In Baltimore scheint überhaupt viel Sinn für Künste und Wissenschaften zu leben, und insbesondere ...

XIII.
Loses Volk in Amerika und anderswo.


In jedem Lande gab es von jeher eine Klasse, welche sich in unaufhörlichem Auflehnen gegen die öffentliche Ruhe befindet und auf den Straßen und Plätzen das ständige Triebwerk der Bewegung bildet. Ihre breite Masse wächst ihr zu aus dem niedern Volke, das von der Hand in den Mund lebt, aber ihre Angehörigen reichen auch in die obersten Gesellschaftsschichten hinein. Der gemeinsame Grundzug dieser Art Leute ist der Hang zum Müßiggehen, die Abneigung gegen ein ernstes Geschäft, welches täglich die besten Stunden vom Manne fordert, und daneben das Verlangen nach Wechsel und Aufregung. Sie wollen eben lose Vögel bleiben, es widerstrebt ihrer Natur sich festschmieden zu lassen. Die innere Unruhe treibt sie auf die Straßen, unter das Volksgewoge, dort müssen sie sich sehen lassen und von sich reden machen. Verwirrung zu stiften, allerlei Streiche zu üben, zu raufen und zu lärmen und Muth und Witz zu zeigen, ist die Lust ihres Lebens. Herzhafte und launige Stücke lieben sie am meisten, und bei ihrer ärgsten Gewaltthätigkeit fehlt selten ein Zug von Großmuth. Jedes Vergnügen treiben sie gleich bis in die äußersten Spitzen, wo es in Widerwillen überschlägt, und ihre Stunden theilen sich daher häufig zwischen Aufregung zum Uebermaaß und gründlichem Ekel an der ganzen Welt. In ihrem äußern Erscheinen haben sie immer etwas Leichtes, Natürliches, auch Lottriges, und wenn sie auch von feinster Erziehung her sind, setzen sie doch etwas darin rohkräftig aufzutreten. Regelmäßig bilden sich unter ihnen Schaaren mit Anführern, die eine eindringliche Macht üben, und die Meinung der Genossen hat größere Gewalt über den Willen, als das beredteste Flehen der Familien und die bessere Einsicht.


Je lockerer die Staatsverfassung, je bewegter das öffentliche Leben in einem Lande ist, um so einflußreicher treibt sich dies Völklein in ihm hin und her; jedoch auch der ärgste Druck von oben, die naseweiseste Polizei, wird es nie ganz todt machen. Es kann allen Parteien angehören, in jeder bleibt es seinem Charakter getreu, nicht konservativ zu sein. Wo ein laues Klima hinzukommt, schwillt diese Volksart zu Massen an, dort ist sie aber auch meistens träge.

Man hat verschiedene Namen für diese sonderbaren Leute, feine und gemeine, aber durch jeden wird immer nur ein Bruchtheil von ihnen bezeichnet, und auch dieser stets nur bei einem bestimmten Volke. Denn es versteht sich von selbst, daß gerade ihre Klasse die nationalen Unarten ihres Volkes am vollständigsten in sich aufnimmt und am meisten keck und sorglos an den Tag legt. Ein kurzer Ueberblick wird uns auch von dieser Seite die Volkscharaktere in ihrer Verschiedenheit vorführen.

Am lauesten tritt das bezeichnete Element zu Tage bei den Russen. Vorhanden ist es aber; auf den russischen Dörfern sammelt sich um den Wagen des Reisenden gleich ein Häuflein Gaffer, welche sich mit allerlei Spitzreden und Gaukeleien erheitern. Das russische Volk ist nicht ohne Laune, aber die jungen Burschen haben keinen Muth einen rechten Streich zu wagen, man würde sie bald ausfindig machen und als Rekruten einstellen, dann hat der Spaß ein Ende. Die eiserne Zucht, welche auf dem ganzen Volke liegt, hält den Uebermuth nieder, er macht sich Luft in kleinen Schelmereien und diebischen Streichen, bei deren Ausführung der Thäter sich leicht wieder ins Dunkle verkriechen kann. Hat der gemeine Russe einmal Geld und Muth, so geht er zum nächsten Branntweinladen, läßt sich für seinen ganzen Reichthum auf einmal in einen Becher schütten, und trinkt ihn auch sofort in einem Zuge hinunter. Dann wankt er stillselig so weit als die Beine ihn tragen wollen, fällt hin wo er gerade zu liegen kommt, und bleibt in Koth und Regen liegen, bis die Frauen ihn holen, oder bis er am Abend oder andern Morgen den traurigen Rausch ausgeschlafen hat. Die vornehme russische Jugend scheint ebensowenig Anlage als Freiheit zu haben, in Gesellschaft auf Streiche auszugehen; was von der Art vorkommt, sieht auf ein Haar aus, als hätte man den Geschmack dafür von anderswoher mitgebracht.

Desto stärker findet sich jenes Element bei den Polen, jedoch macht es sich bei ihnen weniger auf den Straßen als in den großen Gesellschaften und an öffentlichen Vergnügungsorten bemerklich, da aber auch breit, stürmisch und roh genug. Der Pole bei Wein und Kameraden ist gleich fertig zu allen Dingen in der Welt; irgend ein Antrieb fliegt plötzlich durch eine ganze Gesellschaft, man schreit und lärmt und drängt sich und schiebt sich, und wenn es ohne brüderliche Gewaltthätigkeit abgeht, kann man von Glück sagen. Im Polen steckt unverwüstlich etwas vom flotten Burschen, nicht gerade Geist und Witz, aber ein angeborner Hang, in Gesellschaft lustig zu leben, zu wagen und sich zu ruiniren. Freilich die letzten zwanzig Jahre haben seinen fröhlichen Muth gewaltig gedämpft.

Die übrigen Slawen ähneln zu sehr den Russen, sie sind in Unterdrückung aufgewachsen und ihre jungen Leute können sich zu einem entschlossenen Streiche lustiger Art nicht recht erheben. Dies geht bis in die Neugriechen hinein. Sie stellen zwar stets einen beträchtlichen Theil müßigen Volkes auf die Straße, aber es bleibt eben nur müßig, vergnügt sich mit Reden und Lachen, sucht einander anzuführen und einen kleinen Verdienst aufzuschnappen. Bei Dorf- und Familienfesten aber, wo es noch manchen Aufzug gibt, wird von den Burschen häufig eine neckische Geschichte aufgeführt.

Die Erziehung des jungen Türken ist viel zu strenge und zu sehr darauf bedacht, in ihm das Gefühl seiner Würde zu erwecken und strengen Anstand in Gang, Wort und Miene hervorzurufen, als daß er sich jemals der Oeffentlichkeit Preis gäbe. Sein ganzes Leben ist außerdem mehr auf die stillen Räume seiner Wohnung eingerichtet. Tritt er ins Volk, so ist er entweder voll Ruhe und gemessenen Ernstes, oder grob und unverschämt.

Bei den andern Orientalen ist das öffentliche Leben, so sehr es sich auch auf den Straßen bewegt, doch noch ärmer an Gehalt, es ist wie bei den Türken der genossenschaftliche Trieb bei ihnen zu schwach. Sie liegen alle gern müßig in der Sonne und hören und bedenken mit Behagen ein witziges Wort oder einen schlauen Handel; aber immer ist es nur der einzelne, der seine Streiche macht und dem ein Schwarm nachläuft.

Bei all den vorgenannten Völkern, deren politisches Leben für gewöhnlich in gleichmäßiger dumpfer Ruhe dahin geht, kommt zu Zeiten eine plötzliche Erregung vor; dann rennt alles mit, macht in Unzahl rohe und lustige Streiche, aber bald läßt die Spannung wieder nach und die Masse kehrt zu ihrem einförmigen Dasein zurück.

Wir wenden uns zu den nordeuropäischen Völkern. Bei ihnen ist es zu kalt, als das man gewohnt wäre, sich viel auf den Straßen umher zu treiben. Aber die Anlage, kecke Geschichten mit Freunden und Genossen zu unternehmen, ist da, sie vertheilt sich nur in kleine Kreise und Versammlungen. Es sind die jungen Burschen, welche Sonntags so lange vor der Kirche stehen, bis der Prediger die Liturgie schon angefangen hat, und dann unten in der Kirche nahe bei der Thür bleiben, um nachher zu Unfug sich gleich wieder zusammenzufinden; auf den Hochzeiten und Jahrmärkten ergehen sie sich in tollen Späßen, und in den Spinnstuben an den langen Winterabenden erschrecken sie die Mädchen. In den Städten fehlt es nicht an einer Schaar junger Leute, welche Streiche aushecken, an schönen Abenden, wenn es dunkel geworden, von einem Hause zum andern ihr Wesen treiben, und in Gesellschaften, und vornehmlich da, wo noch öffentliche Aufzüge hergebracht sind, den Ton angeben. Die Hauptstädte haben ihre ständigen Haufen von Matrosen, Karrenführern, Aufladern, Handlangern und dergleichen, welche zu einem Handstreich in Masse immer bald anzuwerben sind. Charakteristisch ist es, daß in den jungen Burschen und Männern, wenn sie öffentlich zusammentreffen, sich ein unbändiger Hang kundgibt zu einer tüchtigen Rauferei; bei den romanischen Völkern liebt man dafür mehr das Zungengefecht mit heftigem Gebärdenspiel.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band I