Die Nacht blieb ich in Denbigh und bekam zum Nachtessen außer Thee und Schinken, gedörrtem Fleisch ...

III.
Nordwales.


Die Nacht blieb ich in Denbigh und bekam zum Nachtessen außer Thee und Schinken, gedörrtem Fleisch und dreierlei Butterbrod noch den allervortrefflichsten Berghammel, nicht minder preiswürdigen frischen Lachs, Krebse, die einem Prälaten ins Herz gelacht hätten, und kleine Muscheln, die ich noch nicht kannte.


In Denbigh war des anderen Tages ebenfalls Markt und die Straße mit Menschen besäet. Ich stieg zu den überaus schönen Burgtrümmern hinauf. Diese bedeckten die ganze Stirn eines Felsberges, der sich mitten in dem weiten Thale erhebt, vortrefflich zu dessen Ueberwachung geeignet. Höfe, Hallen und Gemächer kann man sich noch deutlich vorstellen, namentlich nimmt sich die Kapelle in ihren Trümmerbogen gut aus. Die Aussicht ist nach allen Seiten anziehend, wenn auch nicht abwechselnd. Hier oben wird alle Jahr das Preisspielen der wälschen Barden oder Harfner gehalten; ich möchte es nicht anhören, denn der Geist der Musik scheint die Wälschen nicht zu seinen lieben Kindern zu zählen.

Nach Llansannan waren es nur zehn Meilen, aber es war schwüle Luft und kein Haus zur Erquickung am Wege. Es ging bergauf, bergab, aber immer höher, bis ich an einer abschüssigen Bergwand wieder niederstieg in eine tiefe Schlucht, unter dem üppigen Baumgrün, welches sie bedeckte, plätscherten die Bäche. Ich hatte jetzt den zweiten Höhenzug überstiegen. Llansannan lag etwas weiter in der Schlucht hinauf. Dort aß ich zu Mittag, bekam aber wieder den leidigen Schinken mit Eiern, die ewige Reisekost in Großbritannien. Nach ein paar Stunden Ruhe wanderte ich, ohne Aufhören hoch hinan und wieder steil hinabsteigend, die zwölf Meilen nach Llanwrst. Das ist ein recht wälsches Wort, welches den Erfindern dieser gaumerschütternden Sprache ein Anderer nicht leicht nachspricht. Auch scheinen sie ihre Ortschaften sämmtlich um Burgen oder Kirchen angelegt zu haben, mit Caer (Burg) oder Llan (Kirche) fangen die meisten wälschen Ortsnamen an, hin und wieder auch mit Cwm (Thal) und Craigh (Berg). Die steinernen Häuschen der Wälschen nehmen sich in ihrem Schmutze von außen nicht unmalerisch aus, sind aber inwendig nicht selten reinlich und behaglich, wenn sie auch eigentlich nur eine Kammer bilden. Ueberhaupt hält man eine Hausflur, ohne welche der Deutsche kein Häuschen baut, in England nicht für nöthig. Unten die Kammer, unter dem Dache die Schlafstätte, neben dem Häuschen das Ställchen für das Vieh und vorn ein Mistchen, das sind die Wohnstätten hier. Alles, Häuschen und Ställchen und Zaun und Pfahl sind weiß überkalkt. Ich hatte mich darauf gefreut, in Wales tiefe hallende Bergwälder zu finden, sah aber nur dürftigen Wald, das Baumgrün in den Thälern war aber desto üppiger. Ueber den Thalschluchten hängt ein ewiges Halbdunkel, und die Sonne war noch nicht ganz unter, da umhüllte alles schon ein geisterhaftes Zwielicht. Noch eine Höhe hinan, und zwar mit einem Wälschen, der mich seine Sprache lehrte, – und nun lag vor mir das sich höher und höher thürmende Gebirge mit seinen unzähligen Kuppen. Den Haken des Snowdon hatte ich schon länger gesehen. Das Gebirge ist schwarzblau, unten grün und steigt ziemlich senkrecht und massenhaft. Leider liegt Llanwrst ganz am Fuße desselben, und ich mußte wieder eine gute halbe Stunde steil bergab.

Am Morgen weckten mich die Sonntagsglocken. Ich frühstückte im Gasthofsgarten, dessen Bäume sich in den vorbeibrausenden Conway tauchten. Ringsum prangten die hohen Bergwände in grünem Schmucke, beglänzt von einer hellen Sonne. Der Glockenklang lief an ihnen hin und her in weichem und hallendem Schwunge. Ich war jetzt mitten in Nordwales und stöberte in den Bilderbüchern seiner Vorzeit, welche man mir sehr gefällig aus verschiedenen Häusern brachte. Die Nordwälschen, etwa 400,000 an der Zahl, sind ein unvermischter Rest der alten Britten. Südwales wurde immer schnell erobert und nahm die Sitten der Eindringlinge gefügiger an, jetzt ist es bereits halb englisch; nicht so Nordwales, hier ist das Volk härter und hängt hartnäckiger an der Weise seiner Väter. Es stand früher unter Häuptlingen, welche einem oder mehreren Oberherren aus der fürstlichen Familie des Landes folgten, oft mit Gewalt dazu genöthigt. Gegen Römer und Sachsen hielten sich die Nordwälschen tapfer und unbezwungen. Wilhelm der Eroberer aber, dieser harte und kühne Mann, leitete die anwohnenden Barone an, mit den wälschen Häuptlingen in Familie oder Feindschaft anzubinden, und stückweise vordringend, stückweise durch Burgen sich schirmend, das Land für sich selbst zu erobern, gerade so wie es die Deutschen gegen die Slaven machten. Diesen Markgrafen (Lords Marchers) gestattete Wilhelm noch mehr Selbstständigkeit als seinen übrigen Vasallen. Ueberhaupt ließ er, um statt einer Volksherrschaft eine Fürstenherrschaft zu gründen, seinen Baronen freie Hand nach unten hin, suchte sie aber an sich selbst durch Interesse, Furcht und Verwickelung zu fesseln. Die Wälschen aber erhoben sich wiederholt, wo immer nur ein kühner Häuptling unter ihnen aufstand. Der letzte dieser Fürsten war der große Llewyn. Er sammelte noch einmal die ganze Kraft seines Landes, jedoch König Eduard I. schlug ihn in einer blutigen Schlacht im Jahre 1282, in welcher Llewyn und die Blüthe des Volks den Tod fand. Llewyns Bruder und Nachfolger David wurde gefangen und hingerichtet. Seit dieser Zeit blieb Nordwales unter englischer Botmäßigkeit. aber seine Nationalität mußte man ihm lassen.

Die Walschen waren in den beiden letzten Jahrhunderten ziemlich unbekannt, sie kümmerten sich nicht um England und dieses sich nicht um sie, nur ganz allmählich siedelte sich bei ihnen etwas Englisches an. In unseren Tagen aber erfrischen sich in allen Ländern die Nationalitäten, andrerseits jedoch werden die geistig stärkern von selbst eindringlicher, da sind denn auch in Nordwales Sprache und Sitten der Vorvordern wieder mit Vorliebe gehegt und gefördert. In kurzer Zeit entstanden eine Menge wälscher Buchdruckereien, die alten Bardenwettstreite in Caerways wurden wieder ins Leben gerufen und eine Literatur angebaut, in welcher man sich bestrebt. reines Wälsch zu schreiben. Indessen lernt der Gebildete doch immer mehr Englisch, und bei dem besten Willen, gut wälsch zu bleiben, nimmt er mit englischer Sprache auch Englands Geist und Sitten an. Die öffentlichen Institutionen sind ja hier dieselben wie im übrigen England. Auch hat der Naturschatz der wälschen Berge, der erst seit den letzten dreißig Jahren recht gehoben wird, dem Lande zwar viel Verdienst und gute Straßen gebracht, der wälschen Eigenthümlichkeit aber starken Abbruch gethan. Es sind das die feinkörnigen, dunkelschwarzen Schiefertafeln, welche in ungeheuren Mengen zu Tage gefördert und glatt geschliffen von hier selbst bis nach Amerika und Neuholland gehen. Wo auf der Erde ein Stoff entdeckt wird, durch welchen sich Brod und Geld gewinnen läßt, da strömen jetzt die Menschen gleich in Massen zu. Die Eröffnung der großartigen Schieferbrüche hat Händler und Arbeiter aus ganz England herbeigezogen, welche bis tief in die Gebirge hinein englische Sprache und Sitten einheimisch machen. Das Wälsche kann nicht mehr anders, als jährlich einbüßen und muß sich endlich auf die versteckten Thäler zurückziehen. Noch aber giebt es nicht bloß arme Gebirgsdörfer, sondern auch reiche Farmer, die kein Wort Englisch verstehen. Und auch außerhalb ihrer Berge hängen die Wälschen noch so sehr an der Sprache ihrer Heimath, daß wo ihrer eine Anzahl in einer Stadt zusammen ist, sie viel darum thun, um einen Prediger in ihrer Sprache zu erhalten. In Liverpool wird in vielen Kapellen wälsch gepredigt.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band I