Abschnitt 3

XII.
Baltimore.


In Baltimore scheint überhaupt viel Sinn für Künste und Wissenschaften zu leben, und insbesondere auch heitere Bildung und Geselligkeit. Die Bewohner der nördlichen und südlichen Staaten vereinigen hier ihre angenehmeren Eigenschaften. Vielleicht hängt damit zusammen, daß Baltimore die glückliche Stadt ist, in welcher die lieblichste amerikanische Schönheitsblüthe sich entfaltet. Noch reizendere Gesichtchen, als zu Newyork und Philadelphia beleben hier des Nachmittags die Straßen, und es schien mir als wenn sie in Gang und Anzug anmuthiger und weiblicher wären als dort, und in Gesellschaften nicht immer so ätherhaft scheinen wollten, als lebten sie bloß vom Champagnerschaum und vom Dufte der Früchte. Aber es betrübt das Auge des Menschenbeobachters, daß auch hier so häufig die Schönheit der Gestalt nichts ist, als das trügerische Erzeugniß von Toilettenkünsten. Böse Zungen sagen den amerikanischen Damen nach, daß einige Opium nähmen, wenn sie in Gesellschaft gingen, um glänzende Augen zu bekommen, das glaube ich aber nicht, das hat nur der Neid der Engländer erfunden. Nur eines ist mir unbegreiflich, wie nämlich gebildete Damen, die doch in sich selbst eine unversiegliche Quelle von Ideen und Unterhaltung finden könnten, tagtäglich von der Leidenschaft ergriffen werden, aus einem Modeladen in den andern zu wandern, bloß um die prächtigen Stoffe und neuen Putzsachen zu sehen. Doch vielleicht wollen sie sich nur erfreuen an der unübertrefflichen Gewandtheit der Kaufleute, welche den Ladies die bunten Waaren vorlegen, und an der Achtung und Artigkeit, welche Damen überall umgiebt, wo sie nur erscheinen. In Amerika können die Männer mit Recht sagen: „wir sind die Herren der Schöpfung,“ die Frauen aber: „und wir die Krone.“ Diese Hochachtung für die Frauen, welche die amerikanischen Männer in tausend kleinen Dienstleistungen an den Tag legen, ist ein Juwel unter ihren Vorzügen und hält mancher unliebenswürdigen Eigenschaft das Gleichgewicht. Jedes Volk könnte in dieser Beziehung noch viel von ihnen lernen. Freilich hat die amerikanische Frauenverehrung auch etwas konventionellen Beigeschmack. Es ist eine Huldigung, welche mehr dem harten Geschlecht in Bausch und Bogen geweiht wird, als ächter Weiblichkeit, vor deren Sternenglanz und stiller Hoheit sich der Mann verehrend beugt.


Zu Baltimore’s Ruhm, mit dem anmuthigsten Schönheitskranz geschmückt zu sein, gesellt sich leider auch der böse Ruf seiner Rowdies. Der Stadtrath erklärte einmal, er könne diese wilden Burschen nicht mehr bändigen, und sah es gern, daß die Bewohner einiger Stadttheile eine geheime Polizei bildeten, um einander gegen Brandstifter und Hauseinbrecher zu schützen. Ein arges Rowdiestück fiel nicht lange nach meiner Anwesenheit vor. Ein Dampfboot mit fast tausend Menschen an Bord hatte von Baltimore eine Vergnügungsfahrt nach Annapolis gemacht, mehrere seiner Gäste hatten dort Unfug getrieben und die Leute in eine gereizte Stimmung versetzt. Bei der Abfahrt flog vom Dampfschiffe einem, der am Ufer stand, eine Citronenschale an den Kopf, ein Schwarzer antwortete mit einem Backsteine und traf eine Frau, sogleich streckte ein Büchsenschuß ihn nieder. Nun entspann sich ein hitziges Gefecht. Bierflaschen und Backsteine, Büchsen- und Pistolenschüsse flogen vom Boot auf’s Ufer, und vom Ufer auf’s Boot, eine Menge Menschen stürzten blutend zusammen, die Frauen und Kinder rannten schreiend und in Todesangst aus dem Schiffe umher und wurden endlich unten zwischen den Maschinenwänden geborgen. Der Kampf dauerte fast eine halbe Stunde, denn das Dampfschiff war auf den Grund gefahren, und eben war es wieder flott, als ein Kanonenschuß ihm nachdonnerte, der jedoch zum Glück ins Wasser ging. Ein zweiter noch schlimmerer Abschiedsgruß war ihm zugedacht von einer Landspitze, an welcher es vorbei mußte. Die Kanone dort war schon geladen, gerichtet, und sollte eben abgebrannt werden, als einige Milizofficiere die gräßliche That verhinderten. Einige Tage lang wiederhallte die Entrüstung in allen Zeitungen, eine Woche später war die Sache so gut wie vergessen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band I