Nach den geräuschvollen Wochen, welche ich im Arbeitsgewühl der englischen Städte zugebracht ...

III.
Nordwales.


Nach den geräuschvollen Wochen, welche ich im Arbeitsgewühl der englischen Städte zugebracht hatte, lechzte ich nach Wald und Einsamkeit. Nordwales wurde als das Land der hohen Gebirgsromantik gepriesen, ich fuhr also von London nach Liverpool mit dem Abendzuge, der in fünf Stunden von einem Ende der Englandsinsel zum andern rasselt. Zwischen Liverpool und den Bergen von Wales ist eine Landzunge von ein paar Stunden Breite von Meer und Strom umflossen, ich dachte sie quer zu durchschneiden, und ließ mich über den Meerarm, River Mersey, welcher Liverpool die Schiffe zuführte übersetzen nach Birkenhead aus dem andern Ufer. Die Rhede bietet eine prachtvolle Wassersicht, voll von schlanken Schiffen und dennoch blank und weit, drüben glänzen die Hügel von Grün und weißen Landhäusern. Auf der Dampffähre ließ sich das schottische Pibrok hören, es klingt ächt gälisch, kindisch fröhlich und frech. Es waren auch vier junge Engländer da, sichtlich aus den höchsten Kreisen, denn sie fuhren hernach vierspännig weiter und von prachtvoller Livree bedient; sie fielen mir auf wegen ihres feinen und leichten Wesens, welches die nationale englische Steifheit ganz abgeschüttelt hatte, jedoch konnten sie es nicht lassen, schallend mit den Füßen den Takt zum Pibrok zu stampfen. Auf dem höchsten Punkte von Birkenhead labte ich mich an der Stille, welche mich hier endlich wieder umgab, und an der Aussicht da unten, wo der Dampfwagen zwischen den häuserbedeckten Hügeln einherbrauste und die Schiffe auf der breiten hellen Rhede fuhren. Die Ebbe umzog diese mit einem dunkeln Streifen zwischen Meer und Land, so weit nämlich das Wasser von Lande zurücktrat. Jenseits streckte sich die unabsehliche, vom Rauche meist verhüllte Seestadt hin.


Dann ging ich hügelauf hügelab in die kleine Halbinsel hinein, ergötzte mich an der niedlichen Landschaft, die jedoch bald einförmig wurde, sah in die Häuser und lernte Mancherlei vom Leben des englischen Landvolkes kennen. Häufig spazirte ein hübsches Kind mit dem Buche in der Hand im Grünen umher, freilich auch manche aufgeputzte alte Jungfer, denn England ist das Land, wo die Jungfrauen alt werden wie geräucherte Fische. Der Gang der Engländerinnen ist fest und aufrecht, jedoch nicht anmuthig, und erinnert wohlmal, wenn das Selbstbewußtsein der Dame nicht durch Geist und Leben unterstützt wird, an den ehrbaren Ganz der weißen Gänse. Die freundlichsten Landhäuser standen auf allen Höhen so behaglich als es sich nur denken ließ. Auch der gemeine Landmann wohnt in netten Steinhäuschen, wenn sie auch nur ein Strohdach haben. Es ist sehr beschränkt darin, aber alles blank und zierlich, wie bei Kindern. Ein Kämmerchen ist an dem andern, in jedem aber weiß man Putzwerk anzubringen. Dazu muß sich namentlich das Hausgeräth hergeben; das feinere, oder wenn man nichts anderes hat, auch wohl Muschel und Quarz glänzt aus dem Kaminsimse, eine Menge Zangen, Feuerstecher, Schüppen, Krüge und dergleichen bekleidet die Wände, leere Flächen in der Stube kann man nicht leiden. Es liegt etwas Heimisches in dieser Sitte, denn auch das Hausgeräth gehört zu unserer Gemüthlichkeit, aber in England machte es zu oft die Stube der Küche ähnlich und dient gleich wohl nur zum Prunke. In alten Bürgerfamilien Deutschlands ist etwas Aehnliches üblich, aber da läßt man doch nur das Silber- und Zinngeschirr und die Ehrengeschenke glänzen.

Mit meiner Wanderung auf gut Glück kam ich aber übel an. Der Fremde in England, namentlich wenn er zu Fuße und von den Hauptstraßen abgeht, muß um sein Nachtquartier erst lange unterhandeln, sonst bekommt er keins. Der Engländer ist mißtrauisch gegen Die, welche er nicht kennt. Ich fragte drei- oder viermal um Herberge an, jedesmal entstand lange Berathung, ich mochte ihr Ende nicht abwarten und mußte zuletzt in der Nacht noch einen guten Theil Weges zurückwandern. Dabei sah ich hin und wieder einen alten Mann zwischen den Zäunen schwanken, welcher des Brandy am feuchten Abend zu viel genommen hatte. Die Engländer singen nicht bei dem Trinken wie die Deutschen und lärmen auch nicht dabei, wie die Irländer, aber sie trinken jeden Abend, wenn sie es haben können, fast ebensoviel wie die Schweden am Sonnabend, zu welcher Zeit es unter den Skandinaven nicht so leicht sein soll, einen ganz nüchternen Mann aufzufinden. Ich erhielt endlich nicht weit hinter Birkenhead in einem Privathause eine gute Aufnahme.

Tags darauf ging meine Wanderung noch weiter zurück, um auf der Eisenbahn nach Chester zu kommen. England ist das Land der Heckenreiter und Strauchdiebe, allwärts giebt es dichte Hecken, Gebüsch, Gräben und sonst allerlei Verstecke. Es regnete häufig; Luft und Wetter auf dieser Insel sind die meiste Zeit so wie bei uns nach langem Regen.

Chester ist eine von Englands altberühmten Städten. Wenn man von Liverpool dahin kommt, erinnert man sich an den Gegensatz zwischen dem prächtigen Hamburg, der lebenvollen Welthandelsstadt und Lübeck, welches wie eine königliche Witwe trauert in stiller Zurückgezogenheit. Der Hafen Chester’s ver-sandete, und Handel, Volksgewühl und Pracht zogen nach Liverpool. Auf den Plätzen von Chester stehen zwar nicht so viele alterthümlich schöne Gebäude, wie in Lübeck, dort wohnt auch kein Andenken an eine Zeit, wo die Stadt eine stolze Herrin von Land und Meer gewesen wäre, gleichwie einst die deutsche Hansestadt. Aber durch die dunkeln Thore tritt man gleichsam wieder ein in lang vergangene Zeiten, Ehester hat eine große Geschichte gehabt und lebt noch von den alten Erinnerungen. Mit dem deutschen Mittelalter verknüpft sich auch das Denkmal Kaiser Heinrichs IV. Es geht hier die Sage, der Vielverfolgte habe sein unselig Haupt bis hierher an die wälsche Küste getragen, und die Bürger von Chester hätten aus Mitleid und Ehrfurcht den hohen Gast auf das Beste beherbergt, den einst die erhabenste Krone der Christenheit schmückte. Wirklich steht noch in der Kathedrale von Chester des Kaisers Grabmal, wohl geziert und in Ehren gehalten, während unsere Geschichtsbücher melden, er sei in Lüttich gestorben und in Speier beigesetzt. Das tragische Schicksal, welches sein Leben so unheilvoll zerrüttete, scheint auch noch das Andenken an den Ort verwirren zu wollen, wo seine müden Gebeine die Ruhestätte fanden. Der altehrwürdige Dom von Chester reiht sich den Kathedralen an, welche in so vielen englischen Städten mit ihren Thürmen, Säulenhallen, Schnörkeln und Winkeln der aufwachsenden Jugend gleichsam in die Seele hineinwachsen. Auch eine stattliche Burg erhebt sich hier, und in unserer Zeit durfte die Markthalle nicht ausbleiben. Burg, Dom, Markthalle fehlen fast keiner der alten Städte Englands. Aus der kriegerischen Zeit der Lehnsbarone stammen die Burgen, ans der Zeit kirchlicher Herrlichkeit, wo England die Perle der päbstlichen Krone war und den Peterpfennig nach Rom zahlte, die Kathedralen, und jetzt baut jede Stadt ihre Markthalle so weiträumig und prachtvoll, als hätten sie sich das Wort gegeben, das Zeitalter des englischen Welthandels solle darin würdig dargestellt werden. Ehester ist auffallend regelmäßig gebaut, die Straßen kreuzen sich in großen und kleinen Vierecken. Auf der breiten Stadtmauer läuft rings um die Stadt ein gebahnter Fußweg, ein Spaziergang hier oben bietet eine reiche Abwechslung von Ansichten allerlei alter und neuer Baulichkeiten. Noch merkwürdiger sind die Gallerien über den Straßen. Wie in vielen alten Städten, hatte jedes Haus unten nach der Straße hin eine offene Halle, welche durch Säulen gestützt wurde, hinter denen sich die Schauläden befanden. Diese Hallen bildeten einen fortlaufenden bedeckten Gang. Weil aber die Stadt auf weichem Felsgrunde steht, so sind in der Länge der Jahrhunderte die Straßen allmählich tief ausgefahren wie Hohlwege, und die Häuser mit ihren Hallen oben am Rande stehen geblieben. Später wurden dann auch unten an der Straße Oeffnungen für Kramläden in den Felsen hineingehöhlt. So geht man jetzt über diesen Läden oben treppauf treppab von einer Gallerie in die andere und sieht unter sich in den tiefen Straßen die Wagen fahren. In England achtet man um so lieber auf solche Eigenthümlichkeiten, als die neueren englischen Städte sonst nur ein langweiliges Einerlei von Häusern zeigen, von denen das eine wie das andere gebaut ist, jedes nett und sauber, aber selten eines, das sich durch Größe oder Schönheit auszeichnet.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band I