Unsere Schiffsgesellschaft bot ein seltsames Gemisch. Das Oberdeck war ganz nach europäischer Art. ...

IX.
Ontariosee und St. Lorenzstrom.


Unsere Schiffsgesellschaft bot ein seltsames Gemisch. Das Oberdeck war ganz nach europäischer Art. Im Unterdeck aber machten sich vorzüglich geltend die englischen Soldaten in ihren rothen Uniformen, sie ließen sich die Zeit bei Trinken, Karten und Würfeln nicht lang werden, und zwischen ihnen trieben sich ein paar freche Dirnen umher. Dann kamen die französischen Canadier aus der niederen Volksklasse, feste, gelbe Gesichter; diese Leute sehen meist trübe aus, wenn man sie aber anspricht, werden sie lebhaft und zeigen gefällige Manieren. Es war mir wieder etwas neues, auf eine solche Menge von artigen und doch ungebildeten Leuten zu treffen, nachdem ich längere Zeit unter den Amerikanern gewesen. Französische Canadier aus den höhern Ständen waren ebenfalls da, und schienen lieber unten mit ihren Landsleuten, als oben in der Kajüte unter den Engländern zu verkehren; sie erschienen halbmodisch gekleidet, hatten aber bei aller äußern Feinheit doch etwas Freches und Ungestümes in ihrem Betragen, und einige tranken mehr Branntwein als die Soldaten. Interessant waren mir besonders die französisch-canadischen Bootsleute. Sie sind seit alter Zeit als das beste Schiffsvolk bekannt, der wilde Strom ist ihr Leben; es sind kurz gebaute, aber hartsehnige Leute. Die kurzen Thonpfeifen legen sie nur auf Augenblicke ab; wie im Harze heißt es bei ihnen: „noch so und so viel Pfeifen Arbeit.“ Sie trugen meist ein Lederwams, rothe Mützen, auch wohl einen rothen Shawl um den Leib, und wenn sie ihre braunen Mäntel anhatten mit der Kapuze über den Kopf, sahen sie aus wie Mönche oder wie Banditen. Am meisten aber hatten sie mit Indianern Aehnlichkeit; ihre Gesichtsfarbe ist fast ebenso schwärzlich, ihr immer schwarzes Haar hat denselben eigenthümlichen Bleiglanz und ihre Mienen sind so düster, wie bei den Wilden. Früher waren sie durch ganz Nordamerika zerstreut, ebenso gleichgültig gegen Klima und Gefahren, wie Fluß- und Waldthiere. In neuerer Zeit ist ihnen fast nur die Jagd auf Pelzthiere und Büffel geblieben, und in größerer Menge finden sich ihre Ortschaften nur noch bei den Gewässern des Obern Sees. In neuen Ländern schafft die Natur solche Spielarten der Völker und verwischt sie wieder. Dann waren ferner auf dem Schiffe Yankees, kurze gewandte Leute, welche ihre Augen überall hatten, breite unbehülfliche Schotten, Irländer mit unverwüstlichem Schmutz und Humor, ruhige grobgehauene Engländer. Die deutsche Sprache war durch mehrere Soldaten und durch Juden vertreten. Man kann immer darauf rechnen, Deutsche in fremden Ländern unter den Soldaten zu finden, der Deutsche bleibt ja der ewige Landsknecht; nach ihnen kommen die deutschen Juden, darauf deutsche Aerzte und Kaufleute, später Handwerker und zuletzt deutsche Ackerbauer. Auf unserm Schiffe fehlten natürlich auch die Indianer nicht, sie halten sich in Untercanada noch ziemlich zusammen, und sind besonders gegen die französischen Canadier zuthunlich; diese wissen auch am besten mit ihnen umzugehen. Der Indianer in Canada ist fröhlicher und arbeitsamer als in den Vereinigten Staaten, erst nach und nach überschleicht ihn das traurige Gefühl des Verkümmerns und Aussterbens. Die Indianer auf dem Schiffe trugen sich fast eben so wie die ärmern Canadier, aber sie waren gleich kennbar an ihren glitzernden unstäten Blicken, stolzen Bewegungen und dem Verziehen der Gesichtsmuskeln beim Sprechen. Unter den indianischen Frauen fiel mir ein besonders niedliches Gesichtchen auf, im schwarzen Sammetkleid und eine Decke von glänzendem schwarzem Tuch über dem Kopf. Ihre Hände und Füße waren von äußerst feinen Formen, doch war ersichtlich, daß auch sie schon in Kälte und Sonnenbrand hatte arbeiten müssen. Diese Völkermischung auf dem Schiffe, die Geräthschaften und Waaren aller Art, die Kohlenfeuer, bei denen man sich wärmte, der dunkle Abend auf dem Strome, die finstern öden Wälder am Ufer, alles das hatte etwas Abenteuerliches. Schon bald nach drei Uhr wurde die Luft dunkel, wie bei uns im Winter, wenn die Dämmerung anfängt. Es war mir immer als wären wir auf einer Expedition hoch im Norden begriffen, und die Phantasie malte mir Bilder vor von treibenden Eisfeldern, von Kämpfen der Matrosen mit Wallfischen und weißen Bären, von tiefverschneiten Hütten auf unwirthbaren Gestaden.


Des Abends las ich noch lange in den verschiedenen englischen und französischen Zeitungen der Canadas. Die letztern sind meist von eingewanderten Franzosen geschrieben, ihre canadischen Landsleute würden zu viel englische und indianische und ganz eigenthümlich canadische Worte und Wendungen einmischen, auch in mancher Beziehung sich noch in den zopfigen Redensarten aus des vierzehnten Ludwigs Zeit ausdrücken. Die Canadazeitungen sprechen so frei und offen wie die amerikanischen, aber nicht so lustig, auch haben sie etwas mehr Gehalt und viel weniger Gemeinheit. Ganz aber scheint mir ihnen das jugendliche und stolze Nationalgefühl der Amerikaner abzugehen, welches die ganze Welt erbeuten möchte. Auf die mächtigen Fortschritte der Union fiel nicht selten ein hämischer Seitenhieb: die Freiheit, hieß es, sei dort eine Gassendirne, in Canada aber eine anständige Göttin. Daß die Yankees in Ober- oder Untercanada beliebt seien, läßt sich durchaus nicht sagen. Der Canadier fühlt im Gegentheil dem Yankee gegenüber etwas von europäischem Stolze in sich. Bei all dem ist nicht zu verkennen, daß die Canadas sich doch nur als eine Art Anhängsel zur Union wissen und dorthin, nicht nach England, ihr Antlitz wenden. Daß ihr Land sich früher oder später den Freistaaten anschließen müsse, ist eine Meinung, die unzählige Bekenner zählt und ganz offen erörtert wird. Insbesondere sind für den Anschluß die ehrgeizigen jungen Leute, welche ebenso gern Präsidenten werden wollen, wie ihre Genossen in den Freistaaten.

Am andern Vormittage kamen wir in die Stromschnellen. Rings sah man wieder Inseln, und die Ufer schimmerten über die weite Wasserfläche oft nur eben herüber. Es war wie eine See, die hohl geht nach dem Sturme. Segelschiffe können die Stromschnellen nicht hinunter, aber das Dampfschiff durchschnitt sie majestätisch. Ging es an der einen Seite über eine Untiefe, so wurde rasch auf die andere Seite ein Kasten mit allerlei altem Eisen geschoben, um diese niederzudrücken und die andere Seite zu erleichtern. War die Wellenbewegung rechts oder links zu stark, so rollte der Räderkasten hin, um das Gewicht des Schiffes dort zu vermehren. Der Steuermann mußte scharf aufmerken, um den Brandungen an den Felsen auszuweichen, denn das Schiff schoß mit geflügelter Eile über die Wellenkämme. Einige Stunden lang wurde, während wir den St. Franzsee, eine Strombreite, durchschnitten, Luft und Himmel klarer, und da erschienen in den Horizont hinein ragend die hellgrünen Kuppen der Vermontberge, als hätte eine Künstlerhand sie so hübsch gruppirt und mit der hellen Farbe bekleidet. Auf dem Strome zeigten sich mehrere unabsehbare Flöße, mit Bretterhütten und Flaggenstöcken besetzt, an denen Wimpel lustig im Winde flatterten, was ungemein zur Belebung der Landschaft beitrug.

Nach Tische wurde ich mit einem französischen Canadier in ein Religionsgespräch verwickelt, welches sehr bald mehrere Theilnehmer fand. Die Canadier erörterten diese Gegenstände mit vielem Feuer, aber ganz in der scholastischen Weise, wie man sie ehedem öfter von Geistlichen hörte, die noch von den alten Jesuiten erzogen waren. Weil ich öffentliche Gespräche der Art nicht liebe, suchte ich mich unbemerkt zurückzuziehen, jedoch mein Hauptgegner folgte mir und hielt mich noch eine halbe Stunde lang oben auf dem Verdecke fest, bis wir beide vor Frost zitterten. Indessen benahm er sich darauf den ganzen Nachmittag freundlich und achtungsvoll.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band I