Ich war jetzt im berühmten Markham Township, dessen Aecker unter die fruchtbarsten gerechnet werden. ...

VIII.
Obercanada.


Ich war jetzt im berühmten Markham Township, dessen Aecker unter die fruchtbarsten gerechnet werden. Ein Sachse, Namens Erhardt, siedelte sich vor ungefähr fünfzig Jahren hier in der Wildniß an; die erste Zeit mußte er von seiner Flinte leben, denn es nahm acht Tage hinweg, um nach Toronto zu fahren. Zehn Jahre später kamen die deutschen Mennoniten aus Pennsylvanien herüber, welche den fruchtbaren und wasserreichen Platz bald ausgefunden hatten; man sagt, der deutsche Pennsylvanier habe eine noch viel feinere Spürnase für guten Boden, als der Yankee. Das Land war in damaliger Zeit wohlfeil zu bekommen, das gute für wenig Geld und das geringere oder kleinere Strecken fast umsonst. Die ersten Ansiedler haben jetzt alle große und reiche Haushaltungen, ihre Kinder mit den stets noch kommenden Zuzüglern aus der Verwandtschaft haben Markham mit den benachbarten Townships bevölkert, und den Waldboden zu einer wahren Korn- und Obstkammer gemacht. Es sind ehrenwerthe Leute, diese Pennsylvanier, und voll so tüchtigem Stoffe, daß wenn die Bildung sie einmal mehr durchdrungen hat, sie ein dauerndes und wohlhabendes Bürgerthum darstellen können. Daß die Pennsylvanier Deutschen bis jetzt in mancher Bildung zurückgeblieben, ja oft sogar sich hartnäckig der Annäherung derselben widersetzten, davon war nicht eine Unfähigkeit, geistigere Stoffe in sich aufzunehmen, Ursache, sondern ihre Abneigung vor allem, was ihnen als englisch-amerikanisch und fremd zukam, sowie ihre Entfernung von dem Heerde ihrer vaterländischen Bildung.


Ich befand mich wohl unter diesen Landsleuten; sie kamen mir vor wie ein Stück deutsches Leben aus verwichenen Jahrhunderten, das hier in die canadischen Wälder geflüchtet war. Meine Begleiter hatten mich zu dem Angesehensten ihrer Gegend gebracht, und ich wurde freundlich in seinem Hause aufgenommen. Mein Wirth war ein ruhiger stattlicher Mann, vom Morgen bis zum Abend thätig und überlegend, er hatte schon fast sechshundert Acker unter dem Pfluge, und seine beste Freude war sein Hirschgarten. Nahe bei seinem Gehöfte hielt er nämlich ein Stück Wald eingefriedigt und darin an dreißig Stück Edelwild, die auf sein Anlocken aus den Büschen rannten, und die Aepfel aus den Taschen suchten; bis das Hundert voll sei, wollte er keins davon abstehen. Als ich ihm erzählte, daß das nur Rehe seien und die Hirsche in Deutschland viel größer wären, überlegte er hin und her, ob er nicht ein paar von diesen großen Hirschen sich verschreiben könnte. Sein Hof war wie eine der großen Bauernwirthschaften in Niedersachsen, lebendig wie ein Bienenstock und alles darin vollauf. Die vortrefflichen Truthähne wurden in den Kohltopf gesteckt wie Hammelfleisch. Die Fülle des Obstes war nicht mehr zu vermehren, und jede Woche fuhr zweimal ein Wagen mit Mehl und Waizen nach Toronto zum Verkaufe. Zum Essen fanden sich in der Regel einige Gäste ein, und eine Art Kuhhorn rief die eigenen Leute aus den Feldern und Scheunen herbei. Was das Haus verbrauchte, würde selbst darin geschafft. Man webte wollene Zeuge und hatte den Schneider dafür auf dem Tische, und die Bärendecken auf dem Kirchenwagen waren von selbst erlegten Thieren. Die Hausmutter schaffte unablässig mit ihren Mägden, und machte keinen Unterschied zwischen ihren eigenen Kindern und angenommenen armen Waisen. Wenn sie ihre Verwandtschaft aufzuzählen anfing, konnte sie damit nicht zu Ende kommen, so viele Brüder und Schwestern, Schwäger und Schwägerinnen hatten im Umkreise von ein paar Stunden eigene Höfe.

Solcher ausgebreiteten Familien sind viele da, das beste Land in der Nachbarschaft ist bereits von ihnen eingenommen, und sie haben noch Geld und Verstand genug, sich auch das weiter entlegene allmählig zu verschaffen. Durch diese Verwandtschaft, noch mehr aber durch ihre religiöse Verbindung, hangen die Pennsylvanier hier enge zusammen, und haben nicht viel mit den übrigen Ansiedlern zu thun. Unter allen Religionsparteien stellen vielleicht diese Mennoniten das altchristliche Gemeindeleben noch jetzt am treuesten dar. Nie habe ich aufrichtigere Frömmigkeit, nie liebevollere Gemüther gefunden. Wo einer von ihnen ins Unglück kommt, helfen ihm sofort die Gemeindeglieder wieder auf. Streitigkeiten werden vor kirchlichen Richtern ausgeglichen; daß einer vor das Gericht ginge, wäre unerhört. Ihre religiöse Versammlung geschieht überaus einfach, die Prediger sind Bauern wie die übrigen, aber sie sprechen nie ohne selbst gerührt zu sein. Der Kirchengesang gefiel mir dagegen nicht, weil sie vor lauter Demuth kaum den Mund aufmachen. Mancher Verhandlung wohnte ich bei; unter Zuziehung von Predigern und Nachbarn konnte bei diesen verträglichen Leuten alles nur im Frieden abgehen. Die Mennoniten und Tunker bilden zwei Drittel der hiesigen Deutschen, unter ihnen wohnen die Plattdeutschen, die eine eigene protestantische Kirche haben. Endlich giebt es sogar eine deutsche anglikanische Kirche, gegründet von einem jener in Amerika nicht seltenen Herren, die sich aus katholischen zu protestantischen Geistlichen umwandelten. Die englisch sprechende Bevölkerung, Irländer und Amerikaner, ist in Markham bei weitem geringer als die deutsche, und wird hier wie überall von den Pennsylvaniern mehr und mehr ausgekauft. Die Deutschen freuen sich, wenn sie wieder einen Irländer über die Gränze geschickt haben. Wo ein paar von den Söhnen der Schmaragdinsel zusammensitzen, da singen und trinken sie ganze Nächte durch, so lange Whisky da ist, und der eine ist immer schmutziger und liederlicher als der andere. Aus den zerbrochenen Scheiben wehen die Lumpen, und durch die Löcher in den Hauswänden trottirt das borstige Vieh ein und aus. Die Mädchen haben gewöhnlich keinen andern Brautschatz, als die Kinder, die sie schon auf dem Arme tragen, und das ist dem Bräutigam nicht unlieb, weil eine Hand mehr im Hause nützen kann. Wenn der Irländer aber einzeln zwischen kräftigen Nachbarn wohnt, so wird er in der Regel nach einiger Zeit ein nüchterner und fleißiger Hauswirth. Anfangs geschieht das aus bloßem Nachahmungstalent, später unterwirft er sich stillschweigend der Zucht, die seine Umgebung auf ihn ausübt. In sich allein findet er weder Antrieb, noch Ausdauer, und böses Beispiel erweckt im Nu alle seine leichtsinnigen Launen.

Die Gegend der oben genannten Townships besteht aus breiten langgezogenen Hügelwellen, deren Ansteigen kaum zu bemerken ist. Das Klima ist dem der nördlichsten Theile Neuenglands ähnlich, allein im Sommer anhaltend heißer und im Winter anhaltend kälter, unbeständig bleibt das Wetter nur ein paar Tage lang. Die Einwohner rühmten ihr Land als äußerst gesund, Fieber verlieren sich auf Neubrüchen bald, dagegen schien Schwindsucht nicht selten zu sein. Das Klima muß scharf angreifen, die Söhne der Ansiedler waren zwar schlanke Burschen, aber ebenso durchgängig schwach gebaut. Der Landbau wird gerade wie in Pennsylvanien betrieben, Mais baut man wenig, wendet aber viele Sorgfalt auf die Obstbaumzucht, Trauben kommen jedoch nicht fort. Das vordinglichste Land ist nur noch aus zweiter Hand zu kaufen, doch ist dessen noch genug. Neue Einwanderer wurden sehr gewünscht, besonders wenn sie zugleich Schulmeister oder Musikanten wären. Die Ansiedlung ist sehr leicht. Wer von Hause aus nichts hat, dient ein paar Jahre bei einem andern, züchtet sich dabei jung Vieh an, und mit dem Erlös seines Jahrlohns kauft er sich Land und macht seine ersten Einrichtungen. Geduldige, verständige und arbeitsame Leute haben jedenfalls hier mehr Wahrscheinlichkeit, zu mäßigem Wohlstande zu gelangen, als in Europa, aber, das sah ich allmählig ein, wer dort irgendwie erträglich leben kann, ist ein Narr, wenn er nach Amerika geht, es sei denn, er wolle sich für die Zukunft seiner Kinder opfern.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band I