Mitte Oktobers herrschte in diesen nordöstlichen Gegenden bereits eine solche Kälte wie bei uns an einem ...

IX.
Ontariosee und St. Lorenzstrom.


Mitte Oktobers herrschte in diesen nordöstlichen Gegenden bereits eine solche Kälte wie bei uns an einem hellen Decembertage. Als ich Toronto verließ und wieder auf den Ontariosee kam, begriff ich vollständig die Fürsorge meiner Neuyorker Freunde, welche mir angerathen hatten, mich für den Ausflug hierher mit warmen Winterkleidern zu versehen. Es war auf dem See als wenn die Luft dumpf vor Kälte murrte, und es hielt fortwährend jenes eigenthümliche Dunkel an, welches bei uns der Vorbote von starkem Schneefall ist. Der See glänzte weithin wie ein Silberteller. Das südliche Ufer war nicht zu sehen, das nördliche zeigte dann und wann in der Ferne bewaldete Höhen. Kam das Schiff näher, so sah man am canadischen Ufer Sanddünen und kleinen Wald, das amerikanische ist dagegen dicht am See gleich hoch bewaldet. Bald waren wir mitten auf dem See und sahen wiederum nichts als Himmel und Wasser; aber die kurzen Wellen und der eigenthümliche Landgeruch belehrten auch einen, der kein Seewassermatrose ist, aber einmal die See befahren hat, daß man sich hier auf Süßwasser befinde. Die Luft auf der See hat etwas Schweres und Salziges, auf einige zehn bis zwölf Seemeilen Landnähe ist sie dagegen reiner, trockner, und alte Matrosen wollen darin einen Erd- und Baumgeruch spüren. So groß aber die amerikanischen Binnenseen sind, so arm sind sie an herrlichen Gestaden; man muß gänzlich auf die Gebirgs-Landschaften verzichten, von denen in Europa die Seen so häufig umragt sind. Der Abend dunkelte bald heran, der Himmel blieb wolkenlos, aber es war als wenn er mit seinem Nebelgrau sich kalt und schwer herniedersenkte. Die Menschen auf dem Schiffe suchten ihre Ruhestellen, der Wind pfiff stoßweise um die Masten und hohen Rauchfänge, das Boot aber brauste weiter auf der stillen dunkeln Wasserfläche. Es waren einige Compagnien englische Soldaten auf dem Schiffe, meist versoffene harte Gesichter, Leute in den vierziger Jahren, mit Spielern und Pfeifern, Weibern und Kindern und Sack und Pack. Die Tochter und Gouvernante der Familie des Obersten spazirten auf dem Verdeck umher und tanzten und lachten. Die einsilbige Steifheit, welche dem europäischen Reisenden auf den amerikanischen Dampfschiffen so widerwärtig ist, war hier auf dem englisch-canadischen Schiffe verschwunden. Vor dem Schlafengehen wurden die Soldaten in Reih und Glied auf dem Verdecke gemustert, auf das Kommando zum Abtreten klatschten sie alle zugleich in die Hände. Ihr Anblick versetzte mich zurück in die Zeiten des siebenjährigen Krieges, wo die Regimenter aus angeworbenen Soldaten bestanden, die aus dem Dienen ihr ordentlich Handwerk machten.


In der Nacht konnte ich vor Kälte nicht schlafen, und als ich Morgens früh aufsprang, mir Bewegung zu machen, lagen wir vor Kingston. Die Stadt breitet sich malerisch an einer Hügelbay, der Waldwuchs auf ihren Höhen ist jedoch spärlich. Auf den Hügelspitzen, welche in den See hinein treten, erheben sich hellweiße Forts und ein Leuchtthurm. Die neue Markthalle in Kingston ist ein großartiges Gebäude und in so reinem Stil, wie man ihn in den Vereinigten Staaten nur höchst selten sieht. Auch in dieser Markthallenmode wird England hier nachgeahmt. Die Stadt liegt am Ausflusse des St. Lorenzstromes und des großen Rideau-Kanals, ihr Handel ist daher lebhaft, und sie macht für einen Theil der Waaren, welche den St. Lorenz hinauf- oder hinabgehen, den Stapelplatz. Sie ist jetzt nicht bloß Regierungssitz, sondern auch, wie das benachbarte Sakets Harbour für die amerikanische, der Haupthafen für die brittische Flotte auf den Seen und hat geräumige Kasernen für ein paar tausend Mann. An den Befestigungen wurde noch gebaut, und es hatte alles das Ansehen als könnte es bald wieder zum Kriege kommen, jedenfalls muß England seine Städte schützen gegen Handstreiche vom andern Ufer her. Auf der gegenüberliegenden amerikanischen Seite war ebenfalls ein keckes Fort zu sehen, und hier wie am andern Ende des Sees bei dem Ausflusse des Niagara wehen die englische und amerikanische Flagge auf entgegengesetzten Ufern sich einander ins Angesicht.

Bemerkt man solche Anstrengungen der Engländer, Canada zu behaupten, so denkt man unwillkürlich an die sonderbare Lage, in welcher sich England dieser Provinz gegenüber befindet. Materiellen Vortheil bringt sie ihm durchaus nicht, die Canadier schicken weder ihre eigenen Produkte wohlfeiler nach England als anders wohin, noch kaufen sie englische Produkte theurer als dies andere Länder thun, sie selbst aber haben Vortheile dort für ihren Bauholzhandel. Es gehen zwar englische Waaren nach Canada, ohne den Schutzzoll der Vereinigten Staaten zahlen zu müssen, dagegen sind die Ausgaben, welche England für die Verwaltung, Behauptung und Verbesserung der Canadas machen muß, beträchtlich. Verhältnißmäßig mehr als in den Freistaaten geschieht in Canada für Kanäle, Häfen, Eisenbahnen und zwar auf Anregung und theilweise auch auf Kosten der englischen Regierung. Die wirkliche Herrschaft Englands ist aber dort nur gering anzuschlagen. Die regierende Macht der Provinzen liegt in ihrem einheimischen Parlamente, diesem sind die Minister verantwortlich; die Besetzung der Kolonialstellen hängt hauptsächlich von ihm ab, und seine Beschlüsse treten in Kraft, wenn der Gouverneur, den die Krone ernennt, ihnen nicht sofort die Bestätigung versagt. Trotzdem läuft England fortwährend Gefahr, durch die Canadier mit den Vereinigten Staaten in Krieg zu gerathen, denn bei allen Streitigkeiten mit den Amerikanern, – und der Anlaß zu solchen bietet sich auf einer so weiten und ungewissen Gränze und bei einem so eigenmächtigen und auf seine Ansprüche so eifersüchtigen Volke, wie die Amerikaner es sind, sehr leicht dar, – soll England mit seiner ganzen Macht für die Canadier eintreten, ohne daß es einmal das Recht hat, sie zur Bestreitung der Kriegskosten zu besteuern.

Diese Mißverhältnisse treten je länger desto stärker hervor, und es fehlt nicht an Stimmen in England, welche es für das Beste halten, die Canadas ganz aufzugeben. Die englische Regierung scheint aber daran nicht zu denken, sie weiß die politischen Vortheile zu schätzen, welche aus der Behauptung des Landes entstehen. Die zweitausend Meilen lange Gränze, mit welcher sich die beiden Provinzen an die Vereinigten Staaten anschließen, bietet wahllose Punkte dar, um englische Waaren nach Belieben in die Vereinigten Staaten einzuführen oder einzuschmuggeln. Die Amerikaner vermögen daher durch hohe Schutzzölle dem englischen Handel nicht allzuviel zu schaden, die Engländer aber können eben auf jener laugen Strecke die amerikanische Industrie überwachen, und dem Auskommen der Fabriken, insbesondere auch in den westlichen Staaten, Abbruch thun. Im Fall eines Krieges mit den Vereinigten Staaten aber bietet der Besitz der Canadas den Engländern die Gelegenheit, auch zu Lande den Amerikanern zu schaden, was sonst kaum möglich wäre, und es ist dann schon ein Vortheil, den Feind in seinem eigenen Lande angreifen zu können. Geriethe dagegen Ober- und Untercanada in die Hände der Amerikaner, so würden auch Neuschottland und Neubraunschweig, von allen Seiten von Amerikanern umringt, diesen nicht lange mehr widerstehen können, auch die pelzreichen Länder der Hudsonsbay-Compagnie würden ihnen zuletzt anheimfallen. Damit wäre dann der Herrschaft Englands in Nordamerika überhaupt ein Ende gemacht. Daß die Amerikaner darnach trachten, die Engländer ganz vom amerikanischen Continent zu vertreiben, verhehlen sie selbst keinen Augenblick; der schöne Hafen von Halifax und der Alleinbesitz der Neufundlandfischereien und der Pelzländer erscheinen ihnen als höchst wünschenswerthe Dinge. Die schon einmal besiegten Engländer möchten Canada gern so lang als möglich halten, und wär's auch bloß, um die Ländersucht der Amerikaner einzudämmen; es ist daher die Behauptung dieser Provinzen für England auch ein empfindlicher Ehrenpunkt. Die Amerikaner aber werden mit jedem neuen Jahr einen neuen, Zankapfel finden, den sie England zuwerfen, und so oft man des gegenseitigen kommerziellen Vortheils wegen, denn England und Amerika sind für einander die besten Kunden, sich wieder verträgt, so ist es doch sehr möglich, daß endlich auch den Engländern die Geduld reißt und die Ufer des St. Lorenz noch einmal vom Kriegsgetöse wiederhallen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band I