Vermont, Staat der grünen Berge! so heißt der mittlere der vier nördlichsten unter den Vereinigten Staaten, ...

X.
Champlain- und Georgs-See.


Vermont, Staat der grünen Berge! so heißt der mittlere der vier nördlichsten unter den Vereinigten Staaten, ein schöner Name, und keinen passenderen hätte man finden können. Der Staat besteht wirklich aus Berggruppen, hier ein Haufen und dort ein Haufen, und jedesmal betten sich weiche bebaute Thäler dazwischen. Und diese Berge haben wirklich ein auffallend helles Grün, schon von weitem erkennt man sie daran, bis über ihre Gipfel wogt und rauscht der frische grüne Wald. Vermont’s Stolz aber sind seine Seen, auf deren immer klarem Spiegel sich die Bergränder abzeichnen. Der bedeutendste ist der Champlain und fast so herrlich wie ein See im Hochgebirge. Wunderbare Schönheit aber entfaltet der benachbarte Georgssee. Des Reisenden Erinnerung wandert gern nach diesen Plätzen zurück, man trifft ja auf den weiten Flächen der Vereinigten Staaten verhältnißmäßig so wenige Stellen, denen die Natur den ewigen Stempel hoher Schönheit und Anmuth aufgedrückt hat. Die Brust des Amerikaners aber bebt freudig, wenn er den Namen Champlain hört. Er denkt nicht an den Naturzauber des Sees, sondern an die Thaten, welche sich an seinen Gestaden und auf seinen Wellen begaben. In den Kriegen mit England war dort stets ein Tummelplatz der Streifcorps. Gegen eine europäische Schlacht und die Summe von Heldenthaten, welche sie verschlingt, nahmen sich zwar die meisten Kriegsvorfälle in Amerika wie kleine Scharmützel aus; aber es ist das Zeichen eines jugendlichen und strebenden Volkes, daß es sich so genau auch die kleinen Glanzpunkte seiner Geschichte merkt.


Der Champlainsee hat nach dem St. Lorenz hin einen Ausfluß, welcher vielerlei Namen führt und gewöhnlich St. John oder Sorelstrom heißt. Sowie man Vermont sich nähert, nimmt dieser Strom an Breite zu, und da eine Landzunge sich tief zwischen die beiden nördlichen Seebuchten streckt und darauf in derselben Richtung sich langgedehnte Inseln folgen, so gelangt man auf den See, während man noch immer aus einer Strombreite zu sein glaubt; nur das Wasser ist klarer und ruhiger geworden. Die Nähe der Vereinigten Staaten scheint solchen Einfluß auszuüben, daß Felder und Wohnungen der Canadier nahe der Gränze ein freundlicheres Aussehen gewinnen. Da zahllose Landspitzen in den See hineingehn, so kommt man alle Augenblick in ein neues Wasserbecken zwischen neue Windungen der Ufer. Da wo letztere oder die Inseln enger zusammenrücken, erscheinen Felsen in allen Farben, am meisten grünroth und blau, und oben darauf dunkles Nadelholz, auf dessen dichtem Gezweig der Schnee sich kräuselte. Die Berge erhuben sich rings in prächtigen Massen, aber sie blieben zu fern, als daß man sie das Gestade des Sees hätte nennen können. Es war etwa wie wenn man auf dem Rheine die Vogesen und den Schwarzwald sieht. Ein höchst mannichfaltiger Pflanzenwuchs entfaltete sich schon an der obern Hälfte des Sees, breitblätterige Sumpfpflanzen und hoch darüber riesige Sykamoren mit hangenden Schling- und Flechtgewächsen, auf den Inseln und Ufertheilen farbiges Moos, blühender Ginster, Knüppeleichen und Zwergtannen, und auf einigen Punkten stolze Gruppen von schöngeschwungenen Waldbäumen und finstern hochragenden Tannen und Fichten. Südlicher hinab hörte der Schnee auf, und Berge und Waldungen traten näher zum Ufer.

Alles war überhaucht von den feurigen Farben des amerikanischen Herbstes, und ich genoß auf diesen Seen ein paar Herbsttage so schön als sie irgendwo auf der Welt zu haben sind. Bei uns nehmen die Bäume, wenn die Winterschauer sich nähern, eine bleiche traurige Farbe des Verwelkens an, nur wenn die Herbstsonne recht kräftig durch unsere alten Eichen-, Buchen- und Birken- Waldungen oder auf Kastanienbäume strahlt, erweckt sie hier und da braunes und rothes Glänzen längs der Baumwipfel. In Amerika aber haben die Blätter noch zu viel Säfte, und wenn die kalten Nachtfröste das Laubdickicht zu schnell überfallen, dann verdichtet sich das Leben darin, ehe es verschwindet, zur stärksten Farbe, zum Roth. Als wären blutige Wolken über die Wälder gezogen und als spiegelte sich die Sonne in Millionen rother Thautröpfchen, so sieht es aus. Die amerikanischen Maler haben es sich viel Farbe kosten lassen, jenes eigenthümliche Wälderroth ihres Landes treulich darzustellen. Es machen aber schon die rothen Dächer einem Maler Mühe, wenn sie ihm nicht die Harmonie seines Gemäldes stören sollen, und man kann sich daher vorstellen, welche rothe Klecksereien jene Anfänger in der Malerkunst liefern. Der beste amerikanische Landschafter, Durant in Newyork, bringt nur sehr vorsichtig in seinen hübschen Waldgruppen das Herbstroth an. Aber man kann nicht zweifeln, daß ein tüchtiger Maler auch das eigenthümliche Rothglänzen der amerikanischen Wälder geistvoll auffassen und ohne grelle Töne wiedergeben kann.

Allerliebst nehmen sich die Städtchen aus, welche vom Seeufer ansteigen. Sie sind so säuberlich weiß und der Seespiegel ist so hell, daß man an Mädchen denkt, die ihren weißen Staat gern im Spiegel betrachten. Der erhabenen Ruhe, welche auf dem See herrscht, thun diese Ortschaften keinen Eintrag. Die Wasservögel, die Reiher, Kraniche und Wasserhühner schlichen still durch die Sumpfpflanzen und Binsen am Ufer, auf den Felsspitzen saßen unbeweglich die Habichte und Fischadler oder schwammen hoch in der Luft. Auch ein Schuß, der dann und wann aus den Felsen zum See niederhallte, störte die Ruhe nicht. Nur einmal wurde der Frieden der Natur in kurioser Weise unterbrochen. Wir fuhren unter einem Felsen her, dessen Abdachung mit kurzem Grase bedeckt abschüssig vom Walde zum See niederging. Auf einmal brach oben grunzend und schreiend eine Heerde Schweine aus den Bäumen hervor, machte wie bedonnert am Felsrande Halt und suchte nun durch die lächerlichsten Bewegungen die Wendung wieder nach dem Walde zu gewinnen. Zweien mißglückte es und sie polterten schreiend ins Wasser. Der Jäger, welcher die bewaldeten Bergufer durchstreift, verwünscht oft genug die borstigen Thiere, sie grunzen und stören überall, und können laufen wie Hunde. So lange die Amerikaner noch in den Wäldern stecken, werden sie immer von Schweinen umringt sein. Je feiner ein Volk wird, desto mehr verschwinden bei ihm die Schweine und leider auch die Wälder. Ich hatte auf meinen Wanderungen in Amerika das Schweinefleisch bald übersatt. Schon in England hatte ich einen Vorgeschmack davon, und ich mußte noch oft an einen alten Italiener denken, der mir in London sagte: „Schneide Sie mich auf, wenn ich nit halb schon bin Schweinefleisch.“

Nachmittags hörten wir eine Stunde lang in den Bergen Baum auf Baum niederkrachen; es waren Wallnußbäume, welche man, um das Nußsammeln bequem zu haben, gleich niederhaut. Die herrlichsten Bäume müssen deshalb in den Grund. Wo ein Baum liegt, denken die Leute, kann ein anderer daneben liegen. Noch sind freilich die schönen Nußbäume in diesen Wäldern wahllos, aber wenn die Waldverwüstung so fortgeht, werden sie doch mit der Zeit aufhören, und dann hören auch die Nüsse auf. Doch daran denkt der gewöhnliche Amerikaner nicht. Indianer und Waldbäume vertilgt er schonungslos, als wenn er einen angeerbten Haß dagegen hätte.

Burlington ist der Glanzpunkt und die lebhafteste Stadt des Champlain. Ein Gewirre von Caps und Landzungen streckt sich vor der Stadt durch den See, und als wenn noch nicht wasserumflossenes Land genug da wäre, prunken auch noch wahllose Felsinseln mit prächtigen Fichten, die hoch in die Lüfte streben. Da der See mit seinen Zu- und Abflüssen einen so ansehnlichen Landstrich durchschneidet, hält er auch seine eigenen Handelsfahrzeuge. Es sind kleine, feste Boote mit dreieckigem Segel, aber zugleich für Ruder eingerichtet. Burlington macht nun den Stapelplatz für die Umgegend, von da gehen die Produkte und Waaren entweder durch den Champlain und Sorel zum St. Lorenz, oder ebenfalls zu Wasser über Whitehall auf dem Kanal bis Albany, wo sie der Hudson aufnimmt. Mit den neuen Häusern in Burlington waren auch neue Kirchen im Entstehen. Zu Beiträgen für dieselben wurden die Einwohner förmlich gepreßt, und man erzählte mir darüber eine schnurrige Geschichte. Zu einem Schottländer, und bekanntlich ist Sparsamkeit eine Nationaltugend der Schotten, kam eine Frau und setzte ihm zu, mehr zu geben zum Unterhalt der Kirche und des Predigers. Frauen machen hier in solchen Dingen die besten Geschäfte, der Schotte erklärte aber auf ihr Andringen: er könne durchaus keinen Cent mehr aus seinem Haushalt entbehren. „Nun gut,“ sagte sie, „rasirt Ihr Euch selbst ?“ – „Nein.“ – „Was kostet Euch die Woche der Barbier?“ – „Vier Cents.“ – „Dann lernt Euch selbst scheeren und gebt das Geld dem Prediger.“ – „Richtig, das macht des Jahrs etwas über zwei Dollars; ich bin jedoch zu alt zum Lernen, will Euch aber was sagen, wenn euer Prediger kommen will mich zu scheeren, soll er die vier Cents wöchentlich haben.“

Wenn das Dampfboot von Burlington wieder in den See hinauswendet, hat man zum erstenmal offenes Wasser von gehöriger Weite vor sich, aber nach einiger Zeit verengt sich das Becken wieder zu einem breiten Flusse. Die Berge rücken jetzt näher, und bei Crownpoint bilden sie eines der erhabensten Landschaftsbilder. Ringsum steigen sie an wie ein Amphitheater von ungeheurer Ausdehnung, ihre Zacken hoch oben in der Wolkenhöhe tief ausgeschnitten wie Riesenkronen. Bald glänzen über den See die weißen Basteien von Ticonderoga; näher gekommen sieht man, daß die Festung in Ruinen liegt. Aber so wie sie jetzt ist in ihrer Verlassenheit, die noch stehenden Mauern und Thürme und Schießscharten überdeckt von Schutt und Gestrüpp, die Wälle überschattet von hohen Akazien, gewährt es einen düsterschönen, zumal in Amerika seltenen Anblick. Ticonderoga’s Wälle wurden vor Zeiten mit Blut überströmt: die Engländer machten sich auf langem Umwege eine Bahn bis zum gegenüberliegenden Berg Defiance, brachten Kanonen hinauf und schossen die Festung zusammen. Auch auf dem Independenceberg und andern nahen Bergen, so wie bei Crownpoint und Plattsburg, sieht man noch Reste von Batteriewällen und kleinen Forts, die Zeugen, wie viel Schweiß und Blut einst in diesen Buchten und Engpässen vergossen wurde. Auf dem See lieferten sich die Flottillen von kleinen Kriegsfahrzeugen ebenfalls heftige Kämpfe, und die Amerikaner, welche dabei ganz in ihrem Elemente waren, verrichteten bewunderungswürdige Thaten.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band I