Ich blieb im Gasthofe fast bis zum andern Mittag und hatte ein herzliches Gespräch mit ein paar Engländern. ...

III.
Nordwales.


Ich blieb im Gasthofe fast bis zum andern Mittag und hatte ein herzliches Gespräch mit ein paar Engländern. Sie waren gebildete und aufrichtig freundliche Männer. So habe ich sie so häufig gefunden, obgleich sie Anfangs scheu an sich halten. Gegen Fremde sind sie gern des Zwanges enthoben, den sie sich unter einander in ihrem Lande auflegen, dessen kleiner Raum mit tausend Rücksichten und Aengstlichkeiten wie mit Skandalmachern und Spitzbuben überfüllt ist. Man muß nur ruhig abwarten, bis sich ungesucht ein offener Gegenstand zur Unterhaltung findet, dann ist der Engländer bald freundlich. Unser Gespräch drehte sich um die verschiedenen Nationalitäten, es wurde dabei manches freimüthig herausgesagt. Der Engländer fühlt sich in Deutschland anmuthig berührt durch unser humanes, ideenreiches und harmlos geselliges Leben, der Deutsche in England fühlt sich abgestoßen durch das förmliche, eingeschnürte und kalte Wesen der Leute. Der Deutsche ist geneigt, das Denken und Thun des Engländers für seelenlos zu halten, und dieser denkt sich jedes deutsche Haus voll von Musik und Poesie und tiefer Wissenschaft. Aber der Engländer kann sich nimmer aussöhnen mit soviel Schwächlichem und ewig Duldsamen in unserm Lande, er vermißt in der weichmüthigen deutschen Sittlichkeit einen Zusatz von englischem Stahl, während umgekehrt der Deutsche Achtung bekommt vor der straffen Haltung und dem männlichen Schaffen der Engländer. Diese sehen uns ungefähr wie einen jüngern Bruder an, der die guten Eigenschaften der Familie hat. aber etwas Enthusiast ist, flötet und dichtet, und trotz seines stillen Hochmuthes doch nicht dazu kommt, sich einen tüchtigen Hausstand zu schaffen, der ihm Respekt unter den Leuten macht. Man erzählte mir auch mehrere Beispiele, wie sehr es jetzt in England Mode wird, Deutsch zu lernen, und wie viele höchst geschickte Deutsche in den Fabrikstädten sich niederließen, englische Frauen nehmen und bedeutende Geschäfte gründen. Aber so geht es den Deutschen. In der Fremde machen sie großartige Unternehmungen in Handel und Gewerben: in der Heimath fühlen sie sich beengt und niedergehalten durch wahllose große und kleine Hindernisse.


Auf dem Wege zum Snowdon hört schon in der Nähe von Capel Currigh das Gehölz auf und man befindet sich in einem ächten Hochgebirgsthale, vor sich den zackichten Kranz der Snowdonberge, zu beiden Seiten ungeheure öde Felsenwände, bethürmt mit schwarzen Blöcken, zwischen denen in kristallenen Güssen das Wasser niederrauscht. Das Haupt des Snowdon sah nur dann und wann aus dem Nebel heraus. Die Walliserinnen mit ihren dunkeln breitkrämpigen Männerhüten machten das Heu auf den dürftigen Bergwiesen, es wurde in feste Haufen gebracht, mit Matten überdeckt und mit einem kleinen Steinwall umzogen, zum Schutze vor dem Winde. Die Fahrstraße windet sich bis zur Wasserscheide und geht dann nach Llanberris hinunter, der Steig zum Snowdon führt links über Steingeröll, Felszacken und glitschigen Anger in einen Bergkessel hinein und dann am obern Rande von drei Seen hin, von denen der folgende immer höher liegt als der vorige. Nachdem ich den ersten See, weil keine Fähre zum Ueberholen da war, mühselig umwandert hatte, suchte ich auf Geradewohl meinen eigenen Weg in die Höhe. Zwei Stunden kletterte ich in dieser frauenhaften Bergwüste hinauf, rings umstarrt von steilen nackten Felsbergen, um welche sich die Wolken jagten und aus deren Klüften das Wasser brausete, zu Füßen die Kessel, mit den Seen schwarz wie die Nacht, hinter mir, wenn der Wolkenschwall zerriß, die Aussicht auf die wildesten Felsthäler und einen Bergrücken über dem anderen. Nichts war zu hören als das Hallen und Seufzen des Windes, das Stürzen der Wässer und zu Zeiten von unten herauf ein klägliches Blöken der Bergschafe. Quarzstreifen und Bäche zwischen dem Gestein, Silberflocken gleich, wetteiferten an schimmernder Weiße. Der Wind war so stark, daß ich mich mehrmal platt hinlegen und an Gestein fest halten mußte. Oben kam ich in einen dicken Nebel, daß ich nicht drei Schritte weit sehen konnte. Es war ein schauriges Gefühl, auf einer Felszacke einen Augenblick rastend dicht unter sich einen qualmenden Wolkenkessel, über und um sich weiße Wolken, und außerdem nichts als seine Felsspitze zu sehen, gleichsam als hinge man in der Luft. Endlich war ich ganz oben, nämlich auf dem schmalen Grat. Wenn die Hexen hier tanzen wollten, sie fänden keinen Platz dazu, sie müßten denn von einer Zacke zur andern springen, anders giebt es hier nichts. Der Nebel war so dick als wenn er sich mit der Hand zusammenballen ließe, und der Wind gab ein Meisterstück im Pfeifen und Orgeln. Ich wanderte auf der Kante auf und ab, ein wenig Nichtvorgesehen und ein Windstoß könnte einen wohl mit zerschmetterten Knochen in der Tiefe begraben. Der alte Herr Snowdon that mir so wenig als tausend Andern den Gefallen, seine Nebelkappe nur ein Weilchen zu lüften. Man soll von hier aus die Küsten bis Liverpool, selbst Irland, und landeinwärts bis York sehen.

Ich begab mich endlich auf den Rückweg nach Llanberris. Dieser ist ein Kinderspiel gegen die Bergfahrt auf der anderen Seite. Hier stürtzt sich der Snowdon zwar ebenfalls felsengerade rechts und links hinab, aber man geht doch auf grünem Anger, der allmälig auf einem breiten, welligen Gebirgsrücken hinabläuft. Zwei Touristen pilgerten mir schweißbedeckt entgegen, und nach kurzen Worten vorüber und in die Wolken hinein. Jetzt machte der Wind hier und da einen Riß in den Wolkenqualm, und ich stand betroffen über die majestätische Schönheit der Aussicht. Wo nur ein Stückchen blauer Himmel durch eine Oeffnung des Nebels blickte, eilte ich hin, oft wurde die Aussicht schnell wieder geschlossen, oft hatte ich sie minutenlang, es war ein ewiges Vorhang auf und Vorgang nieder. Aber um nur einige Fetzen dieser Aussicht zu erhaschen, möchte man sich gern den ganzen Tag mit Wind und Wolken herumschlagen. Mit der Aussicht vom Rigi und den ihm benachbarten Höhen hat sie viele Aehnlichkeit, freilich fehlt Wald und Gletscherkette, dafür sind hier aber das schimmernde unendliche Meer, das frische Eiland Anglesea, die seltsamsten Bergformen und die prachtvollsten Steinfarben. Ein ungeheurer Berg ist wohl von unten bis oben mit Streifen und Schattirungen von Roth und Gelb, Blau und Grün, Grau und Weiß übergossen. Dabei strecken sich die felsigen Glieder so schlank und doch so riesenhaft aus den reinen Höhen hinunter in die hellgrünen Thäler, durch welche die Bäche ihre silbernen Fäden ziehen, und tauchen sich so anmuthig in die Seen, welche von der Sonne geküßt wie funkelnde Spiegel den Thalbreiten eingelegt scheinen. Man wird des Hinabschauens gar nicht müde, mit jedem Schritte, nach jeder Seite ändert sich die großartige Bühne. Das Gebilde dieser Berge stellt sich etwa dar wie ein festgewordener Wellensturm des Oceans. Der Snowdon war der Gipfel der hochaufgethürmten Woge, hier brach sie zusammen und es bildeten sich nach der einen Seite der tiefe Bergkessel mit den Felsenzacken oben, und weiterhin die Berglinien, welche ich die Tage vorher überstiegen; auf dieser anderen Seite strömte die flüssige Masse in mehreren Zügen zurück, zwischen denen sich gleichsam grüner Meeresgrund aufdeckt.

Es wurde Abend und ich eilte nun hurtig hinunter. Schaaren von Steinklötzen und Hämmeln setzten vor mir her die Abhänge hinab. Die Bergschafe sind häßliche Thiere, und man sollte nicht glauben, daß sie unter ihrem schmutzigen Fell so leckeres Fleisch tragen; aber es bekommt Wildgeschmack, weil sie das ganze Jahr hindurch frei auf den Bergen weiden. Die beiden Seen von Llanberris mit den Trümmern der Dolbadarnburg verdienen die Vorliebe der Touristen, so kühl, so schimmernd und doch so gewaltig sind diese Felsengründe. Der große Llewyn mit seinen erschlagenen Helden, welche soviel gekämpft bei den Pässen von Llanberris gegen die Bedränger ihrer Heimath, ruhen hier in majestätischer Grabstätte. Auch der Wasserfall von Ceunant Mawr ist ein anziehendes Naturspiel. Den See hinab geben noch die Felsentrümmer das Geleit, man blickt von der Straße in tiefe Schieferbrüche hinein, bald siedeln sich Häuschen mitten zwischen die Felsen an und vermindern etwas die Oede, welche jetzt überaus traurig wird. Der Mond ging auf und beglänzte die weißen Nebelgestalten, welche lautlos über das Gewässer zogen wie die Geister der Erschlagenen. Die Wellen des Sees erhuben bei den Windstößen ein Klaggeflüster. Mit dem Ende des Sees ist man auf einmal aus den Bergen heraus, und es eröffnet sich der Blick auf das Meer. Es geht über eine Brücke und zur Seite eines rauschenden Flusses nach Caernarvon, wo ich nicht lange vor Mitternacht ankam. Der Weg führte gerade auf die alte Burg zu, welche sich vor dem Meere erhob, schwarz und drohend, vom bleichen Mondlicht umflossen. Die Eingänge standen offen, und so müde ich war, trat ich doch ein wenig in die Ruinen hinein. Wind und Wellen seufzten und rasselten um die alten Thürme. Nach einigem Herumwandern traf ich noch Leute, welche mich freundlich in das Castle Inn brachten. Dort fand ich, nach dem reichen aber anstrengenden Tage herzlich müde, Ruhe und Erquickung.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band I