Ich ging in den Straßen von Llanwrst umher, und kam auch in die Kirche, welche castellartig erbaut ist. ...

III.
Nordwales.


Ich ging in den Straßen von Llanwrst umher, und kam auch in die Kirche, welche castellartig erbaut ist. Ein freundlicher Herr öffnete mir sogleich die Thür zu dem Kirchstuhl, in welchem er mit seiner Familie saß; es wurde wälsch vorgebetet und gepredigt. Durch die offenen Kirchthüren schimmerten die Leichensteine des Kirchhofs und das hellgrüne Gebirge, und man hörte das Rauschen des dicht vorbeiströmenden Conway. Dann sang ein lieblicher Kinderchor; es waren ganz dieselben Melodien, welche ich als Kind mitgesungen, jetzt hörte ich sie wieder in diesem wälschen Erdwinkel und rührend schön. Im Umherschlendern machte ich noch manche Bekanntschaft. Der Abstich der wälschen Art gegen England ist sehr merklich. Die Wälschen sind herzlich, gastfrei, zutraulich und höflich, mit einem feinen Anstande grüßen sie, indem sie die Hand zum Hute erheben. Gegen Engländer, die unter ihnen ein Gewerbe anfangen, sollen sie jedoch sich verschlossen halten und sie gern ein wenig placken. Ihre Ehrlichkeit und Religiösität wird sehr gerühmt, theologischen Streit lieben sie außerordentlich und lernen gern lesen. Die Bibel fand ich in ganz armen Berghütten. Verbrechen sind in Wales etwas Seltenes, dies Volk hat noch zuviel natürliche Güte und Armuth, auch aus Armuth ist es ehrlich. Dabei sind die Wälschen sehr sparsam und darin den Irländern sehr unähnlich. Ihre Sprache ist wie alle Ursprachen voll unendlicher Biegungen und grandios im Ausdrucke. Die öffentlichen Zusammenkünfte werden mit Reden, Musik, Hin- und Herlaufen und vielem Essen und Trinken gefeiert. Insbesondere bei Hochzeiten und Leichenmahlen und Jahrmärkten lassen sie etwas darauf gehen, aber in der Regel giebt es dabei auch blutige Köpfe. Denn der Wälsche wird leicht jähzornig, dann ist er hartnäckig und schlägt wild darein. Auch vom Kiltgange erzählte man mir; wahrscheinlich hält man die Ehe, wenn sie in der Familie geschlossen ist, auch ohne die Kirche für vollzogen. Familienleben herrscht bedeutsam vor, Alle sind miteinander verwandt und verschwägert, und wissen die Verwandschaftsgrade genau aufzuzählen. Es ist ein haushälterisches Volk, das seine Freude hat am Lieben und am Zusammensein und Herumstreiten. Zu Pferde sah ich die Männer immer nur im wilden Jagen. Die Mädchen sind nicht besonders schön, auch ein wenig zu offenherzig mit ihren Reizen, aber sie haben glänzende Augen und ein natürliches, anmuthiges Benehmen.


Von Llanwrst schlug ich den Fußpfad ein nach Capel Currigh, der übers wilde Gebirge führt. Jetzt kam ich endlich wieder in den wehenden Wald. Wie that der Brust die grüne Frische wohl und der würzige Hauch des Laubes und der Bergkräuter. Ich versenkte mich recht in die Waldesnacht und blickte durch die Bäume nach den stillen lauschigen Plätzchen, wo die Wässerchen blinken und die Sonne ihr Strahlengold durch die kühlen Schatten verstreut. Je höher ich stieg, desto weiter und farbenvoller lag hinter mir das schöne Thal von Llanwrst, das der braune Conway durchströmt, und als ich oben kam, da umragten mich in einsamer Größe die kahlen Berggipfel mit ihren Felsenhörnern, und aus den waldigen Tiefen schaute hier und da ein heller See herauf. So im Gebirge wandern, dem Wind entgegen zu steigen, der über die Joche herabrauscht, und oben in der klarsten Luft zu ruhen und hinab zu schauen auf die wogenden Wälder und bebauten Fluren, und dann wieder hinein in die heimlichen Waldthäler, wo um den See düstere Felsen starren oder die Quellen sickern, – so Tage lang, sein Mahl in der Tasche, umher zu wandern, keinen Menschen als den Hirten, kein Thier als etwa Bergziegen und Geier zu sehen, – das ist eine reine und hohe Lust. Man versenkt sich da in das wunderbare Weben und Wirken der Natur und unbewußt gleitet unser Geist in ihre geheimen Tiefen. An solch einem einsamen Tage denkt und lernt man mehr, als wochenlang in den Städten. Man ist da nicht einsam, die großen Geister der Natur wandern und rasten mit uns. Unsere Seele schafft fortwährend ernste und schöne Gebilde, und wie wir den Lauf des Wassers durch die Thäler und im Geiste seinen Ursprung in den Adern der Berge verfolgen, so dringen wir nachdenkend ein in die einfachen und erhabenen Gesetze des Weltalls.

Mein Weg führte mich oben um einen Gipfel herum längs eines Sees hin. Vom Ende des letztern ging es bergab über steinige Strecken, wallende Bergmoore, blühende Haiden, durch Felsschluchten neben kleinen Wasserfällen vorbei. Immer öffneten sich, wo ein Eckfelsen sich abrundete, herrliche Aussichten in farbenreiche Gebirgskessel, aus deren Gründen Fichtenwäldchen in spärlichen Streifen heraufklimmten, sonst war alles nacktes Gebirge. Ganz oben trifft man unter Felsüberhängen oder in einer Vertiefung Hirtenhäuser, roh von Steinen zusammengelegt. Auch auf diesen Höhen sind die Räume noch auf englische Weise bewirkt; weil aber die Mauern roh und niedrig aufgerichtet sind, so vermehren sie nur den wilden Anstrich der Gegend. Der Snowdon mit seinem Kranze von zackigen Bergen starrte mir immerfort in düsterer Erhabenheit entgegen. Heller Sonnenschein, stahlkräftige Luft und zwischendurch ein Regenschauer hielt Brust und Glieder allzeit frisch.

Ich sah endlich das Thal von Capel Currigh und stieg eine halbe Stunde durch allerlei Buschwerk schnell hinunter, um auf die jenseitige Straße zu kommen. Unten fand ich aber einen reißenden Bergstrom, und die Karte zeigte, daß ober- und unterhalb meilenweit keine Brücke zu finden, selbst wenn ich durch das Ufergestrüpp bis dahin durchdringen könnte. Ich hing also meine Kleider im Bündel geschnürt über den Nacken und schritt wie St. Christoph durch den Strom. Allein der Wasserdrang war zu stark und der felsige Grund zu glitschig, als daß ich nicht bald bis an den Hals hineintauchte. Jetzt hatte sich aber mein Kleiderbündel voll Wasser gesogen und hing mir am Halse wie ein Eimer Wassers, ich versuchte es hinüber zu schleudern, warf aber zu kurz, und in der Hast, es wieder aufzufangen, verlor ich allen Grund, und der wilde Strom trieb und schlug mich an die Felsen, daß es krachte, mein Bündel schwamm mir nach. Als ich endlich das Ufer gewann und die Kleidung trocknen wollte, drang auch kein bischen Sonnenschein in diese felsige buschüberhangene Tiefe. Ich müßte das nasse Zeug daher wieder anziehen und kletterte eben in der unbehaglichsten Stimmung über die Mauer auf die Landstraße, als ein Wälscher in seinem gebrochenen Englisch mir gefällig zurief: „Herr, hier ist ein feiner Wasserfall.“ Ich hatte Wasserfall genug gehabt. In der That nahm sich aber der eine halbe Stunde weiter oben stürmende Schwalbenfall sehr hübsch aus. Ein eiliger Marsch, Thee und Brandy brachten mich bald in Capel Currigh warm zu Bette.

Dieser Platz hat jetzt einen sogenannten vornehmen Gasthof, denn hier sammelt sich Alles, was zum oder vom Snowdon kommt. Wenn man aber die Zurüstungen sieht zu einer Snowdonfahrt, sollte man meinen, es ginge zum Himalaya. Nordwales läßt sich indessen gemächlich und ohne Gefährde in wenigen Tagen durchwandern und man braucht dazu weder Führer noch Weg und Steg. Es giebt einige finstere schreckhafte Partien, aber man ist gleich darauf wieder unter Menschen. Man kann sich auch auf den Höhen überall frei umsehen, denn es fehlen die weithin wogenden dunkeln Bergwälder. Das Gebirge ist meist kahl, dagegen überschüttet von allerlei Farben des Erdreichs und der Felsen, und zeichnet sich vor allen andern aus durch die Menge von Kuppen und das Durcheinander der seltsamsten und wildesten Formen. Man hat häufig ein wahres Gewirre von abenteuerlichen Berggestalten um sich her. Hier scheinen sie wie furchtbare Riesen, kämpfend mit fliegenden Zackenkronen durch einander zu springen, dort stehen ihre sonnigen Häupter still gruppirt um die höchste Kuppe, gleich als hielten sie eine weise Berathung. Da in den gekrümmten Schluchten der Weg bald vor bald rückwärts geht, und man die Berge daher bald von dieser bald von jener Seite erblickt, so wechseln sie bei jedem Schritte ihre Gruppen und Gestalten, und gerade das giebt ihnen den eigenthümlichen Anschein von Leben und Bewegung.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band I