erfreuen an wilden Enten von unübertrefflichem Wohlgeschmack, an handgroßen Austern, die noch von Seewasser tröpfelten, und an den herrlichsten Pfirsichen und Melonen. Der Champagner war wohl sehr theuer, aber sicher nicht über See gekommen.

Am andern Morgen sah ich mich in meinem Gasthofe um. Mein Zimmer war ein wenig größer als ein Schiffskämmerchen und ebenso einfach bestellt. Als ich aber die Reihe der hochräumigen, prunkend ausgestatteten Säle des untern Stocks durchwanderte, welcher allen Bewohnern des Gasthauses zu gemeinschaftlichen Gesellschafts-, Lese- und Speisezimmern dient, da glaubte ich irgend eine sozialistische Idee verwirklicht. Der Einzelne hat nur das Nothdürftige, die Gemeinschaft alles in Pracht und Fülle. Die große Eßglocke, die soldatische Pünktlichkeit und Ordnung der Aufwärter, die außerordentliche Menge von Gästen und Besuchern, ihr uniformes Leben und Aussehen, das läßt einen amerikanischen Gasthof wie eine idealisirte Kaserne erscheinen, in welcher die Damen den Vortritt haben. Nach einem Frühstück, welches aus höchst kräftigen Speisen in Süß und Sauer bestand, vertiefte ich mich in die Menge der tischgroßen Zeitungen. Eine jede glich einer überreich besetzten Tafel, an welcher auch der ärgste Murrkopf etwas finden mußte, was ihn zum Lachen brachte oder zum Denken anregte. Die Kost ist nur etwas derbe, es schien mir, als wenn der amerikanische Schriftsteller, wo er in seiner Rede heißen Pfeffer braucht, diesen auf dem Feuer gern noch heißer macht. Gleich bei den ersten Artikeln merkt man, daß so nur für ein Volk geschrieben wird, in welchem jeder Einzelne von allem und jedem unterrichtet sein und über Religions- und Staatssachen, in Gewerbe und in Wissenschaften sein Wort mitsprechen will. Jeder Stoff wird in den Zeitungen so neckisch vorgetragen, und zugleich so klar und natürlich, daß man sich dafür interessirt, wenn man auch kein Wort davon glaubt. Ehe man selbst es weiß, denkt man halb amerikanisch und nimmt Theil an dem frisch lebendigen, wagelustigen Geiste, der dies selbstherrische und selbstsüchtige Volk bewegt.

Als ich wieder in die Straßen kam, waren sie überfüllt von rollenden Wagen und eiligen Menschen. Es bot sich nicht, wie in europäischen Großstädten, ein Anblick dar von stolzer Pracht und Vornehmheit, mit schwarzen Streifen von Elend und Noth durchzogen, sondern es war ein jugendliches und anständiges Volk von der Art unserer mittlern Stände, welches hier Haus und Straße einnahm. Jedermann war gut gekleidet, die Menge geputzter Damen viel größer als in irgend einer Königsstadt, ein Frauenzimmer in grober Tracht oder von plumpen Formen gar nicht zu sehen. Selten zeigte sich eine feine elegante Haltung, aber auch nichts Steifes. Die meisten Männer trugen sich recht bequem, fast lotterig, schlenderten im Gehen, und eilten vielfach grüßend, den Kopf etwas nach vorn gebeugt, hastig an einander vorüber. Das Ganze sah unserm Jahrmarktstreiben ähnlich. Die Ladenbesitzer hatten ihre Waaren bis weit in die Straße hinein aufgestapelt. Auf großen zweirädrigen Karren kam Ballen auf Ballen. Dazwischen rasselten bunt und glänzend bemalte Omnibus, Wägelchen wie von biegsamen Gußeisenstäbchen gemacht, halboffene Kutschen mit schwarzen Bedienten, und Reiter, die möglichst derb und schlecht zu Pferde saßen. Die vielen gelben, braunen und schwarzen Menschen unter den übrigen sind für den Europäer etwas ganz Fremdartiges. Aber trotzdem, daß nirgends Ordnung gehalten wurde, bewegte sich doch alles friedlich und freundlich durcheinander, ohne Schreien und Lärmen, gleichwohl sahen nicht wenige gerade so aus, als würden sie jedem, der ihnen nicht gleich aus dem Wege ginge, ein Loch in den Kopf schlagen. Zu beiden Seiten der Straße auf der breiten Steinlage drängten sich die Fußgänger vorsichtig und bescheiden, auf dem Fahrwege kam es wohl mal zu Gezänk, aber höchst selten zu Rohheiten. Unter diesem Volke war unverkennbar Selbstachtung bis unter die ärmsten Leute verbreitet, jeder suchte anständig zu erscheinen und das Nöthige dazu zu erraffen. In keinem Lande sah ich jemals soviel junge Leute, das ganze amerikanische Volk schien noch diesseits der Vierzig zu stehen. Haufen von Burschen, welche an den Straßenecken oder vor den Gasthäusern sich sammelten, sannen augenscheinlich auf nichts anderes als wie sie ihrem Uebermuthe Luft machten. Auffallend war mir auch, daß die Leute einander so ähnlich sahen. Das war hier wirklich ein eigenthümlich amerikanisches Gesicht, welches auf den meisten Schultern saß, von länglich eckiger Form, die Farbe gelb und bräunlich, und selten fehlte ein besonderer Zug von Kraft, Laune und Verschmitztheit.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band I