Sobald nun die Anbeter, welche hier Beaus heißen, guten Abend sagen, fühlen sich die jungen Mädchen wie ...

XI.
Neuengland.


Sobald nun die Anbeter, welche hier Beaus heißen, guten Abend sagen, fühlen sich die jungen Mädchen wie auf dem Throne. Man kann nichts Lieblicheres, Lebhafteres, Uebermüthigeres sehen, als eine Schaar amerikanischer Mädchen, umgeben von ihren Anbetern. Gewöhnt, schon von ihren Brüdern bedient zu werden, wissen sie jetzt ihrer kecken Launen und Neckereien kein Maaß. Nicht sie werden von den Männern, sondern die Männer werden von ihnen unterhalten, und diejenige ist, wenn später zum Klavier getanzt wird, die gefeiertste, welche am geschicktesten im Gespräch Angelhäkchen auszuwerfen weiß, um einen recht großen Kreis von Verehrern um sich zu fesseln. Diese jungen Damen wollen die kurze Blüthezeit ihrer Jugend recht ausgenießen, und haben auch volle Muße dazu. Denn ihre häusliche Arbeit ist des Vormittags rasch abgethan, sie putzen und ordnen Zimmer und Hausgeräth, was sie fixen nennen. Darauf kleiden sie sich auf das zierlichste, wo möglich in Seide und Spitzen, gehen aus oder nehmen ein Buch oder eine Stickerei zur Hand. Musik, Naturwissenschaften, neuere Sprachen sind diesen Landmädchen unentbehrlich, mögen sie nun viel oder wenig davon verstehen. In keinem Lande der Welt herrscht in jedem Hause eine so unermüdliche Lernbegierde, manches Dorf läßt sich im Winter Jemand zu wissenschaftlichen Vorlesungen aus der Stadt kommen, die Kosten deckt man vorher durch Unterzeichnung. An gewissen Abenden ist das ganze Land eine Schulstube. Vor allem eifrig im Lernen sind die jungen Mädchen, denn einer jeden ernstliches Streben geht dahin, durch Kenntnisse wie durch würdiges Wesen den Rang einer Dame einzunehmen. Und in der That weiß ein Yankeemädchen, welches der reiche Pflanzer als Braut in seine südliche Heimath holt, dort ihren Platz als vornehme Dame wohl auszufüllen. Der Europäer freilich glaubt manchmal, wenn er den Lerneifer der jungen Damen sieht, sie kämen alle eben aus einer Lehrerinnenschule oder bereiteten sich vor als Zöglinge darin einzutreten. Aber obgleich die Yankeetöchter alle so hoch streben, geben sie sich gleichwohl so einfach wahr und verständig, sie haben so kluge helle Augen und fragen den Fremdling so wißbegierig und theilnehmend aus über seine religiösen Ansichten und was seine Mutter im Topfe hatte und was sein Vater alles in den Büchern und in den Sternen las. Man muß ihnen gut werden. Und wie manches fromme Herz ist darunter, welches unablässig im stillen Ringen begriffen ist, um ächt christlich zu werden, seine selbstsüchtigen Neigungen abzutödten, und die Nebenmenschen zu guten Christen zu erziehen. Hübsch tanzen aber können sie nicht, ihre Bewegungen bleiben immer im eckigen Springen oder im Wiegen und Schleifen stecken, der schöne Tanz, das leichte sanfte Wogen der Anmuth, wird noch von wenigen Amerikanerinnen verstanden. Wie nun die jungen Mädchen keinen heftigeren Wunsch haben, als stets damenhaft (ladylike) zu erscheinen, so lassen die jungen Männer es sich etwas kosten, in Charakter und Auftreten feine und ehrenwerthe Männer (gentlemanlike) zu sein. Auch sie arbeiten ganz ernstlich an der Veredlung des innern Menschen, und in der That giebt es in Neuengland vielleicht sehr wenige schlecht denkende oder boshafte Menschen. Aber die angeborne Gewohnheit, bei dem hochherzigsten Entschlusse sofort im Geiste auch den Kostenplan und den reinen Nutzen genau zu überrechnen, läßt im Yankee den Gentleman zehn Schritte hinter dem Handelsmann zurück bleiben. Außerdem ist durch das kirchliche und Gemeindeleben dem jungen Manne eine ganze Reihe von Pflichten von Jugend auf so hart und fest eingeprägt, daß er vor lauter Pflichten nicht dazu kommt, auch einmal etwas aus reinem Edelmuthe zu thun. Ja es scheint fast, als hätten die meisten Yankees nur aus purem Pflichtgefühl ein Weib genommen, und als liebten sie in den ihrem Herzen theuersten Personen nicht den lebendigen Menschen, wie er einmal ist mit all seinen Eigenheiten, sondern bloß die Eigenschaften, welche seinen Pflichten entsprechen. Der Yankee würde es für eine arge Sünde halten, irgend Jemand etwas Uebles zu wünschen oder den Heller nicht herauszugeben, den er selbst für ungerecht hält: aber so lange er seine Pflicht thut, nimmt er auch alles Gute mit, was nebenher für ihn abfällt, und erfreut sich des Segens seiner gerechten Spekulationen, wenn auch zu seiner Betrübniß wohl viele Leute dadurch Bettler werden. Im gewandten Auftreten aber muß der junge Yankee entschieden seinen Landsmänninen den Vorrang lassen. Er überwindet niemals das Eckige, das von einem zum andern Springende im Denken und Benehmen. Trotz seiner höchst zarten Empfindlichkeit weiß er sich zwar meisterhaft zu beherrschen, aber da ihm jener feine Tackt nicht inwohnt, der sich bei tieferer Bildung des Herzens und Geistes von selbst kund giebt, so muß der junge Mann sich auf die hergebrachten Regeln der Gesellschaft verlassen, welche ihm bis ins Kleinste vorschreiben, wo er den Arm zu bieten, und wo er den Hut zu nehmen hat. Mancher amerikanische Jüngling erinnert in der Gesellschaft an einen Automaten, in welchem das Räderwerk sorgsam aufgezogen und wohl eingeölt ist. Wenn aber auch den jungen Yankees die Gabe fehlt, mit freier leichter Anmuth durch’s Leben zu gehn, so sind sie doch durchgängig Männer, welche im Stande, rasch einen großen Entschluß zu fassen und rasch ihn auszuführen. Im Felde bei der Arbeit oder des Abends unter seinen Freunden fällt einem von ihnen ein gutes Geschäft ein, welches in Otaheiti oder in Rußland auszurichten, und vielleicht ist er schon am nächsten Morgen auf dem Wege dahin. Und was für widrige Wellen ihm auch entgegenschlagen, er hält sich immer oben wie ein Kork, bis er im Hafen ist.


Vorzugsweise in den Neuengland-Familien macht sich ein Charakter merklich, der sich schon in England, viel schärfer und häufiger aber in Amerika findet. Es sind dies die vielbeschäftigten, vielwissenden, vielregierenden Damen jenseits der Vierzig, welche halb Mannweib halb Nonne sind und nebenbei in aller Leute Töpfe gucken. Fast jede Familie in Neuengland hat eine solche Tante oder Hausfreundin aus der Nachbarschaft, welche jedes Viertel- oder Halbjahr sich einstellt und mit klarem Geist und männlichem Wort wichtige häusliche Fragen beantwortet, deren Entscheidung für sie aufgespart ist. Ordnung und Entschiedenheit in Haus und Familie, das ist es was diese Damen lieben, Jung und Alt vertraut ihnen und fürchtet sie zugleich. Sie sind denn auch die Frauen, durch welche die Prediger sich ebenso fördern als leiten lassen, welche die Präsidentinnen und Sekretärinnen sind und die Reden halten und Anträge stellen in den wahllosen kirchlichen und wohlthätigen Vereinen, an denen sich die gesammte Frauenwelt Neuenglands mit soviel Eifer und oft mit so rührender Aufopferung betheiligt. Auch den Ruhm muß Jedermann den Frauen Neuenglands zugestehen, daß sie ausgezeichnete Hausmütter sind. Es umringt sie schon in jungen Jahren gewöhnlich eine zahlreiche Familie, und es kommt noch jetzt vor, daß Drillingsgeburten in den Zeitungen sehr ausgezeichnet werden, gleichwie vor Zeiten, als auch in Neuengland der Wald rasch Ansiedler brauchte. Sobald aber die Kinderzahl sich mehrt, verschwinden die jungen Frauen fast ganz in das Innere ihrer Häuser und machen keine Ansprüche mehr darauf, durch Geist und Schönheit zu glänzen, ja sie erscheinen in der Gesellschaft neben ihren kecken lebensfrohen Töchtern gedrückt und kleinlaut. Sie leben und denken jetzt nur für ihre Kinder, deren Pflege und Verhätscheln ihnen keine Stunde Ruhe läßt. In allen Geschäften des Hausstandes stehen ihnen die Männer treulich zur Seite. Diese geben äußerlich nie ein zärtliches Gefühl kund, aber immer sind sie recht thätige und sorgsame Familienväter.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band I