„Laßt mich in meinem eigenen Lande, in meinem lieben Neuengland bleiben, in dem Lande der hellen ...

XI.
Neuengland.


„Laßt mich in meinem eigenen Lande, in meinem lieben Neuengland bleiben, in dem Lande der hellen Feuer und starken Herzen, in dem Lande der Thaten und nicht der Worte, in dem Lande der Früchte und nicht der Blumen, in dem Lande, das oft beleidigt und dennoch stets geachtet wird, dessen Schuhriemen aufzulösen die Völker der Erde nicht werth sind.“


Die liebenswürdige Schriftstellerin, der diese etwas hochstelzige Rede entschlüpfte, sucht sie zwar als einen natürlichen Erguß der Vaterlandsliebe zu entschuldigen, wie sie jedermann wohl einmal empfinde. Aber es spricht sich darin in der That jene eigenthümlich warme Anhänglichkeit der Neuengländer an ihre Heimath, sowie jene nationale Eitelkeit aus, welche mit großer Empfindlichkeit vermischt ist. Indessen haben die Neuengländer wirklich ein Recht dazu, auf ihr Land stolz zu sein, sie können ihren Stichnamen Yankee lächelnd als Ehrennamen führen. Hat sich doch dieser Name allen übrigen Amerikanern angehängt, haben sie doch sämmtlich von den Neuengländern, den Bewohnern der sieben kleinen Staaten im Norden, die hervorstechendsten Züge in ihrem Charakter angenommen. Seit den letzten vierzig Jahren, in welchen die Amerikaner sich zu einem so riesenhaften Aufschwung erhoben, ruht zwar der Schwerpunkt ihrer Macht und Politik in denjenigen ihrer Staaten, welche am meisten europäisch sind und vorzugsweise auch von Deutschen besiedelt, nämlich in Newyork, Pennsylvanien und Ohio, aber seit denselben vierzig Jahren hat Neuengland mit seinen Söhnen das ganze Gebiet der Union überströmt, sie mit ihrer Rastlosigkeit und zähen Kraft haben überall in erster Linie den Handel und die Gewerbe hervorgerufen, Schulen und Kirchen gegründet, und die Kanzeln und Richterstühle besetzt. Wo irgend in den Vereinigten Staaten bedeutendes in Geschäften, in Politik und Kirche unternommen wird, da stecken in der Regel auch ein paar Yankees dahinter. Wie sie dem Neuyorker Holländer, dem Pennsylvanier Deutschen, dem altenglischen Virginier, dem französischen und spanischen Kreolen in den südlichen Staaten seine nationale Eigenthümlichkeit zerreiben und zersetzen: so werden sie auch Cuba und Mexico nach Yankeeweise amerikanisiren. Auch dort werden sie die alten steinernen Städte mit ihren leichten Häusern und Waarenläden anfüllen und die stolzen Dome mit ihren zahlreichen Kirchlein umringen. Ihrem hartnäckigsten Gegner, dem reichen Pflanzer in den südlichen Staaten, der Cavalier ist weil er Sklaven unter seiner Hetzpeitsche hat, versetzen die Yankees dadurch den schärfsten Stoß, daß sie ungestüm die Abolitionistensache verfechten. Mag der Südländer den Yankee noch so gründlich hassen, mag er noch so eifrig Dämme gegen dessen Vordringen aufführen, er fürchtet sich dennoch im Geheimen, daß er vor ihm die Segel streichen müsse, weil der Yankee ihm den Boden unterwühlt, auf welchem die amerikanische Baronie des Südländers beruht.

Der Fremde aber findet in den Neuenglandstaaten noch ein gutes Stück von dem Amerika des vorigen Jahrhunderts, dort kann er den amerikanischen Charakter, dies eigenthümliche Gewächs im großen Völkergarten, mit Muße studiren. Denn nach Neuengland ist die neuere europäische Einwanderung am wenigsten vorgedrungen, und die alten Sitten haben dort in dem festen Verbande der Gemeinden wie in den zurückgezogenen stillen Thälern feste Wurzeln geschlagen. Die Bewohner der Neuenglandstaaten entfernen sich unter den übrigen Amerikanern am weitesten von den Ansichten und Gewohnheiten, in welchen der Europäer erzogen ist, nirgends stößt dieser auf so viel soziale Eigenheiten, die ihm unverständlich oder verschroben vorkommen: nirgends scheint ihm das Volk so kalt und trocken von Gemüth. Aber wenn er die Vereinigten Staaten vollständig durchwandert hat, wird er gern zugestehen, daß im ächten Yankeelande ein wackeres tüchtiges Volk wohnt, welches sittlichen Halt und geistige Redsamkeit hat, und in seinem Denken und Thun ebenso innerlich geordnet ist, wie in seinen Gemeinden Ruhe und Frieden vorherrscht.

Der äußere Anblick des Landes nimmt sehr zu Gunsten seiner Bewohner ein. Von welcher Seite man auch hineinkommt, immer überrascht uns die lebhafte Anmuth der Landschaft. Waldgrün wogt über kleine Hügel und Felsberge, und netzt sich in den sonnigen Thälern an hellen Flüßchen. Und soweit der Blick reichen mag, sind in das Grün die niedlichsten Städtchen und Häuschen hineingesäet mit hellweißen Wänden und grünen Fensterläden. Es erinnert das an die freundlichsten Gegenden in Altengland, jedoch ist in Amerika das Waldgrün kräftiger, die Lichtbläue des Aethers viel glänzender. Die Wohnungen sind zwar klein, aber so nett und niedlich, als hätte ein kindlicher Geschmack seine Freude daran. Während im Westen und theilweise auch in den südlicheren Staaten die Ansiedlungen sich nur erst wie Striche und Punkte im Urwaldmeere ausnehmen, ziehen sie sich durch Neuengland in fortwährender Verkettung. Gleichwohl ist der Boden lange nicht so fruchtbar wie im übrigen Amerika, in weiten Strichen sieht das Gestein durch die dünne lockere Erdkrume. Desto sorgfältiger aber ist der Anbau, und die Luft würde vorzugsweise gesund und kräftig zu nennen sein, wenn die scharfen Winde, welche die Brust angreifen, hier nicht so gewöhnlich wären. Ueberblickt man die außerordentliche Anzahl der kleinen Wohnsitze in Neuengland, so begreift man, woher die Menge der Yankees kommt, welche in jeder Ansiedlung des weiten Unionsgebietes rührig sind, ohne daß ihre Heimath entvölkert wird. Die jungen Yankees müssen fort, denn die kleinen Güter in Neuengland sind bei der raschen Vermehrung der Kinderzahl nach und nach so häufig getheilt und dadurch so winzig geworden, daß die nachwachsenden Geschlechter in der Heimath die nährende Stätte nicht mehr finden, wo ihr Grabstein einst neben der Kirche zu stehen käme, in welcher sie getauft sind. Erst weit ab vom Meere, wo im Innern des Landes die Berge ansteigen, vermindert sich die Anzahl der Gütchen, bis endlich die letzten Schneidemühlen und Jagdhütten sich tief in den einsamen Gebirgsthälern verlieren. Dort stürzen rasche Bergströme und rauschen dunkle Seen durch noch unberührte Wälder. Dort in den Hochlanden führen die Bewohner noch jetzt das einfache harte Leben der ersten Ansiedler.

Ueberhaupt merkt man in Neuengland sehr bald, daß das Volk hier noch viel Altgewohntes in seinem Wesen festhält. Die Unruhe, welche sich sonst in den amerikanischen Städten und Ortschaften auf und ab treibt, schlägt hier leisere Wellen. Das Eigenthum liegt nicht mehr so offen wie dort, die Gärten haben nicht selten feste Mauern. Große steinerne Gebäude enthält das Land auch jetzt noch spärlich, obgleich es seit drittehalb Jahrhunderten besiedelt ist. Aber zwischen den leichten niedlichen Häusern und Gärten und auf den reinlichen Feldwegen bewegen sich die Leute in heiterer Ruhe, nie hört man Fluchen und Schreien. Auch dem Reisenden bezeugen die Leute in Neuengland eine gewisse ernste Höflichkeit, und statt amerikanisch wortkarg zu sein, sprechen sie wohl selbst den Fremden an und suchen ihn in der Geschwindigkeit über allerlei auszuholen, was zu wissen nützlich sein könnte, gleichwie ein guter Haushälter jedes Stückchen Eisen, das er am Wege findet, aufhebt.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band I