Bei den Besuchen, die ich in Montreal machte, fand ich bestätigt, was man von dem eigenthümlichen ...

IX.
Ontariosee und St. Lorenzstrom.


Bei den Besuchen, die ich in Montreal machte, fand ich bestätigt, was man von dem eigenthümlichen Charakter der Canada-Franzosen erzählt. Es läßt sich gewiß heiter bei ihnen leben. Ihre Bildung ist zwar durchaus einheimisches Gewächs, aber aus dem was sie wissen, machen sie alles mögliche. Seit einiger Zeit sind die wissenschaftlichen Anstalten in Montreal vermehrt, und denkt diese Stadt wie Toronto ein Hauptsitz der Wissenschaften zu werden. Die Gesellschaft der Canadier ist lebendig, bewegt sich in angenehmen Formen, und hat nichts Steifes oder Gezieltes. Die Frauen schienen mir bedeutender als die Männer; man sagt sie seien schlau, gewandt, feurig, könnten nicht leben ohne Putz und Intrigue, und hätten ein besonderes Wohlgefallen daran, zu sticheln und Bekannte scharf durchzuhecheln in der gutmüthigsten Weise, als wenn sich das so von selbst verstände. Die Männer sind im ganzen träge und zurückhaltend, aber einmal angeregt, sollen sie eben so jähzornig und kräftig, als grausam und rachsüchtig sein. Es wird beiden Theilen nachgesagt, daß sie noch eitler wären als ihre europäischen Vorfahren, und bei jeder Beleidigung außer sich geriethen. Ich sprach auch einige in Montreal ansässige Deutsche, darunter einen alten vornehmen Arzt, der so vollständig canadisirt war, daß er nur mit Mühe und Aerger noch ein paar deutsche Worte hervorbrachte.


Diese canadische Nation, denn sie nennen sich selbst la nation canadienne, hat in ihrer Lage manche Aehnlichkeit mit den Pennsylvanier-Deutschen. Wie diese, waren die Franzosen in Canada eine so lange Zeit von ihrem Mutterlande abgeschnitten, daß ihnen dessen Zustände und Literatur fremd geworden sind. Auch bei ihnen hat sich, wie bei den Pennsylvanier-Deutschen, eine sonderbare Sprache gebildet, ein alterthümliches Französisch mit Englischem und Indianischem gemischt. Sie stehen jetzt ganz vereinzelt, und sind überall umzingelt und durchsetzt von den Englischen. Wären die letztern ihnen nicht zu übermächtig, so möchten sie noch auf eine lange Zeit hinaus ein eigenes und nicht unkräftiges Volk bilden. Jetzt aber sind für sie die Energie, die Kenntnisse und Kapitalien der Engländer unwiderstehlich, und drängen sie rasch auf allen Punkten zurück. Ihr geistiges Leben hat viel zu wenig schöpferische Kraft in sich selbst, und so müssen sie auch ihre geistige Nahrung von den Engländern annehmen. In den Städten lernen die Kinder französisch-canadischer Abkunft meist schon englisch sprechen; dawider kann es nichts mehr helfen, daß einzelne Wohlhabende ihre Kinder auf eine Zeitlang nach Frankreich schicken. Das geistige Uebergewicht der Engländer macht sich aber gerade deshalb fühlbarer, weil die Canadier wirklich in einem auffallenden Grade in der Bildung zurückgeblieben sind. Unter dem Landvolke ist noch jetzt die Kunst des Lesens und Schreibens sehr selten, selbst mehrere Schullehrer und Schulvorsteher sollen weder das eine noch das andere verstehen. Bei den Franzosen in der Louisiana ist es darum nicht besser bestellt. Gesellige Bildung haben sie auch dort beibehalten, aber das Bücherlesen schien ihnen dort wie hier eben so anstrengend als überflüssig. Die Gastfreiheit, der gesellige Takt, die ewige Vergnügungssucht, die Scheu vor energischem Denken und Verbessern ihrer Umstände, die Lüsternheit und Rachsucht sind bei den Franzosen der Louisiana noch heimischer als bei ihren Landsleuten in Canada, welche in ihrem nordischen Klima weniger erschlafft sind als jene im heißen üppigen Süden. Die schlechten Charakterzüge wie die guten eines Volkes treten immer in das hellste Licht, wenn es vom Mutterlande entfernt in fremde, neue Länder versetzt wird, wo alles weit und offen ist. Sitte und Zucht der Heimath die Menschen nicht mehr zurückhält, und die fremde Natur alle ihre Eigenschaften herauslockt. Die Franzosen haben in ihren Colonien den schlimmsten aller Mängel gezeigt, nämlich einen Mangel an Energie, praktischem Verstand und Ausdauer; ihre geselligen Sitten sind dagegen überall liebenswürdig geblieben, selbst wo sie lieber seidene Lumpen als ein reinliches Hemde tragen.

Würden nun die Canadas an die Union übergehen, so möchten die französischen Canadier gleich ihren Landsleuten in der Louisiana rascher von dem Loose ereilt werden, mit ihrer Nationalität zu vergehen. Sie schließen sich deshalb jetzt mehr an die englische Regierung an, und werden von ihr zum Theil mehr begünstigt als selbst die englischen Bewohner der Canadas. Denn die letztern denken ernstlich an die Union, seitdem die Kornzölle fielen und das canadische Korn in England keinen bessern Markt mehr hat, als welches von andern Ländern dorthin eingeführt wird; dagegen bieten die Vereinigten Staaten ihrer Industrie und ihrem Handel reelle Vortheile. Die Politik der englischen Regierung sucht deshalb nun auch eine Stütze in den französischen Canadiern, während sie nach dem Aufstande der Letzteren das englische Element auf alle Weise förderte. Ueberhaupt scheint das System der englischen Regierung schon lange in Bezug auf die Canadas ein Schaukelsystem; sie läßt diese Provinzen möglichst frei schalten und walten, und sich durch Handelsverträge oder sonstwie Vortheile von der Union verschaffen; aber die englische Regierung verfolgt unverrückt das eine Ziel, den Beitritt der Canadas zu den Vereinigten Staaten wenigstens noch so lange hinzuhalten, bis, was die Engländer erwarten, durch die Sklavenfrage die Union zerrissen wird und dann sich die Neuenglandstaaten mit den Canadiern vereinigen.

Die Tour auf den Montrealberg war mir schlecht bekommen: ich war durch und durch erkältet, das Dampfboot nach Quebeck ging nur des Nachts ab und bot kein warmes Zimmer. Ich gab daher die Reise nach Quebeck auf, was mir später leid that, denn Quebeck soll herrlich liegen wie ein Gibraltar auf seinem Kap unter Felsklippen und hohen Bergwäldern. Das Dampfschiff setzte mich über nach La Prairie. Die Ueberfahrt dauert lange, der eine Meile breite Strom ist voll reißender Wirbel und Stromschnellen, gegen welche die Räder ächzend und schnaubend ankämpfen. Man verweilt aber gern, weil ringsum das helle, rauschende Wasser und der herrliche Rückblick auf Montreal mit seinen Thürmen und seinem Hochberge erfreut. Die Eisenbahn führte uns weiter nach St. Johns. Junge Advokaten und Kaufleute aus Montreal saßen im Wagen wie Eisbären in ihre Büffelröcke, Kapuzen und Fausthandschuhe eingehüllt, die Schnapsflasche aber war zwischen ihnen in unaufhörlicher Wanderung. Auf der Strecke zwischen La Prairie und St. Johns wohnt ein Ueberrest einer merkwürdigen Volksart, welche rasch ihrem Verschwinden entgegengeht. Es sind Nachkommen der französischen ersten Ansiedler auf der Halbinsel Neubraunschweig, welche damals Akadien hieß. Durch die Engländer wurden die armen Franzosen von dort mit fürchterlicher Härte vertrieben, und ein Theil wandte sich hierher. Es ist ein rohes, trübsinniges, aber körperkräftiges Volk, welches zu Zeiten hart arbeitet, sonst aber noch gern umherschweift. Die Amerikaner verachten dies akadische Volk und halten es für faul und beschränkt. St. Johns ist ein Hauptort der Akadier und hat aus älterer Zeit einen hohen Kirchthurm und ein Fort, welches harte Belagerungen bestand. Noch jetzt ist es ein wohlbewaffneter Gränzposten. Dort sah ich die letzten rothröckigen Soldaten, denn auf dem Dampfboote ging es jetzt in den Unionsstaat Vermont hinein. Die Gränze bildet die Linie des fünfundvierzigsten Grades. Sie läßt den Amerikanern Plätze offen, deren Besitz ihnen ausgezeichnete Vortheile gewähren würde, wenn es einmal wieder zum Kriege mit England käme. So klug die Engländer sind, haben sie doch bei Verträgen mit Amerikanern vor deren Geschicklichkeit und Ungestüm in der Regel den Kürzern gezogen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band I