Acht Tage lang blieb ich bei meinen freundlichen Wirthen und ritt und jagte in der Gegend umher. Wenn mir auch ...

VIII.
Obercanada.


Acht Tage lang blieb ich bei meinen freundlichen Wirthen und ritt und jagte in der Gegend umher. Wenn mir auch keiner von den Hirschen und Bären, Wölfen und Füchsen zum Schuß kam, welche noch in Menge in diesen ungeheuren Waldungen herbergen, so hatte ich vor der Flinte doch immer Schaaren von Waldvögeln, welche nimmer ruhig flatterten, schrieen und einander verfolgten. Hier in Obercanada kam ich auch zuerst auf den Gedanken, die frühere deutsch-amerikanische Geschichte näher kennen zu lernen. Die Mennoniten, unter denen ich verkehrte, waren Nachkommen der Deutschen, welche mit William Penn herüber gekommen, und sie hatten über die Erlebnisse in Amerika Mancherlei in Sagen und Schriften aufbewahrt. Namentlich die Prediger hatten viel Merkwürdiges aufgezeichnet. Um eine Handschrift zu erhalten, machte ich einmal einen langen Ritt. Sie sollte sich im Hause des Schwiegervaters meines Wirths finden, der eine Stunde entfernt wohnte. Nie vergesse ich das ehrwürdige Bild dieses Greises. Er war fast hundert Jahre alt und gehörte zur Gemeinde der Tunker, jener kindlich harmlosen Leute, die selbst den Thieren liebevolle Pflege schenken. Vor der Halle seines Hauses saß er im Armsessel, Umflossen von mildem Sonnenschein, sein lang und silberweiß herabwallender Bart mischte sich mit den goldenen Locken eines kleinen Mädchens, das lachend und jauchzend auf seinen Schooß wollte; eine andere Urenkelin stand ihm zu Häupten und verscheuchte die Fliegen. Diese beiden Urenkel hatte er sich als die liebsten ausgewählt aus der Schaar seiner Kinder und Kindeskinder, neun Gehöfte der Seinigen konnte er in der Nachbarschaft wählen, ein paar davon erhoben ihre Giebel über die nahen Baumwipfel. Nun harrte der Greis mit wahrer Freudigkeit auf seinen Tod, seine Stimme war so leis und rein wie ein zitternder Silberklang, aus jedem Worte wehte heiterer Frieden. Mit innerer Andacht hörte ich die Erzählung seines mühevollen gottinnigen Lebens, und als ich schied, war mir als müßte ich um seinen Segen bitten. Noch lange, als ich wieder die einsamen Waldwege ritt, vernahm ich diese leise milde Stimme, welche mir über Schicksal und Erdenleben bessere Offenbarung gab, als einst Schelling’s Philosophie.


Das Büchlein, welches ich zu holen kam, sollte auf einer andern Farm sein, aber der Zweite hatte es dem Dritten und dieser dem Vierten geliehen. Endlich fand ich es bei einem lustigen Ehepaar, welches in den Fünfzigern stand, seine Kinder versorgt hatte und sich nun am heißen Grog eine Güte that. Ich mußte mittrinken und mitlachen und hörte in einer Viertelstunde eine ganze Reihe heiterer Geschichtchen, wie sich dieser und jener in Ansiedelungssorgen und aus Brautwerbung lächerlich angestellt hatte. Auf meiner Irrfahrt nach dem Buche war ich nun bis an die Außenposten der Niederlassung gekommen, und da ich hörte, daß einer der Pennsylvanier, welche ich auf dem Dampfschiffe getroffen, nur noch eine halbe Stunde weit wohne, dachte ich dort Herberge zu nehmen. Nachdem mein Pferd im Dunkeln einigemal in Sümpfe und über Baumstämme gestürmt, sah ich endlich glücklich das Licht aus dem Blockhause schimmern. Da hörte ich ein Lied singen nach der Melodie des Studentenliedes: „Rundgesang und Rebensaft – lieben wir ja alle!“, aber der Gesang ging in so eigen langgezogenen Weisen, daß die Sänger unmöglich flotte Burschen gewesen sein konnten. Und was war es? Mein Pennsylvanier saß mit seiner Familie ganz andächtig bei dem Choralbuche und sang nach jener Melodie: „O du fromme Christenheit, freue dich in Ehren!“ Die ganze Liedersammlung hatte sich unsere lustigsten Studentenmelodien angeeignet, jeder ein frommes Schwänzchen angehängt und einen geistlichen Text untergelegt. Später habe ich diesen musikalischen Geschmack noch oft in Amerika bewundert.

Von meinem Gastfreunde hörte ich, daß er mit den übrigen, mit welchen ich in diese Gegend gekommen, aus Pennsylvanien eine Erbschaft geholt habe, welche des andern Tages bei dem Haupterben rechtlich solle getheilt werden. Ich ritt also mit ihm hin, um den Hergang anzusehen. Die Entfernung betrug gegen drei Stunden, und wir kamen an zahllosen Stellen vorbei, wo Axt und Feuer in den Wald einfraßen, um Raum für Farmen zu schaffen. Nach allen Seiten hin erhoben sich über dem Waldmeere Rauchsäulen, ein Zeichen, wie lebhaft das Ansiedelungswerk hier vor sich ging. Ehe noch die Blockhütte fertig stand, wurde schon zwischen den Baumstümpfen gepflügt und gesäet. Aber ringsum, auch dicht bei den älteren Altsiedelungen, gähnte der finstere Urwald. Staunend maß ich die Riesenhöhe der Cedern und Fichten, deren Wipfel in den höchsten Aether hineinzuragen scheinen; Bäume von zweihundert Fuß Höhe sind hier nicht selten. Bei dem Haupterben trafen wir mehrere Familien beisammen und drei Prediger. Unter Rath und Vorsitz der Letztern wurde nun den Tag über die Sache in aller Ruhe verhandelt, zu Zeiten wurden die Frauen hinzugerufen, um Zeugniß abzulegen. Als es zum Abendessen ging, waren alle Ansprüche auf das friedlichste geschlichtet, und es blieb nur zu bedauern, daß statt eines Glases Wein oder Punsch ein Gebräu aus warmem Wasser und gerösteten Erbsen gegeben wurde, welches den Namen Kaffee führte. Am andern Morgen ritt ich zu meinem Hauptquartier zurück, und da noch mancherlei unterwegs mich anzog, wurde es Abends spät, als ich wieder anlangte. Mein Erscheinen erregte Aufsehen, einige wurden verlegen, andere lachten. Endlich erfuhr ich, daß erst die Dienstleute, dann die Söhne, und als ich am dritten Tage nicht wiederkam, der Hausherr selbst gedacht hatten, ich sei, wie dergleichen in Amerika so gewöhnlich, mit seinem schönen Pferde, welches gut zweihundert Dollars werth war, in die weite Welt geritten. Nur die Frauen, und besonders warm die alte Mutter, hatten meine Partei genommen, und die Sache war gerade lebhaft verhandelt worden, als ich in die Stube trat. Nun aber war es rührend, wie die, welche mich in Verdacht gehabt. ihr Unrecht wieder gut zu machen strebten. Ein Knecht brachte mir am andern Morgen das Pferd aufs schönste geputzt und gesattelt, was der Reiter hier zu Lande sonst selber besorgt. Als ich abreisete, mußte ich zu all den herzlichen Wünschen noch soviel Obst und Kuchen auf den Weg nehmen, daß ich damit in Toronto hätte zu Markte stehn können.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band I