Dieser Strom ist gewiß einer der schönsten auf der ganzen Erde. Er unterscheidet sich zu seinem Vortheile von ...

IX.
Ontariosee und St. Lorenzstrom.


Dieser Strom ist gewiß einer der schönsten auf der ganzen Erde. Er unterscheidet sich zu seinem Vortheile von seinen nordamerikanischen Brüdern, denn er hat klares frisches Wasser, große langgezogene Wellen und sehr häufig malerische Ufer. Das Gewirr von treibenden, oder im Flußbette festgehaltenen Baumstämmen, die kurzen hochfluthigen Wellen, die Menge von rohrbuschigen Inseln, die vielen gelben Schlammbänke und Untiefen, diese Eigenheiten der amerikanischen Flüsse fehlen dem St. Lorenz. Er strömt immer ruhig, stolz und unhemmbar, seine Gestade verlieren niemals den wilden Reiz, aber er selbst verliert nie das Helle und Majestätische. Als wir vom Ontariosee in den St. Lorenz hineinfuhren, war mir deshalb dieser Strom eine freudige Ueberraschung. Eine lange Strecke freilich umgab ihn nur niedriges Felsenufer, von Menschen und ihrem Anbau war nichts zu erblicken, wir fuhren wie in öder Wildniß. Selten einmal zeigte sich eine arme halb verfallene Blockhütte, und wo ein Städtchen sich blicken ließ, stand es auf nacktem, steinigem Boden, eingeschlossen von spärlich bebüschten Felshängen und ansteigender Waldung. Bedeutender nehmen sich aus Ogdensburg auf der amerikanischen und gegenüber Prescott auf der canadischen Seite, da hat der Strom ein belebtes Ansehen. Auch ein Engländer kann nicht verkennen, wie viel freundlicher die amerikanische Stadt aussieht, als die gegenüberliegende canadische. Bei Prescott beginnen bereits die Stromschnellen, doch sind die Dampfschiffe jetzt so fest und zugleich so leicht gebaut, daß sie darüber weggehen. Man merkt aber an dem Ernst und Eifer, den Kapitän und Schiffsleute annehmen, sobald es in die Stromschnellen geht, daß die Fahrt hindurch noch nicht ohne alle Gefahr ist.


Nun kam der See der tausend Inseln. Ob es gerade so viele sind, weiß ich nicht, gewiß hat sie keiner gezählt, denn das wäre eine mühsame Arbeit. Ein paar Meilen weit ergießt sich der Strom zwischen einer Unzahl von kleinen und großen Inselbrocken, rings umher sieht man nichts als diese waldbewachsenen Felsbänke, die eine sieht der andern ähnlich, und es gehört ein scharfes Auge dazu, eine hinter ihnen verborgene Flotille aufzufinden. Hier hatten die amerikanischen Kaperboote, welche den Engländern so manchen Streich spielten, ihre sichern Verstecke, und noch lebt Mancher drüben, der davon romantische Geschichten erzählen kann. Der Rhein oberhalb Straßburg hat auch eine Inselmenge, die Rheininseln dort zeigen Schlamm und niedriges Weidengebüsch, diese St. Lorenz Inseln nur Felsen und stolze Bäume. Wer einmal längere Zeit durch die Schären der schwedischen und finnischen Küsten gefahren ist, kann sich den See von tausend Inseln lebhaft vorstellen. Aber die Schären sind wechsellos nur mit Tannen bekleidet, das Meer ist wenn es nicht arg stürmt, ruhig zwischen ihnen. Die St. Lorenz-Inseln dagegen tragen den mannigfaltigsten Baumwuchs, und der Strom umrauscht sie ohne Aufhören. Die tiefe Einöde, welche sie umgiebt, der Wechsel von starrenden rothen und braunen Felsufern, das Waldgewoge von allerlei Bäumen, einige Felsen wie von einander gerissen und mit tiefen Klüften, in welche das Wasser hineinschäumt, andere nur mit Moos und Binsen überwachsen, andere wieder wie bloße Waldbüschel oder wie riesenhafte Sträuße und Tafelaufsätze emporragend, das stolz fluthende Wasser, hier ein Kormoran unbeweglich von einem Aste ins Wasser schauend, dort ein fischender einsamer Reiher, oder ein Flug wilder Enten aufrauschend, dergleichen fort und fort sich wiederholend, machte einen eben so melancholischen als großartigen Eindruck. Immer wieder kamen neue Inseln und neue Felsengestalten. Noch nach hundert Jahren wird der Reisende auf diesem See der tausend Inseln sich in einer noch unberührten wilden Wald- und Stromlandschaft Amerikas glauben. Es unterhielt mich, Pistolenschüsse abzufeuern; schoß ich in die Luft vorwärts, so war der Knall matt und sofort verschlungen, hielte ich gegen einen Felsen, so gab es manchmal den merkwürdigsten krachenden Wiederhall. Endlich wurden die Inseln seltener, und nun fanden sich zu beiden Seiten hübsch bebaute Uferlehnen, abwechselnd mit nackten Haiden und Mooren.

Die Gegend zwischen dem St. Lorenz und dem Ottawa ist sehr fruchtbar, aber sie theilt bereits das Schicksal so mancher Landstriche in Amerika: man hat das Fett des Landes zu schnell abgeschöpft, ohne für die Nachbildung von anderm durch Düngung und Pflege des Bodens zu sorgen. Die Waizengegend rückt immer weiter nach Westen, wo der Boden durch den Raubbau noch nicht ausgesogen ist. Unter den Bauernhäusern zeigte sich manches alt und steinern, auch die bloß von Balken ausgeführten waren viel besser als die amerikanischen Blockhäuser; hin und wieder kam auch ein Landhaus in altfranzösischer Art, mit einem Garten von regelrechten Baumgängen, Guckhäuschen, Buchsbaumlauben und Statuen. Alles hatte europäischen Anstrich, man meinte ganz aus Amerika heraus zu sein. Im Sommer namentlich muß hier am kühlenden Strome herrlich wohnen sein. Es ist ein merkwürdiges Stück Mittelalter in diese Gegend verpflanzt, welches sich hier im Norden Amerikas theilweise erhalten hat, während es in Europa abkam. Der französische König verlieh, als Canada ihm noch gehörte, große Landstrecken (Seigneuries) an Adelige als Lehen unter der Nebenbedingung, bei jeder Veräußerung ihm ein Fünftel des Grundwerthes zu zahlen. Die Seigneurs geben den größten Theil ihres Landes wieder in kleinen Bauernlehen aus, die Uebernehmer (Habitans) zahlen davon eine Grundrente an Geld, Korn, Schweinen, Gänsen und dergleichen, und geben ein zwölftel des Kaufpreises bei Besitzveränderungen, welche nicht durch Erbgang geschehen, der Seigneur hat außerdem freies Jagd-, Fischerei- und Holzungsrecht, sogar der Mühlenbann und das Vorkaufsrecht ist ihm vorbehalten. Gleichwohl leben die Habitans recht vergnügt; es ist ein gutherziges, genügsames und gastfreies Volk. Sie arbeiten nicht mehr als sie gerade müssen, und wenn der Winter mit den Schlittenfahrten kommt, dann kutschiren sie von einem Hause zum andern und zehren darauf los, so lange Küche und Keller vorhält. Sie sind eben so sehr dem Auswandern, als Neuerungen und Verbesserungen abhold, und liefern den lebendigen Beweis, wie glücklich ein Volk sein kann, das Priester und Gutsherrn kindlich folgsam ist, sich nicht quält mit Lesen und Schreiben, nicht einmal mit Denken, am wenigsten mit politischen Verhandlungen. Um ihre Häuschen gesellig bei einander zu haben, theilen die Kinder das väterliche Gut der Länge nach, auf jedem schmalen Landstreifen steht nahe dem Flusse oder der Straße eine Hütte. Der größte Wunsch der französischen Canadier scheint ein Haus voll Kinder zu sein, mit achtzehn Jahren wiegen die jungen Männer schon ihre Sprößlinge, und die Mädchen fangen in einem Alter schon zu heirathen an, wo bei uns noch kein Mädchen weiß, wie das eigentlich angeht. Aber trotz ihrer Kindermenge werden die guten Leute von ihren energischen Nachbarn verdrängt und überflügelt. Weil sie aus ihrer trägen und einförmigen Lebensart sich nicht gern aufstören lassen, sich mit dem einfachsten groben Hausgeräth, auch wohl mit Schmutz und Lumpen behelfen, mit ihren zottigen Pferdchen immer noch nach der Väter Weise nur ihr Gütchen bestellen, ohne ihre Umstände durch Handel und Industrie zu verbessern, so werden sie jedes Jahr ärmer, gerathen in Schulden und müssen endlich ihre väterlich Erbe meiden, um tiefer in die Wälder zu ziehen oder an den Flüssen Bootsleute zu werden.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band I