Die schönsten Blüthen englischen Lebens entfalten sich auf den Landsitzen der Gentry, jener zahlreichen ...

II.
Im Innern von England.


Die schönsten Blüthen englischen Lebens entfalten sich auf den Landsitzen der Gentry, jener zahlreichen Familien, welche wie durch Reichthümer, so auch durch feine Bildung und Muße beglückt sind und sich dem Erbadel, mit welchem sie durch Herkunft. Verbindungen und Lebensweise zusammenhängen, Zunächst anschließen. Ihnen ist in England ohne Frage das beneidenswertheste Loos gefallen. Der Kreis aber, in welchem sich die Macht und die Ideen des englischen Volks gipfeln, die Gesellschaft, welcher sich alle Köpfe zuwenden und nach welcher sich alle Geister richten, wird nur durch den Erbadel gebildet. England hat einen Adel, dessen Ahnen noch jung sind, und es Keinem verwehren, sich zu gleicher Höhe zu erheben. Dies hilft wenigstens dazu, den Ursprung jener eigenthümlichen Macht des englischen Adels zu erklären, die sich geistig noch viel mehr fühlbar macht, als sie äußerlich in Staat und Gesellschaft hervorragt. Der englische Adel ist wirklich durchlauchtig, er gießt in der Meinung der Engländer über Alles einen Glanz aus, was seine Hände berühren. Soweit die Lichter sichtbar sind, welche des Abends die Fenster eines adligen Schlosses erhellen, soweit gilt die Umgegend für vornehm. Das Urtheil, welches die adligen Kreise über ein Buch, einen Vorfall, einen Mann fällen, dringt mit unwiderstehlicher Macht in die Köpfe der übrigen Leute hinein. Eine Familie erhält schon dadurch höheren Glanz, daß ihr Haupt in Geschäften mit Adligen verkehrt, und Leute, welche die Großstädte ihres Landes nicht nennen können, wissen die vornehmsten Adelshäupter und die schönsten Adelsdamen an den Fingern herzuzählen. Ein Nichtadliger, der im Vollbesitz des Reichthumes mit Pferd und Wagen und Dienerschaft es dem Adel gleichthun wollte, würde durch den ärgerlichsten Spott und Klatsch so gepeinigt, daß er bald die Flügel wieder einzöge. Der Engländer will einmal, daß sein Landesadel unantastbar sei, und erboßt sich nicht darüber, daß auf der hohen Schule zu Oxford ein Farmerssohn kaum Aufnahme findet. Jedes Volk umgiebt irgend etwas, was gerade seinem Lande eigenthümlich ist, mit besonderer Verehrung, das eine die Religion und Priesterschaft, das andere Künste und Wissenschaften und deren Träger, das dritte sein Heer und dessen Führer. Der Engländer verehrt seinen Adel als das lebendige Wahrzeichen der britischen Größe. Der ganze Verlauf der englischen Geschichte von den sächsischen Thans und wälschen Clanshäuptlingen und normännischen Lehnsbaronen bis zu den einst revolutionären, jetzt gesetzgebenden Lords im englischen Oberhause hat bewirkt, daß dem Engländer die Ehrfurcht vor seinem Adel angeboren wird. Der Germane versteht sich zu organisiren, dadurch hat er über den Südländer, der mehr natürliche, aber weniger nachhaltige Fähigkeiten besitzt, ein entschiedenes Uebergewicht. Auf welcher Machthöhe stand nicht Deutschland im Mittelalter durch die lebenvolle Gliederung seiner Korporationen und Genossenschaften. Die englische Nation hat sich noch jetzt von unten nach oben, aber frei von innen heraus zu einem gewaltigen Volksganzen organisirt; diese Gliederung bedarf in der Weise, wie sie sich geschichtlich einmal gestaltet hat, eines obersten, feststehenden, unverrückbaren Kreises, dessen Geltung unbedingt. anerkannt wird. Diesen Kreis bildet der Adel. Weil aber das Aufsteigen zum Adel Niemand unmöglich ist, so fließt aus dieser lebendigen Gliederung auch das unruhige Streben nach oben, welches in England bis in die untersten Kreise hinabreicht. Das englische Volk klimmt gleichsam im dichten Gewühl einen Berg hinan; Jeder sucht seinem Hintermann auf den Kopf zu treten, um sich mit desto mehr Wucht und Länge auf den Vordermann zu werfen, damit er dessen Platz einnehme. Den Gipfel, wo die Adelshäupter strahlen in reinem Sonnenlicht, erreichen zwar nur die Wenigsten, aber das rastlose Ringen der Uebrigen hält des ganzen Landes Kräfte in Spannung und dem Volksganzen kommen die Reichthümer zu Gute, welche die Einzelnen anhäufen um sich selbst empor zu schwingen.


Der Adel Englands ist nun in der That auf das Reichste mit all den Gütern ausgestattet, welche den Menschen auf dieser Erde zu erreichen erlaubt ist. Das Auge des Künstlers erfreut sich an den schönen Menschengestalten, die der englische Adel in Menge darstellt neben einer Höhe und feinen Glätte weltmännischer Bildung, welche durch gründliche Kenntniß und Uebung der Naturwissenschaften wie der Staatskunst einen kräftigeren Gehalt, und durch unmittelbare Anschauung der Länder und Völker auf Reisen über den halben Erdball ihre Vollendung erhielt. Was irgendwo auf der Welt an Geist und Schönheit, an höchster Pracht und Kunst, an ächter Humanität wie an verschrobenen Geistern, an Edelmuth wie an Grimm und Verworfenheit in gehärteten Charakteren anzutreffen, das möchte in den englischen Adelskreisen seine zahlreichen Vertreter haben. Dem Fremden würde schon das allein für längere Zeit anziehend sein, hier die merkwürdigen Verkleidungen und Schlupflöcher zu beobachten, welche der englische Nationalstolz und Nationaldünkel, sowie jener Geist der Lästerung zu Hülfe nimmt, der allen Völkern germanischer Abstammung, im vorzüglichsten Grade aber den Engländern angeboren scheint. Und wo kann es einen anmuthigeren Wohnsitz geben, als einen adligen Landsitz in England? Es liegt etwas unendlich Heimisches in den hohen alten Bäumen, welche das Herrenhaus umrauschen, von denen jeder so schön ist, daß man ihn malen möchte. Und unter den ehrwürdigen weitästigen Bäumen spielen Häschen, Fasanen und Rehe durch die Büsche und über den sammetgrünen Rasen.

In Frankreich glaubt man, durch diese stolzen Wohnungen, welche sich halb im dunkeln Epheu, halb in Blumen und Gebüsch verbergen, schleiche insgeheim die Furcht vor Erschütterungen des Handels und vor maßlosem Aufruhr. Der englische Adel hegt andere Meinung. Zwar sind in das Netzwerk, welches er über ganz England zog, um dessen Arbeit, Ruhm und Schätze für seinen Stand auszubeuten, in den letzten fünf und zwanzig Jahren große Löcher gerissen, aber immer ist es noch so weit angelegt und so fein und fest gedreht, daß noch mancher Goldfisch darin hängen bleibt. Handelskrisen, so denkt der reiche Engländer, sind natürlich, und England wird gute Absatzquellen verlieren, aber es wird sich auch neue eröffnen, das Meiste seiner Erzeugnisse verzehrt es ja selbst, und mit seinem ungeheuren Uebergewichte im Handel wird es noch lange der fremden Mitbewerbung den Rang ablaufen. Aufruhr des Proletariats wird nicht ausbleiben, aber er wird ziellos wieder zergehen, denn die Arbeiter bilden kein großes planmäßig kämpfendes Heer, sondern sie sind getrennt in einzelne Haufen, ihre Vereinigung aber wird der wohlbewehrte Arm des Gesetzes und die starke Macht der Pächter und kleinen Grundbesitzer verhindern. Sind die aufständischen Banden versprengt und die Anführer in Botanybai, so ist die Luft wieder auf lange Zeit gereinigt. Ja, England wird Stöße bekommen und tüchtige, aber es wird sie schon aushalten. das ist die Meinung der Grundbesitzer in England und deshalb machen sie sich nicht große Sorge um die Zukunft. Ihrer Ansicht neigt man sich um so mehr zu, je länger man, entfernt von den großen Städten, im Innern des Landes verweilt, wo statt der Wogen des Proletariats, welche dort die Paläste umbranden, die ruhige feste Stärke der Landbevölkerung hervortritt. Der gemeine Mann in England hat viel Geduld, er arbeitet und leidet und wartet, ob es nicht mit ihm besser werde, er besitzt auch mehr praktischen Verstand, mehr Schwerfälligkeit, und weniger feurige Phantasie, als seine Genossen in Frankreich. Deshalb läßt er sich zu gewagten Aufständen so leicht nicht fortreißen. Er hegt aber noch einen andern festen Hort in seinem Innern, sein Nationalgefühl. Auch der ärmste Engländer ist noch stolz auf sein Land, und das ist nicht der Stolz des Lakaien, der sich brüstet, weil er einem großen vornehmen Hause angehöre. In des Engländers Nationalgefühl wurzelt vielmehr die Achtung vor seines Landes Gesetzen und Einrichtungen, und diese angeborne Scheu und Furcht. sich an seinem Lande zu versündigen, macht den Aufruhrgedanken schon ehe er zur That wird innerlich ohnmächtig. Das Nationalgefühl seiner Söhne ist für England noch ein besseres Bollwerk, als all die hölzernen Wälle seiner stolzen Flotten.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band I