Von Chester, wo man unter dem ärmeren Volke schon etwas von den wälschen Gurgeltönen vernimmt, ...

III.
Nordwales.


Von Chester, wo man unter dem ärmeren Volke schon etwas von den wälschen Gurgeltönen vernimmt, fuhr ich nach Flint dem Gestade entlang. Anfangs regnete es stark, das Boot wurde fast überschwemmt und tanzte vor dem Winde über die schäumenden Fluthen. Nach und nach wurde es lichter und das Meer glatter, die vier Ruderer, unterstützt von Wind und Segel, ließen das Schiffchen fliegen. Sie waren fröhlich und wohlauf und äfften die wälsche Sprache nach. Jedes Boot, das in der Abendstille vorbeikam, wurde angerufen und gab Antwort. Die Luft war dunkel und feucht, das Wasser hell, am Ufer gingen Fischerböte ihrem stillen Geschäfte nach. Vom linken Ufer schrillte dann und wann ein Klang aus den Werkstätten herüber, in denen hier Schiffe und eiserne Dampfboote gebaut werden; etwas weiter erhoben sich endlich die grünen Berge, deren erster Anblick nach so langen Ebenen mich schon am Mittag entzückt hatte. Dann zeigte sich Flint. Die breite Burgruine von der Fluth bespült, die Schiffe und Böte, die alterthümlichen Häuser und Hütten weithin zerstreut, das Holzwerk am Strande, allerlei Volk dazwischen, hochragend im Hintergrunde das Gebirge, das alles, von Ruhe und feuchtem Glanze umschlossen, machte einen wunderbaren Eindruck. Die Seele ging mir auf. All die Land- und Seeräuberromantik hob sich aus ihren dunkeln Gründen hervor: hier die ewige Meeresfluth, am Gestade die Forts, von denen herab die normännischen Herren die Wälschen bezwangen, dort die tiefen Bergschluchten, aus denen die Weißmäntel hervorbrachen. Weil es eben Ebbe war, ging man über eine Strecke Meeresboden zum Lande, die Seekrebschen schlüpften mir unter den Füßen weg.


Das Castle Inn war vortrefflich, angefüllt von See- und Handelsleuten, und dennoch sauber und gemächlich eingerichtet für andere Reisende. Hier am Eingange des Gebirges, welches jetzt der Lieblingsplatz der englischen Touristen ist, war man ganz auf sie eingerichtet. Zur Nacht reichte man mir ungefordert Schlafmütze und ein feines Nachthemde. Der Kaffee war so gut, wie bei uns an Brunnenorten, was für England viel sagen will, und die mancherlei Fischgerichte wirklich köstlich. Ich unterhielt mich des Abends lange mit einem Schiffskapitän aus Memel, einem Pommer, dessen Eltern und Verwandten immer Schiffer gewesen, er war in diesem Berufe mit seinen Gedanken und Ansichten so fest gewachsen, wie ein Großbauer auf seinem Hofe. Sein Schiff, welches Holz geladen hatte, lag am Ufer und hatte Gebrech. Ich lernte von dem Kapitän mancherlei über die Städte und Frachten der Ostsee, über den Sund und die preußische und englische Rhederei. Das Endergebniß der Unterhaltung war, daß unsere Schiffsleute von der Ostsee ebenso wie die von der Nordsee wohl fühlten, was sie mit ihren Kräften für stattliche Leute sein könnten, wenn das Land und die Regierung den deutschen Seehandel mehr unterstützten.

Am Morgen besuchte ich das preußische Schiff und stöberte dann am Strande umher nach Seegewächsen. Muschelsucher gingen weit vom Ufer mit ihren Körben in der See, denn der Strand ist hier sehr flach; es sieht von ferne seltsam aus, man meint, die Leute wandelten auf dem Meere. Die Burgtrümmer von Flint erheben sich mächtig auf Felsen, welche die Fluth seit Jahrhunderten auswäscht. Um die alten Zinnen streiften die Wolken, von denen die Bucht umsäumt war, und durch sie hindurch schnitt hin und her das weiße Mövengefieder. Zu Zeiten wurde das Gebirge durch Sonnenblicke grün erhellt. Die Besatzung in der Burg muß ehemals von vieler Gefahr umdrängt gewesen sein, denn das Schloß war überaus stark befestigt. Die beiden Landseiten des Vierecks waren durch drei gewaltige Thürme beschirmt und von tiefen Gräben umzogen, die beiden andern Seiten vom Meere bespült. Vor dem Eingange erhob sich noch ein stärkerer Thurm, in welchem sich drei Rundgänge über einander befanden, so daß zuletzt noch in der Mitte des Thurmes ein Vertheidigungsort blieb. Dieser Thurm steht durch einen unterirdischen Gang mit der Burg in Verbindung, und auch unten war der breite Burgberg noch mit Graben und Wallmauer umgeben. Jetzt ist ein Gefängniß auf dieser Höhe. An einen Trümmerrest lehnte sich eine Gesellschaft Engländer, wahrscheinlich Badegäste, die Flint häufig besuchen; sie sangen, beteten und plauderten wechselweise, indem sie auf das Meer starrten. Flint hat bedeutende Fabriken, die einen argen Rauch über den Ort verbreiten. Auch hier fand ich in der größten Fabrik, in welcher Vitriol, Bleiweiß u. s. w. bereitet wurde, einen Deutschen als Vorsteher. Das war mir schon öfter in England vorgekommen.

Gegen Mittag ging ich voll Erwartung in’s Wälsche hinein. Der Weg zog sich eine Zeit lang an der Küste hin, auf der einen Seite folgten sich angenehm bebaute Anhöhen, auf der andern glänzte der Meerbusen. So ein Gang zwischen dem Berggrün der Küste und der leuchtenden frischen See macht das Herz fröhlich. In den kleinen Ortschaften umschwärmte mich oft ein Haufen neugieriger und jubelnder Kinder, denn Bart und Reisehut erwecken noch immer in England Aufsehen. Wie es scheint, brauchen die Engländer ihre auffallende Reisetracht nur in der Fremde, in der Heimath kleiden sie sich gleich wieder fein bürgerlich. Bald ging es von der Küste ab, ein dunkles Thal hinauf, da war ich auf einmal mitten im Gebirge, sah wieder bebüschte Berglehnen, unten die weidenden Rinder, oben den klaren Aether, und hörte wieder Wasser plätschern und Vögel singen. In Holywell war der Freitagsmarkt und die Wälschen dort in Masse versammelt. Durchgängig sind es dicke, kurze Menschen, wie ein Beutel, der auf zwei Beinen läuft, sind immer lustig und verliebt, und wie Kinder neugierig und zutraulich. Der Engländer läßt sich sein Urtheil von seiner Partei zurecht machen, er folgt gefügig der öffentlichen Meinung und ist in seinem Denken und innern Gefühl weit wenig selbstständig und eigenherrisch als der Deutsche. Auch die Zeitungen der Engländer sind nichts als derbe Parteiblätter, jedes Wort darin ist vom Parteiinteresse eingegeben und außer diesem ihnen alles andere gleichgültig. Aus dem Kampfe dieser schroffen Parteiinteressen entwickeln sich die großartigen Maßregeln für das Land und das geradewegs praktische Handeln der Einzelnen. Der Wälsche dagegen läuft immer mit dem Troß, bei ihm ist die öffentliche Meinung eine Windfahne, bald herrscht die eine Gruppe vor, bald die andere. So sah ich auch hier die Leute gruppenartig zusammenstehen und mit Händen und Füßen agiren. Ihre Sprache klingt unangenehm, als hätten sie einen Knochen im Gaumen, sie gurgeln alles heraus, noch viel schlimmer als die Schweizer. Dies wälsche Volk, das einst fast ganz Europa besetzt hatte, ist noch immer merkwürdig genug. Wieviel von diesen beuteligen Leuten mag unter der Kappe einer andern Volksart in der Welt umherlaufen. Ihre reine Nationalität freilich ist überall, in Spanien und Frankreich, in England und Schottland in die höchsten Gebirge zurückgedrängt, und ihre Eigenthümlichkeit muß täglich mehr vor der eindringenden germanischen Kraft verbleichen.

Von Holywell schlug ich den Fußweg über das Gebirge ein. Auf der Höhe war eine weite Aussicht über die Bai und auf die ringsum sich thürmenden Berge, die hie und da eine Burgkrone trugen. Ueber eine Hochebene und durch fruchtreiche Thäler kam ich nach Caerwys, welches unter einem hohen Berge liegt und jetzt eben anfängt, sein mittelalterlich schwärzliches Kleid etwas zu lüften. Wenn die wälschen Städte nur auch aus ihrem alten Schmutze herauskämen. Wenn an nichts anderem, so würde man schon an der Abwesenheit der englischen Sauberkeit merken, daß man in Wales ist. Ich fand indessen in Caerwys gutes englisches Ale und ging dann ohne Weg und Steg nach Denbigh. In Nordwales ist es angenehm zu Fuß zu reisen, bald hat man die Straße ein breites Thal hinab, mit weiter Aussicht im Hintergrunde, bald geht der Fußweg wieder über klare Hügel und durch tiefe Schluchten, welche von Gebüschen überdeckt sind, überall aber kann man mit einiger Anstrengung und Kletterei leicht auf die Berge und Joche kommen, und jedesmal sieht man sich durch eine frische Aussicht belohnt. Zur Linken lag mir ein Berg wie er sein muß, am Fuße Fruchtfelder und Gärten, darüber ein Waldgürtel mit Wässern und Mühlen, weiter oben alles glatt und rund wie ein Kegel, und auf dem Gipfel zackiges Felsgestein, und eine weite Aussicht, halb in finstere Gebirgsschluchten, halb in lichte Breiten. Ich übersah von der Höhe dieses Berges den Meerbusen, welchem entlang ich gekommen, und die Halbinsel, auf der Birkenhead liegt, auch der andere Meerbusen schimmerte herüber. Auf der einen Seite stand Hochgebirge, nach den beiden andern Richtungen zogen sich tiefe, breite Thäler, von mächtigen Höhen umschlossen, hinter denen noch ansehnlichere Kuppen emporragten. Die Aussicht abwärts in die bebauten Thäler hatte viel ähnliches mit der im Erzgebirg gewöhnlichen. Oben waren nur Berghämmel und Geier. Es gab einen kleinen Sturm, und ich sah von einer Felsenhöhlung aus gemüthlich hinab auf die dunkeln, regnenden Wolken unter mir, auf die Streiflichter, welche die gegenüberliegenden Höhen erhellten, und endlich flimmerte der Regenbogen an den grünen Gebirgswänden. Herunter wand ich mich durch Gärten und Parks wieder auf die Straße, sie führte nun anderthalb Stunden lang durch eine Thalmulde, welche den reichen Thälern in Tyrol und in den südlichen Alpenabhängen glich, so stolz die Berge, so hoch gewölbt waren die Bäume, so üppig die Stauden und Pflanzen, und dazwischen die Landhäuser weiß und niedlich. Es muß übrigens in Wales Geistergeschichten in Menge geben, man kommt gar zu häufig an Plätzen vorbei, welche entschieden dafür passen, an himmelhohen Erlen in schwarzen Schluchten, am Quellensprudel auf heimlichen Wiesen, an sturmumrauschten Felsgestalten und an reißenden oder tiefschleichenden Flüssen. Wo eine dunkle Naturgewalt an einsamen Stellen Macht über den Menschen gewinnt, da stellt sich das Volk ja gern einen unheimlichen Geist vor.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band I