Das Canada-Dampfboot, der Admiral, rauschte in den hellweiten Ontario hinaus, und ich betrachtete ...

VIII.
Obercanada.


Das Canada-Dampfboot, der Admiral, rauschte in den hellweiten Ontario hinaus, und ich betrachtete ein paar indianische Frauen, welche furchtsam in ihre Decken gehüllt zwischen Mehl- und Austernfässern kauerten, armes mißachtet Volk. Der wilde Ausruf jenes greisen Häuptlings der Tuscaroras, – das weiße Volk hat uns verdorben, – tönte mir noch in den Ohren. Da hörte ich ein altfränkisches Deutsch lesen und wurde mit ein paar Pennsylvaniern bekannt, die sich mit Andacht in ein Haus- und Hülfsbüchlein vertieft hatten. Sie waren bei ihren Verwandten in der pennsylvanischen Heimath gewesen und erzählten mir von ihrer neuen Ansiedelung oberhalb Toronto’s so viel Herrlichkeiten, daß es mir einfiel, mit ihnen zu gehen.


Wir kamen mit dem Dunkelwerden in Toronto an, das sich wie eine breite Lichterreihe am See hinzog. Die Stadt war noch vor wenigen Jahren unbedeutend, jetzt kann sie sich bereits mit den schönsten Städten des Binnenlandes messen. Man sagte, daß hier jedes Jahr dreihundert neue Backsteinhäuser gebaut würden. Das Bedeutendste der Stadt aber scheint die prächtige Markthalle, in welche die kleinen Wagen der umwohnenden Bauern täglich eine außerordentliche Fülle von Feld- und Waldfrüchten abliefern. Es wurde an mehrern Fahrzeugen gebaut, um diesen Ueberfluß weiter nach dem Meere zu bringen. Toronto erfreut sich eines vortrefflichen Hafens, den eine lange sandige Halbinsel bildet, welche sich neben der Stadt hinstreckt. Vom See aus nimmt Toronto sich nicht besonders aus, da es weder Thürme und hervorragende Gebäude hat, noch hoch liegt. Seine Ausfuhr besteht hauptsächlich in Getreide, Schiffs- und Bauholz, Theer, Ahorn-Zucker und Pelzewerk. Die Ufer des Huronsees und des Obern Sees sind von Feldbau, Gewerben und Handel der Menschen noch nicht belebt, sie haben deshalb auch noch keine Stadt, welche für die Geschäfte und Interessen der Menschen dort den Ton angäbe. Auf dem Gebiete des Michigansees streiten Milwaukee und Chicago um diesen Vorzug, im Bereiche des Eriesees steht Buffalo obenan, Detroit jedoch, Cleveland, Toledo beeifern sich, ihm nachzufolgen. Auf dem Ontariosee aber ist Toronto die unbestrittene Herrscherin, wie auf dem obern St. Lorenz es Montreal ist und auf dem untern Quebek.

Die Stadt des Ontario hat ihren frühern einfachen Namen „York“ mit dem stolzen ins Gehör fallenden Indianernamen „Toronto“ vertauscht, weil wie die Landesversammlung sagte, es der Yorks zu viele gäbe. In den Freistaaten wird dagegen nicht selten der indianische Name gegen einen neumodischen umgetauscht. Aber das merkwürdig schnelle Wachsthum der Stadt, ihr lebhafter Verkehr, ihre gewagten Spekulationen und maßlosen Handelsunternehmungen sind ganz nach der Weise der Amerikaner, das heißt der Bewohner der freien Staaten. Denn sobald Toronto als ein wichtiger Verkehrsplatz erkannt wurde, strömten amerikanische Geschäftsleute dorthin und wurden ihr Ton und ihre Art und Weise zu leben und Geschäfte zu betreiben überwiegend.

Das Volk in Canada ist indeß in seinen untern Schichten von der reißenden Strömung des amerikanischen Lebens bereits ergriffen, auch die Starrheit der obern Gesellschaftskreise kann ihm nicht lange mehr widerstehen. Zur Zeit aber ist in Toronto jener alte vielberufene Familienbund mächtig, der Familycompact, dessen Mitglieder Aemter und Einkünfte des Staates fleißig für sich ausnützen Ihr bester Ankergrund ist die englisch-bischöfliche Kirche, Und gegen diese schärft sich nun der Eifer der Opposition. Aber Unverkennbar hat die Stadt noch eine solide englische Grundlage; die Häuser sind fester gebaut, das Leben auf den Straßen ist geordneter, der Geschäftsverkehr nicht ganz so stürmisch und unsicher als in den amerikanischen Städten. In Toronto ist auch, obwohl die Stadt ebenfalls einen sehr bedeutenden Theil ihrer Bevölkerung aus Emporkömmlingen und „selbstgemachten Leuten“ bekommen hat, mehr Bildung und europäische Geselligkeit ansässig, als in den Städten auf der andern Seite des Ontario. Man findet sich dort in den Häusern der Engländer nach England versetzt; Officiere, Dandies, Damen in den neuesten Londoner Moden leben ganz auf englischem Fuß; jedoch reiten und fahren die Damen mehr und wilder, als sie es in den Städten des Mutterlandes thun würden. Auf dem Markte und am Hafen wogt amerikanisches Leben, rastlos und beweglich, und aus allen Sorten von Bildung und Selbstgefühl zusammengesetzt. In der Hauptstraße dagegen zeigen sich Soldaten und lange steife Ueberröcke mit vornehmen englischen Gesichtern. Aber auch Irländer in Lumpen, zerbrochene Fensterscheiben, gebrechliche Personen erinnern daran, daß man nicht mehr in den Freistaaten ist, wo Armuth und Elend die Oeffentlichkeit scheut. Die Hochschule in Toronto ist gut eingerichtet und in Canada berühmt; aber die ganze Rechtswissenschaft zählt nur einen Professor und die ganze Theologie noch einen mehr. Das kommt einem Europäer so dünn vor, wie der Gehalt mancher Wissenschaft, so weit sie auf amerikanischem Boden gewachsen ist. Das stattliche Gerichtshaus Toronto’s

vereint mehrere Richter, die einen guten Namen im Lande haben und es sich etwas kosten lassen, in den zähen Wirrwarr des altenglischen Rechts Manier hineinzubringen.

Meine pennsylvanischen Freunde ließen mir Zeit, mich in Toronto umzusehen, denn sie fanden unter den Farmern auf dem Markte in Toronto eine Menge von Landsleuten, welche alle herbeikamen, um etwas von ihrem Mutterlande Pennsylvanien und den dortigen Verwandten zu hören. Erst spät Nachmittags fuhren wir ins Land hinauf. Einige Meilen weit war die Gegend gut angebaut und die Hügelreihe mit den Aussichten auf den See blieb immer gleich reizend. Dann aber schien alles wie begraben in den Wäldern. Die Straßen waren eben erst durchgehauen und die Baumstämme lagen zu beiden Seiten wüst durcheinander, selten kam eine ärmliche Blockhütte zum Vorschein. Fichten und Cedern bildeten mit den Schlingpflanzen, die ihre Stämme umhüllten, ein undurchdringliches Dickicht, kein Ton wurde laut, als das dumpfe Wogen der endlosen Wälder. Hier sah ich zuerst den prachtvollen Farbenschmuck, mit welchen die Natur im Herbste ihr grünes Haar überhängt. Wo die Straßen sich kreuzten und die Abendsonne ihre rothen Lichter über die langen Baumreihen goß, konnte der Blick sich nicht sättigen. Der ganze Wald strahlte in Gluth. Das war nicht die Farbe des Erbleichens und Abschiednehmens, sondern eine ächte stehende Jahrszeitfarbe, die fast ebensoviel Kraft und Raum hat, als das Frühlingsgrün. Die amerikanischen Wälder haben das voraus, daß sie zweimal im Jahre sich umkleiden und beidemal prächtig. Der rothe Blätterschmuck sitzt im Herbste noch so fest und üppig an den Zweigen, als der grüne im Frühjahr. Das Ueble war nur, daß man diese herbstliche Waldherrlichkeit nicht ruhig genießen konnte. Denn die Wege blieben schrecklich. Man bekommt die Seekrankheit nicht bloß auf Schiffen, sondern auch bei Wüstenreisen auf dem heftig die Glieder hinundherwerfenden Kameel, aber ein Fuhrwerk auf amerikanischen Waldwegen ist noch schlimmer als Seeschiffe und Kameele. Unaufhörlich geht es in die Tiefe und wieder in die Höhe, aus einem Straßenloch fällt der Wagen ins andere, und man wird gewiegt und geschüttelt und geworfen nach allen Seiten. Springt man nun aus dem Wagen heraus, so versinkt man unglaublich rasch bis über die Knie, und Koth und Wasser laufen einem hinterlistig in alle Taschen. Indessen ist schon der Anfang einer Straße in diesen Wäldern erfreulich, und man muß die Sorgfalt der Regierung, meilenweite Strecken durch Ueberlegung mit Bohlen fahrbar zu machen, anerkennen. Abends, etwa sechs Wegstunden von Toronto, kamen wir aus den Wäldern heraus, und so weit das Auge reichte, dehnten sich schöne helle Felder und stattliche Gehöfte, untermischt mit Waldstreifen. Der Anblick war dem Pennsylvaniens ähnlich; jedoch kann Canada noch nicht so viel prächtige Scheunen und Wohnungen haben, und alles sieht noch so neu aus, als wäre es eben im Walde fertig geworden.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band I