Auf halbem Wege zu den Fällen zurück kommt man an den Wirbelpfuhl. Er hat in der That etwas Grauenhaftes, ...

VII.
Am Niagara.


Auf halbem Wege zu den Fällen zurück kommt man an den Wirbelpfuhl. Er hat in der That etwas Grauenhaftes, wenn man ihn von oben sieht. Das Wasser schießt blaugrün, in breiten brausenden Wirbeln kreisend und sich ausdehnend, in der tiefen Felsschlucht dahin. Es hat hier ein meilenweites Rund in das Gestade hineingerissen. Steht man oben am Rande des Felsenkessels, so strecken unten aus senkrechter Tiefe die Bäume ihre Wipfel herauf. Das Ufer ist üppig mit Gras und Gebüsch bewachsen, aber wirklich gefährlich zu begehen, denn sehr leicht löset sich das lockere Gestein und Erdreich ab und stürzt ein paar hundert Fuß tief zwischen die Baumwipfel. Ein abschüssiger Weg führt hinunter zum Grunde des Kessels. Dort ist man wie in der Unterwelt. Ungeheure Bäume, umhangen von riesigem Flechtwerk, umstehen die weiten Wasserwirbel. Schlamm und Sümpfe und ein furchtbares Gewirr von modernden Stämmen hemmen den Eintritt in das feuchte Walddunkel. Ringsum starren die düstern Felsen scheinbar bis an die Wolken. Den breit vortretenden Koloß nannten die Indianer den Manitufelsen. Weiter hin gähnt das Teufelsloch, eine finstere Höhle, in welche die Wogen hineinschlagen. Gern steigt man aus dieser Tiefe wieder hinauf in den lichteren Urwald, der hier sich in aller Pracht und Fülle ausbreitet.


Oben am Wirbelpfuhl sah ich eine kleine, aber nette Farm und ging hinein, um etwas zu essen. Ich wurde überrascht durch das holländisch reinliche Durcheinander in der Stube, ich fand in der Küche hellgescheuerte Kessel, außerdem einen vortrefflichen Milchkeller und das ganze Haus voll Käse. Auch an dem ruhigen, langsamen Wesen der Leute war gleich zu

erkennen, daß sie holländischer Abkunft waren. Man wird überhaupt noch auf lange Jahre hinaus im weiten Gebiet der Vereinigten Staaten an Hauseinrichtung, Sitten und Benehmen der Leute merken können, ob sie von Yankees, Virginiern und Kentuckiern, von pennsylvanischen Deutschen, Kreolen und französischen Canadiern, oder von neuen Einwanderern aus Europa abstammen. Etwa drei Stunden von den Fällen wohnen noch Tuscaroras. Sie stammen aus den Carolinas und wurden von den fünf Nationen der hiesigen Indianer als die sechste aufgenommen. Ihre Ortschaft besteht aus einer Anzahl roher Hütten, welche im Buschwerk verstreut sind, und einigen größeren Farmen. Die meisten Wohnungen sind noch immer nur Baracken, zu welchen Wind und Regen freien Zugang haben; Birkenrinde dient zur Thür und zum Vordache, und im Innern herrscht die vollständigste Zigeunerwirthschaft.

Der erste Indianer, auf den ich traf, kauere dicht vor seiner Thür bei einem Feuer; er hatte sich einen Heerd von ein paar rohen Steinen zurecht gemacht und einen Kreuzstock darüber gestellt, an welchem sein Topf hing. Aus diesem ragte ein mächtiges Stück Fleisch hervor und der Schaum, der herauslief, löschte das Feuer halb aus; der Alte aber blieb unbeweglich und gab mir, als ich ihn ansprach und anrührte, weder ein Wort noch eine Miene. Darauf kam einer, welcher eine rothe Soldatenjacke trug, die er ohne Zweifel von einem Engländer jenseits des Stromes erhandelt hatte; er lachte mir freundlich zu wie ein gezierter Held; da seine Jacke so schön war, glaubte er statt der Beinkleider sich mit einer windigen Schürze begnügen zu können. Bald sah ich noch einige andere Männer, welche ziemlich vollständig in Landestracht gingen, jedoch saß das Zeug allen schlotterig und die Röcke waren so lang, daß sie auf der Erde schleppten. Auch einige Weiber kamen einher geschritten, und dies sah wirklich malerisch aus: sie gehen ruhig, stolz und gerade; über den Kopf haben sie eine Decke gebogen, das schwarze Unterkleid hat unten weiße Fransen und Borten, und darüber tragen sie eine Tunika von heller Farbe.

Es herrschte tiefe Stille in der Ortschaft und die Menschen gingen lautlos vorüber. Ich trat in einige Hütten ein; alle Bewohner zeigten ein scheues oder finsteres Wesen, die Kinder verkrochen sich unter die Bank von Flechtwerk, und die Weiber boten jedesmal gestickte Mocassins und Körbchen zum Kaufe an. Nirgends zeigte sich unter den Frauen und Mädchen eine anziehende Gestalt, sie waren alle breit und dick mit harten Gesichtszügen. Unter den Männern aber gab es einige wahre Hünen. Dies arme Volk war ganz verkümmert und so unreinlich in seinen räucherigen Hütten, daß mir die Lust verging, darin eine Nacht zuzubringen.

Endlich wurde mir das Haus des Predigers gezeigt, und dieser gute Mann gab mir freundliche Herberge, da es mittlerweile spät geworden war. Am andern Morgen führte er mich zuerst zur Kirche. Da sie oben an der hier durchlaufenden jähen Senkung der Gegend steht, so hat man unter sich viele Meilen weit ein grünes Meer unabsehlicher Waldung; in der Ferne schimmert der See, ein ganz eigener wundervoller Anblick. Die Indianer singen in der Kirche halb englisch, halb indianisch, und beim Prediger steht ein alter Indianer, der Satz für Satz dem Volke dolmetscht. Wir besuchten nun einige sogenannte Chiefs oder Häuptlinge, welche eine bessere Ackerwirthschaft haben und ungefähr die Rolle der Friedensrichter spielen. Sie sprechen dürftig englisch, jedoch war nur einer von reinem indianischem Blute, und als der Prediger mir erzählte, daß manche Indianer bei Streitigkeiten bereits vor das ordentliche Gericht gehen, rief Jener, der sich sonst schweigsam verhielt, mit rauher Stimme: „Das weiße Volk hat sie verdorben!“ Einer der Häuptlinge hatte eine niedliche Weiße zur Frau, welche aus der wohleingerichteten Farm fleißig wirthschaftete; sie erröthete etwas als der Halbindianer sie als seine gute Frau vorstellte. Die Sprache dieser Indianer ist wohltönend und hat eine Menge feiner Lispellaute. Sie sprechen sehr lebendig, und wenn sie aufhören, verziehen sie den Mund noch eine Weile. Die Regierung behandelt sie noch immer als ein fremdes, selbstständiges Volk und hat ihnen gewisse Landstriche (Reserves) als Eigenthum gewährt; so wie sie sich vermindern, kaufen Gesellschaften mit Erlaubniß der Regierung diese Landstriche an. Ein Theil der Tuscaroras war vor kurzem von hier nach dem nördlichen Wisconsin gezogen, aber meist umgekommen. Auch die Zurückgebliebenen werden nach und nach verschwinden, sie zehren an einer dunkeln Sehnsucht nach fernen Wäldern und Prairien, und wenn sie Whisky haben können, trinken sie ohne Aufhören.

Nachdem ich mich nun an all dem Herrlichen, was die Niagarafälle darbieten, gesättigt hatte, verließ ich die mir theuer gewordene Gegend. Gerade ein Jahr später kam ich von meinen westlichen Wanderungen über die Seen nach Buffalo zurück und sah den Niagara wieder. Noch einmal durchstrich ich die dunkeln, von Felsen und Cedern überhangenen Gänge auf der Ziegeninsel, noch einmal stand ich an den einsamen, rauschenden Stromschnellen und überließ mich wieder der vollen Majestät des Anblicks der Fälle auf der Canadaseite. Mit langen Schritten eilte ich auch hinauf zu meinem lieben Lundy Lane. Die Familie erkannte mich von weitem und nahm mich herzlich auf. Mein Wirth war durch gute Spekulationen dreimal reicher geworden. Das schöne Mädchen saß als junge Frau viele hundert Meilen von da in einer Waldfarm, aber der Backfisch vom vorigen Jahre trat mir entgegen in dem Reitz und Stolz einer amerikanischen Jungfrau. Solche schnelle Veränderung ist landesüblich. Ich trank im Hause ein gutes Glas Wein und kam zu spät wieder auf die amerikanische Seite; der Eisenbahnwagen nach Buffalo war schon abgefahren.

Da besuchte ich den alten Italiener mit seiner deutschen Ehehälfte, die hier schon lange ein Lager von Raritäten halten und den meisten durchziehenden Gasten einen Eichenstock von der Ziegeninsel verkaufen. Auch der Alte sprach etwas deutsch, es fanden sich noch zwei dort ansässige Landsleute hinzu, und sonderbar genug verbrachten wir den Abend mit Gespenstergeschichten, in welche der alte Niagara hinein donnerte. Am andern Morgen war das ganze Flußthal bedeckt mit dichten hellweißen Wolken, welche hin- und herwallten, und von den Fällen war wenig zu sehen. Mir aber ist der Niagara in der Seele stehen geblieben, wie ein flüssig Hochgebirge.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band I