Das ist nun vorzugsweise der Fall bei den Völkern romanischer Zunge, bei denen das milde Klima ...

XIII.
Loses Volk in Amerika und anderswo.


Das ist nun vorzugsweise der Fall bei den Völkern romanischer Zunge, bei denen das milde Klima dem angebornen Hange zum müßigen Schlendern entgegenkommt.


Der Franzose eilt, wo immer ihn etwas Neues lockt, auf die Straße und giebt sich ohne viel Nachdenken dem Antrieb hin, der dort auf einmal alle Leute befällt. Das Stichwort für den Tag, für die Stunde kommt, man weiß nicht wie, irgendwoher geflogen, und plötzlich ist es in aller Munde, und Stimmen und Hände sind geschäftig es auszudrücken. Der Auflauf, die Revolution, überfällt die Leute wie ein Schwindel, alles eilt und drängt, irgend ein Resultat zu sehen, und ist es erreicht, folgt erst das Bedenken. Ich weiß nicht wer von ihnen einmal spottend sagte: die Franzosen sind wie die Affen, die emsig und eifrig von Ast zu Ast steigen und, sind sie oben auf des Baumes Wipfel, das Gesäß weisen. Man muß über den Vergleich lachen, aber ein wenig Wahrheit ist darin. Leichtblütiges Volk, welches irgend einen Gedanken, einen Wunsch, etwas das gleichsam in der Luft schwebt, auffaßt und den ersten Ruf ausstößt, findet sich immer auf den öffentlichen Plätzen, in den Kaffeehäusern, auf den Straßen. Das ist zunächst die große Menge junger Leute aus den wohlhabenden Familien, welche die Gewohnheit haben, den besten Theil des Tages sich an öffentlichen Orten aufzuhalten, sowohl die eigentlichen Nichtsthuer, als Studenten, junge Advokaten, Künstler, Aerzte und die Zahl der Publizisten. Das lediglose Umherschlendern währt bei den jungen Männern in Frankreich länger als in Deutschland, weil sie einmal an die Vorstellung gewöhnt sind, daß eine Familie auch ein Haus machen oder doch viel brauchen muß, und daher erst dann ernstlich daran denken, den eigenen Heerd zu errichten, wenn die Einkünfte schon sicher und nicht mehr klein sind. Auf diese gebildete Klasse, welche in den französischen Städten einen auch dem Durchreisenden auffälligen Theil der Bevölkerung ausmacht, hören die viel zahlreicheren Haufen von alten und jungen Handwerkern, Fabrikarbeitern und Handlangern, welche ebenfalls zum eigenen Geschäfte nicht kommen können oder die Fesseln des Hausstandes scheuen. Der Pariser Gamin wie der Pariser Flaneur hat seine Schattirungen an allen Orten, auch auf den Dörfern hält sich stets ein Häuflein zusammen, welches den Ton angiebt. Die Mehrzahl besteht zwar aus jüngeren Leuten, aber ein nicht kleiner Theil gehört auch dem reiferen Alter an. Bemerkenswerth ist, daß bei den Franzosen diese Art Leute weniger darauf ausgeht, sich untereinander Streiche zu spielen, als sie unwillkührlich stets die Neigung hat, vor die Oeffentlichkeit zu treten und die ganze Bevölkerung der Stadt oder des Dorfes zu erregen. Der Drang, sich sehen zu lassen, ist bei dem Franzosen einmal etwas Nationales.

Bei den Spaniern ist zwar die Zeit der Mantel- und Degenstücke, welche die Abende und Nächte unter den Balkons spielten, vorbei, die jetzigen Spanier legen sich ordentlich darauf, ein konstitutionelles bürgerliches Voll zu sein. Aber die alte Abenteuerlust ist keineswegs ganz erstorben, der Held und Matador findet immer noch leicht die Schaaren, die ihm nachziehen, und seitdem die bürgerlichen Kriege sie nicht mehr beschäftigen, sind es die politischen Reibungen. Es giebt in Spanien noch überall eine zahlreiche Klasse Menschen, welche zwar nicht ganz so sorglos wie ihre Genossen in Italien in den Tag hineinleben, jedoch ihre Bedürfnisse von einem unglaublich kleinen und ungewissen Verdienst sich verschaffen. Dieses Volk steht auf der Lauer und horcht, wo eine öffentliche Bewegung, ein Auflauf, ein Handgemenge im Anzug ist. Wo der Italiener noch lacht und zusieht, da springt der Spanier schon zu und schlägt dazwischen. Auch die stehende Figur der alten spanischen Romane, der arme Hidalgo, fehlt nicht, er ist ebenfals etwas Nationales bei den Spaniern, weil dort Armuth und Stolz so häufig zusammen sind, der Hidalgo hat heutzutage einen schäbigen Frack angezogen, seinen malerischen Filzhut aber hat er behalten. Vornehmlich sind die Stunden am Abend, wo die Dunkelheit so schnell hereinbricht, die Zeit wo sich die Geschichten auf der Straße anspinnen, welche die ruhigen Bürger in Angst versetzen und wohl noch hin und wieder in blutige Jagden mehrere Gassen hinab ausarten.

Die Portugiesen haben eine Menge feinen und groben Gesindels, welches sich auf den Straßen umhertreibt, neugierig und witzspielend, unruhig und händelsüchtig; aber so oft es auch mit der Polizei an einander geräth, Mannesmuth sitzt nicht viel darin. Es begnügt sich mit der ersten besten Aufregung, welche schnell wieder vorübergeht, empfangene Streiche rächt man dort heimlich und im Dunkeln.

In keinem Lande Europas aber mehrt sich die unruhige Bevölkerung, welche von ernsten Banden des Familien- und Geschäftslebens nicht umfaßt wird, so sehr als in Italien. Ihre Schaaren nehmen zz sowohl durch Nachkommen des alten Adels, als durch Söhne aus angesehenen Bürgerfamilien, sei es, daß sie in der Revolution ihre Stellung verloren haben, oder daß ihnen als politisch Mißliebigen die Aemter verschlossen sind, oder daß sie selbst aus Haß gegen die jetzt regierenden sich davon ausschließen. Jede Stadt, ja fast jeder große Familienkreis beherbergt einige von ihnen, alte und junge Männer gehören dazu, sie leben in unaufhörlicher Hast und Spannung, und wie alle politisch Unglücklichen und Verfolgten sind sie unter einander durch Parteiungen verbittert. Die heiteren sorglosen Gesellschaften von Frauen und Männern, welche sich in Italien auf eine so leichte und natürliche Weise das Leben anmuthig zu machen wissen und zu zahllosen Intriguen Anlaß geben, sind zwar noch da in dem sonnigen Lande, aber durch ihr freundliches Behagen schlingt sich hindurch jener andere finstere Reigen. Wie massenhaft aber das Volk der Gondoliere, Lastträger, Bergamasken, Lazzaronis, Fischer und wie die geringen Leute weiter heißen, sich unter jene Anführer stellt und zu welchen Schritten es sich hinreißen läßt, ist bekannt genug geworden. Ohne Vergleich zahlreicher und beweglicher als in den französischen Städten und Dörfern ist diese Volksart in den italienischen Ortschaften zusammen: am Strande, auf den Plätzen, vor den Kirchen, an den Gasthäusern sieht man vom frühesten Morgen bis in die Nacht eine Anzahl stehen, die Jacke über die Schultern geschlagen warten sie auf Arbeit und neue Dinge. Noch schneller als die Franzosen sind sie mit Spott und Witzreden bei der Hand, und wenn der Fremde die Ortsmundart verstände, so würde er von ihnen eine Menge von kurzen treffenden Bemerkungen und kecken Witzen hören, in denen jedoch mehr lustiger Muth als Bosheit ist. Von altersher hat jeder Ort eine solche stehende, aus dem jungen Anwuchs sich immer erneuernde Brüderschaft, deren Mitglieder zusammenhalten, wo irgend etwas auf der Straße zu tun ist, jedoch wenn die Noth an den Mann kommt, auch leicht ausreißen.

Wir versetzen uns nun nach Amerika. Dort ist das rechte Land für die schlechteste Sorte der Leute, die wir hier schildern.

Das ganze Südamerika, Mexico und Cuba beherbergen eine unglaubliche Masse Gesindels, welches Tag und Nacht auf den Straßen liegt. Die heiße Luft, welche die Thätigkeit des Geistes und der Glieder lähmt, die Leichtigkeit, sich Lebensunterhalt zu gewinnen, die Mischung aus europäischem, indianischem und negerischem Blute, die Lockerheit der bürgerlichen Geschäfte, das Zuströmen lediger und roher Burschen aus Europa, das sind die Ursachen, weshalb dort sich das Gesindel häuft. Die Familien, mit Ausnahme der großen Grundbesitzer und der europäischen Kaufleute in den Seestädten, sind gar nicht so fest in ihrem Vermögen wie in Europa; es ist sehr leicht, dort ein neues Geschäft anzufangen, aber noch viel leichter, das Erworbene wieder zu verlieren. Die Leidenschaft, welche in jenen Ländern für das Spiel herrscht, trägt sich auch in die Geschäfte über. Die Mischung aber mit Indianerblut, welche trotz des Abläugnens in nicht wenige Familien hinein reicht, wirkt noch nach, auch wenn sie im Weißen schon ganz verflüchtigt scheint; in Südamerika geben auch wohlhabendere kleine Grundbesitzer ihren Kindern schwarze Ahnen, das kann nicht ohne Einfluß auf Geistes- und Gemüthsart der Kinder bleiben. Es liegt bekanntlich wilden Völkern recht in der Natur, sich nicht ständig zu beschäftigen, sondern hin und her zu lottern, halb träumerisch zu leben und zwischendurch einmal sich gewaltsam aufzuregen. Ja wenn man sieht, wie schnell der Hang zum indianischen Müßiggang und zum sinnlichen Leben schon in den Kindern der eingewanderten Europäer aufkeimt, so muß man nothwendig auf eine innere Umwandlung der geistigen und leiblichen Natur schließen, wodurch sich jenes dunkle, heiße Blut erzeugt, das für gewöhnlich träg und trübe wallt, aber zu Zeiten Feuer und Funken sprüht. Nicht aus schlechten Staatsverfassungen – denn diese sind auch dort oft vortrefflich und solid ausgedacht – sondern aus der aufrührerischen Natur der einheimischen Bevölkerung entspringt die Reihe von Revolutionen, die in jenen Ländern periodisch wiederkehren. Es geht nicht anders, auch unter den Formen der freiesten Staatsverfassung muß dort ein scharfes Regiment die Massen des Gesindels niederhalten; hat jenes eine Zeit gedauert, wird durch neuen Aufruhr ein anderes wieder an seine Stelle gesetzt. Es wird noch eine sehr lange Zeit vergehen, bis sich feste und durchweg geordnete Zustände herstellen. In Brasilien, wo die großen Grundbesitzer noch hinlängliche Macht üben, und in den Seestädten, wo europäische Kaufleute eine wachsame Polizei besolden, ist verhältnißmäßig die öffentliche Ordnung noch am meisten gesichert.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band I