Die Franzosen haben jetzt ihr Land so ziemlich abgeholzt, der Regen wäscht auf ihren Bergen das ...

II.
Im Innern von England.


Die Franzosen haben jetzt ihr Land so ziemlich abgeholzt, der Regen wäscht auf ihren Bergen das Gestein bloß und ihre Ebenen dehnen sich in einförmiger Breite. Frankreich sieht heutzutage abgelebt, greisenhaft aus, seine Poesie hat einen weiten Weg zu machen, wenn sie sich aus den glatten Wänden der Gesellschaftssäle flüchten will in die kräftigende Naturfrische noch ungebrochener Forsten. Auch die Engländer haben ihren Wald arg verwüstet. Wo einst Robin Hood und seine Sachsen, als sie von den normannischen Herren außer Recht und Frieden gesetzt wurden, den Hirsch jagten in der Sicherheit tiefer Waldgründe, da rauchen jetzt die Schlote der Fabriken und kann der Pflüger auf dem Felde von weitem die Kirchthürme sehen. Aber wo in England der hallende Wald verschwunden ist, da blüht jetzt ein Garten. In welcher Richtung man im Innern von England auch reiset, immer scheint die Gegend festtäglich geputzt. überall lacht sie uns nett und freundlich ins Auge. Es ist ein fortlaufendes Gewinde von grünen Hecken, farbigen Feldstreifen, schimmernden Flüßchen und thauglänzenden Hügeln, zahllose hellfarbige Häuschen sind dazwischen gestreut, und ein Dorf nach dem anderen gruppirt sich malerisch, halb von Baumgrün verdeckt, um eine altersgraue Kirche oder um einen Hügel, von dessen Spitze epheuumrankte Schlösser niederschauen. Die duftenden Weißdornblüthen und die wilden Rosen hängen über die Landwege, der sorgfältigste Anbau ziert die Felder, und auf den saftgrünen Wiesen weidet prächtiges Vieh in sichern Umzäumungen. Die Bewohner der Dörfer scheinen Städter, welche aufs Land sind, so schmuck und reinlich sehen ihre Wohnungen aus, selbst die kleinste Hütte umzieht sich mit Jasmin und Rosenbüschen. Der deutsche Bauer will den Düngerhaufen vor Augen haben, weil er an seiner Ausdehnung die Größe und Fruchtbarkeit seines Grund und Bodens mißt; in England wird jener für Aug' und Nase unangenehme Stoff seitab auf dem Felde niedergelegt und mit Reisig überdeckt.


Eigenthümlich ist dieser Insel die außerordentliche Menge von Landsitzen, die in jedem erdenklichen alt- und neumodigen Styl gebaut sind, Bergschlösser, gothische Hallen und Burgen, griechische Tempel und mittelalterliche Abteien. Walter Scott's romantische Bilder haben, wie es scheint, hier und da einem Engländer den Kopf verwirrt, so daß er keine Ruhe hatte, bis er in abenteuerlich bethürmter und bezinnter Behausung wohnte. Im Ganzen aber herrscht der normannische Baustyl vor, der ein tüchtiges und würdiges Gepräge hat, in seinen Formen aber noch nicht genug vergeistigt ist; er gleicht einem kräftigen Pflanzenwuchs, welcher noch nicht zur Blüthe gelangte. Sieht man im Innern von England verhältnißmäßig so wenig öde Striche, dagegen so häufig die Gegend dicht besetzt mit weitläufigen Fabrikanlagen, wohlhäbigen Dörfern und zahlreichen stolzen Land- und Edelsitzen, jeden von einem Parkgewoge oder doch von grünen Rasenplätzen und blanken Kieswegen umgeben, so erhält man eine lebhafte Vorstellung von den ungeheuren Reichthümern, welche auf dem kleinen Erdfleck dieser Insel zusammengehäuft sind.

Der Reiz der englischen Landschaft wird dadurch erhöht, daß sie so häufig sich in Wolken und Nebel einhüllt. Wenn sie wochenlang klarer Sonnenschein bedeckte, so würde sie bei aller Anmuth doch zuletzt ermüden. Denn die Aussicht bleibt immer eng begränzt, mächtige Berggestalten erheben sich nicht, das Ganze zieht sich auf und ab und in leisen Wellungen fort, welche nur durch freundliche Hügel und allerliebste Thälchen unterbrochen werden. Weil aber zehnmal des Tages ein dunkler Regenguß kommt, so sieht die Landschaft, wenn der nächste Sonnenstrahl über sie hinspielt, immer wieder frisch und neuverjüngt aus. Die Engländer benutzen außerdem die natürliche Scenerie mit großem Geschick, Baumgruppen dienen dazu, mit ihrem reichen vielschattirten Grün hier schöne Punkte hervorzuheben, dort nackte Stellen zu verdecken. Es wird dadurch die Täuschung erweckt, als wäre noch eine großartige Natur dahinter. Und so reiset man durch Wolkenschleier immer wieder zu nett umbüschten Aussichten, die Größeres ahnen lassen, bis man zuletzt am Meere steht, wo die Insel zu Ende ist. Da giebt es bloß Fischerdörfer, welche der Matrosenerzeugung wegen angelegt scheinen, Möven und Felsen und das endlos fluthende Meer, und wenn man sich daran satt gesehen hat, wendet man wieder um zu den Hecken, dem parkartigen Baumgrün und den niedlichen Hütten und Landsitzen, an denen sich das Auge so lange sättigen muß, bis der Wagen in eine alte Stadt hinein rasselt.

Die lieblichste Gegend kann uns durch grundlose Wege, durch die ewige Qual von Pappelwänden zu beiden Seiten der Straße, durch mürrische Kutscher und naßkalte Wagen verdorben werden. Das ist in England nie der Fall. Die Wege sind wie getäfelt und malerisch an den Höhen hingeführt, statt in unaufhörlich gerader Linie die Landschaft zu durchschneiden. Die Kutscher sind wohlmal so ausbündig grob, daß man ihnen gern zuhört, denn es ist Salz und Würze in dieser Grobheit, aber ihr Thun ist immer ganz so zweckmäßig wie ihre Wagen. Auch die Dorfwirthshäuser sind behaglich eingerichtet. die Menge der großen und kleinen Krüge lacht den Eintretenden an in gefälliger Aufstellung. Der Engländer trinkt aus Zinn und Steingut und bewahrt die Getränke in festen Krügen auf, das zerbrechliche Glas liebt er nicht. Diese Wirthshäuser haben den großen Vorzug, daß ihr Inneres sauber und reinlich ist, wenn auch noch so klein. Die Reinlichkeitsliebe ist für den Engländer höchst werthvoll, denn ein Volk redet und handelt stolzer und anmuthiger, wenn es saubere Kleider und reine Hemden hat. So ganz unrecht hatte Der nicht, welcher einmal sagte: man könne die politische Tüchtigkeit eines Volkes nach der Menge Seife abmessen, welche es verbrauche. Wenn viele Deutsche nur etwas von dem Wein- und Biergelde, welches sie täglich ausgeben, auf saubere Wäsche verwendeten, so würde das ganz im Stillen gute Früchte tragen. In sonstiger leiblicher Erquickung ist dagegen ein englisches Wirthshaus viel ärmer als ein deutsches. Die Getränke, Ale, Porter, gebrannte Wasser und brandige Weine sammt allen ihren Mischungen sind mehr auf Anregung und Erwärmung bei feuchtem Wetter berechnet, als auf Erfrischung und Kühlung. Und nun gar der ewige Käse und Schinken. Roh oder gekocht oder gebraten, aber allemal Schinken. Nur für die beiden Hauptmahlzeiten des Tages kann man darauf rechnen, daß der Tisch gut bestellt wird, mit der einzigen Ausnahme, daß man das Fleisch häufig nicht zerreißen kann, weil es noch halb roh ist.

Das Volk in England hat ein frisches Aussehen, der Regen begießt es oft genug und die Seeluft umstreicht fortwährend die Wangen. Ueberall erblickt man das feste tüchtige englische Gesicht, aber keineswegs häufig geistvolle oder scharfe Züge. Eher könnte man sagen, der Engländer sieht sehr dumm aus, wenn er nicht sehr klug aussieht. Mittelgut scheint es in diesem Volke nicht viel zu geben. Die Aerzte sind entweder höchst gediegen oder ausgemachte Charlatans, die Prediger Männer gewaltigen Worts oder die langweiligsten Predigtableser, die Schauspieler geniale Künstler oder die schrecklichsten Schreihälse. Nur beschränkte Juristen und schlechte Kaufleute sind in England selten. Wenn man länger dort reiset, macht sich auch ein Unterschied zwischen zwei Rassen bemerklich. Die sächsische tritt auf in kurzen stämmigen Figuren mit breiten, fast viereckigen Gesichtszügen, die andere Rasse scheint aus normännisch- sächsischer- irischer Mischung hervorgegangen, der Körper ist schlanker und die Gesichtsfarbe reiner, die Umrisse des Kopfes ovaler, Haar und Augen haben dunkleren Glanz, und zwischen der leichtgewölbten Stirn und den langrunden Wangen nehmen sich Mund und Nase fein und niedlich aus. Diese feinere Gesichtsbildung und die hochgewachsenen Gestalten sind vorzugsweise ein Erbtheil des Adels, der auch mit kluger Vorsicht darauf hält, sich mit langen stattlichen Bedienten und hübschen Hausmädchen zu umgeben. Auch nach den Grafschaften wechselt hin und wieder das Aussehen des Volkes, in einigen Gegenden zeigen sich mehr schwärzliche Köpfe, in andern mehr geröthete Gesichter mit hellerer Haarfärbung. Eigenthümliche Landestrachten giebt es nicht mehr, alles kleidet sich städtisch, und das einfachste Farmerkind hat Geschmack darin. Mit Vergnügen sieht man in einigen Gegenden so viele schlanke vollbusige Mädchen auf der Wiese arbeiten, jede in kleidsamer Tracht, welche die schönen Formen vortheilhaft heraushebt. Insbesondere gewinnen auch die Landmädchen in England durch die unnachahmlich niedliche Weise, wie sie ihren Hut aufsetzen. Dabei benehmen sie sich mit so jungfräulichem Stolze, jeder Mann muß gegen sie achtungsvoll und artig sein. Im Ganzen jedoch möchte keine Gegend Englands einen so durchgängig schönen Volksschlag aufweisen, wie der Schwarzwald, Friesland, einige Striche im Berner Oberlande oder in Westfalen und noch anderswo in Deutschland.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band I