Kein Land der Welt aber weist so mächtige und organisirte Banden auf, deren Hauptquartier die Straße ...

XIII.
Loses Volk in Amerika und anderswo.


Kein Land der Welt aber weist so mächtige und organisirte Banden auf, deren Hauptquartier die Straße und deren Hauptgeschäft Unruhstiften ist, als die Vereinigten Staaten von Nordamerika. Nachdem wir bisher von den slawischen und orientalischen Völkern zu den germanischen, celtischen, romanischen Völkern und endlich zu den Mischungen der letztern im frühern spanischen Amerika fortschritten, fanden wir von Land zu Land das lose Volk stärker vertreten: mit den freien Staaten Nordamerikas, wo es im vollsten Flore ist, haben wir unsere Skizzen zu schließen.


Die beiden Hauptklassen, in welche es dort zerfällt, sind Rowdies und Loafers, Unterarten werden wir später bemerken. Beide unterscheiden sich von ähnlichem Volke in andern Ländern dadurch, daß sie nicht lumpig, sondern wenigstens halbwegs anständig gekleidet gehen, daß Gebildetere aus den ersten Kreisen der Gesellschaft ganz mit ihnen verwachsen sind, daß sie in den öffentlichen Angelegenheiten einen wohl organisirten Einfluß üben, auf den Straßen entschieden die Herrschaft haben, und ungescheut und meist auch ungestraft die wildesten Streiche und Verbrechen begehen. Man muß den Grund zu ihrem so ausgedehnten Anwachsen zunächst im irländischen Charakter suchen; von den frühesten Ansiedelungen an sind bei weitem mehr Irische als Engländer nach Nordamerika gekommen und haben das Müßiggängerische, Ungestüme und Rohe, das in ihrem Charakter liegt, dort eingebürgert. Die elterliche Zucht im Hause ist bei den Nordamerikanern fast Null zu nennen, der Drang und die Leichtigkeit, sich öffentlich hervorzuthun, führt frühzeitig auf die Straßen, die lockere Staatsverfassung und die schwache Polizei lassen dann die Massen wohlgekleideten Gesindels Raum gewinnen. Nicht bloß Aermere, welche die tägliche regelmäßige Arbeit scheuen, sondern auch Söhne aus alten und begüterten Familien gerathen in seine Reihen. Der junge Amerikaner hat nämlich, da seine Studienzeit bald abgethan ist, noch ein paar Jahre frei, ehe er Frau und Geschäft bekommt; diese Zwischenzeit wendet er häufig zu nichts anderem an, als daß er umherstreift, sich in jederlei öffentlichen Angelegenheiten, in den Versammlungen, Gerichtshöfen, Wirthshäusern zu schaffen macht, und mit dabei ist, wo es etwas auf der Straße zu thun giebt.

So sammeln sich denn in den verschiedenen Stadtbezirken die Bekannten dieser Art tags über in den Schenkzimmern, auf den Kegelbahnen, in den Austerkellern und Spielhöllen und Abends an den Straßenecken. Ein Hauptquartier bilden auch die Spritzenhäuser. Um bei den täglich ausbrechenden Feuersbrünsten gleich bei der Hand zu sein, haben sich ständige Feuercompagnien, meist aus Freiwilligen, gebildet, von denen eine Anzahl immer im Spritzenhause Wache hält. Sobald das Feuerzeichen tönt, lassen sie ihre Glocke schallen, dann eilen die andern herbei, und rasselnd, läutend, brüllend stürzen sie über die Straßen zum Feuerplatze; nahmentlich bei Nacht sieht ein solches Rennen und Läuten mit Fackeln und Laternen aus, als käme eine Schaar aus der Hölle. Solche Sammelplätze wiederhallen nun von rohen Witzen und Gelächter, und dabei werden die Streiche ausgeheckt: so wie ein Plan gefällt, stürmt auch gleich die ganze Bande fort ihn auszuführen. Bald ist es ein öffentlicher Aufzug mit Bannern und Schießen, um irgend einen Mann oder ein Tagesereigniß zu feiern, bald gilt es eine Versammlung zu sprengen, einem mißliebigen Wirthe das Haus zu stürmen, einer andern Feuercompagnie ein offenes Gefecht zu liefern, bald über Deutsche, welche sich etwa zu einem Feste im Freien vereinigt haben, herzufallen, bald auch einem Hause voll Freudenmädchen, in welchem der eine oder andere sich beleidigt hielt, das Dach abzudecken. Sie legen auch wohl mal ein tüchtig Feuer an, jedoch bloß um Spaß oder Arbeit zu haben. Besonders gern suchen sie deutsche Schenkwirthe heim, und diese sind in manchen Stadttheilen schon gewohnt, wenn ein solcher Bursch in den Laden tritt, mit dem geforderten Glas Brandy auch die geladenen Pistolen von der Wand zu nehmen. Das Unabhängigkeitsfest und der Neujahrstag sind die, Zeiten, wo sich dies Volk in seiner ganzen Verwegenheit brüstet. Dann verfällt es in wahre Tobsucht, aber nicht ein Zehntel seiner Frevelthaten wird im Gefängnisse gebüßt. Es giebt eine Menge grundschändlicher Menschen darunter, aber bei weitem die meisten freveln nur aus Lust am Lärmen und Raufen, aus Prahlsucht und Uebermuth. Es ist das wilde Aufschäumen der Jugend in einem jungen reichen Lande, dem sich ungezügelte Leidenschaft und Verbrechen zugesellten. Viele Rowdies und Loafers benehmen sich sehr häufig als die gutherzigsten Leute, manche ihrer Streiche zeugen von Lust und Laune und es fehlen bei ihnen nicht Züge von Edelmuth, Brüderlichkeit und Aufopferung für einander in Gefahr, und wenn ihr Stolz aufgeregt ist, opfern sie sich auch zum gemeinen Besten. Ist einer verhaftet oder verurtheilt, so stellen die andern die Bürgschafts- oder Strafsummen. Daß sie tapfer wären, kann man gerade nicht sagen, wo sie nicht die Uebermacht haben, reißen sie aus. Wenn aber ihr Land von einem äußern Feinde angegriffen würde, würde sich gleich ein guter Theil von ihnen in eifrige Matrosen und Soldaten verwandeln.

Die ärgsten dieser Burschen, die Rowdies, bilden unter den übrigen besondere kleine Kameradschaften, welche Frevel jeder Art treiben, nicht etwa mit Witz und Schlauheit, sondern roh und gewaltthätig; Erpressung, blutige Raufereien, Raub und Einbruch, Nothzucht, Mord sind Dinge, welche bei ihnen gar nicht ungewöhnlich sind. Auch auf den großen Dampfschiffen, vorzüglich im Westen, haben sie ihr Wesen, da spielen die Neger und Farbigen mit ihnen wohl unter einer Decke. Tags über spielen, trinken und fluchen sie im Schenkzimmer, leeren heimlich die Koffer der Reisenden oder schaffen sie auch ganz bei Seite. Ohne Messer und Pistolen mit drehenden Läufen gehen sie nicht aus, im Westen und Süden führen sie auch das Bowiemesser. Der dänische und schwedische Bursch braucht mit Vorliebe einen guten Eichenstock, der deutsche Student den blanken Schläger, der Engländer die Faust, der Franzose den feinen Stoßdegen, der Italiener den tückischen Dolch, bei den amerikanischen Burschen hat das breite Messer Zuneigung gefunden. In den Städten treiben sich die Rowdies hauptsächlich vom Dunkelwerden bis zur Mitternacht umher; nicht immer aus Raubsucht, auch bloß aus Muthwillen schlagen sie ruhige Leute nieder, die ihnen begegnen. In den Theatern befindet sich oben hinter der Gallerie ein Schenkzimmer, wo sie mit ihren Dirnen sich lustig machen. „Boy“ (Junge, Bursche) ist das Lieblingswort, mit dem sie sich anreden; „short Boys“ (scharfe Burschen) sind die Jüngern, welche noch gewisse Manieren haben und mehr aus Liebhaberei, aus Raublust die Sache mitmachen; „Fighters“ (Raufer) heißen diejenigen, deren Handwerk darin besteht, Händel zu suchen, Geld zu erpressen, von den deutschen Wirthen Getränke sich gewaltthätiger Weise zu nehmen; „Killers“ (Todtschläger) sind die rohen und starken Menschen, welche recht eigentlich auf blutige Händel ausgehen und den Gewinn, den ihnen Spiel und Schurkerei nicht eingebracht haben, durch Raub und Mord suchen. Die Rowdies erscheinen bald in der einen, bald in der andern Stadt auffälliger und zahlreicher, und sind dann auf einmal bis auf die kleine ständige Schaar wieder verschwunden, sie machen große Reisen und kennen die Namhafteren der Brüderschaft und die Oertlichkeit in allen größern Städten.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band I