Wer wochenlang die graue Oede des Meeres und darauf die dunstige Hitze Newyorks erduldet hat, ...

VI.
Hudson, Mohawk, Crenton, Tenessee.


Wer wochenlang die graue Oede des Meeres und darauf die dunstige Hitze Newyorks erduldet hat, dem ist eine Fahrt den Hudson hinauf eine köstliche Erquickung. Das Auge taucht durstig in diese Fülle von Grün, in diese Felsenwildniß hinein, die der stolze Strom durchglänzt. Sein tiefes Rauschen mischt sich mit dem langentbehrten Wohllaut des wogenden Waldes, sein reiner Hauch kräftigt noch die Wohlgerüche, die aus den Thalwindungen herüber strömen. Diese würzige Luft erinnert an das Duften von Italiens Gärten, aber es ist etwas Wildes, Gluthvolles darin, das man in Europa nur in den unbewohnten Bergstrichen des Südens aufsuchen darf. Newyork erhebt sich desto höher und schimmernder, je weiter man sich entfernt, als Augenpunkt des hellen Flußthales, das rechts eine lange umbüschte Felsenkette, links anmuthige Hügelreihen einfassen. Doch gerne läßt man die glänzende Stadt hinter sich, das Paradies der Feinschmecker ist sie gewiß und auch der beste Ort, um den Wachsthum und die Städte und Reiche gründende Macht des Welthandels kennen zu lernen, aber es ist nicht möglich, mitten in dem reißenden Wirbel der Geschäfte in Newyork eine einzige stille Stunde des Nachdenkens zu gewinnen. Diese Stadt giebt dem Fremden gleich bei seinem Eintritte in Amerika einen, man möchte sagen, gewaltsamen Eindruck dessen, was dieses Land vorzugsweise auszeichnet und groß macht, das ist das rast- und schrankenlose Schaffen in allem, was die Erzeugnisse der Erde und die Ideen des Menschengeistes verwerthen kann. Der Fremde verlangt aber in Amerika noch nach anderm, nach der großartigen Natur. Und besser kann er in sie nicht eingeführt werden, als durch die herrliche Bergwildniß, die ihn bei Stonypoint aufnimmt. Bis dahin gleicht der Hudson einem See, auf welchem sich ganze Schaaren von Schiffen ausbreiten, hier aber ist man auf einmal wie in einem tiefen Hochthal. Der Fluß scheint nur hineingeschüttet zu sein, so frisch und riesig steigen die grünen Berge aus seinen Wellen auf und gipfeln sich, oft genug ihre nackten Felsenglieder zeigend, kühn über einander, der Blick verliert sich in die zahllosen Schluchten und Irrthäler, und die Sonne überstrahlt mit ihrem reinsten Lichte Höhen, die wohl selten von Menschen bestiegen werden. Mit mehr Geschmack und Einsicht hätte man die Bildungsstätte der künftigen Kriegsführer nicht wählen können, als in Westpoint, mitten in dem Zauber einer erhabenen, noch jungfräulich wilden Gebirgswelt, umgeben von den zerstörten Bollwerken der Feinde, dem einzigen spärlichen Trümmergrau, das Amerika aufzuweisen hat.


Nichts geht über das Vergnügen, bei Wald und See dichterisch thätig zu sein; nach diesem Genusse schätze ich am höchsten, in schöner Natur der behaglichen Ruhe und des Gedankenspiels zu pflegen, wenn ich gut gespeist habe. Dieser Genuß wurde mir so vollkommen, als ich es nur wünschen konnte. Der Dampfer führte einen guten Tisch, und Fluß und Ufer blieben immer schön. Die verschiedensten Landschaftsbilder folgten rasch auf einander, oft ergoß sich der Hudson zu einem breiten klaren See, und ging’s wieder in eine Thalenge hinein, so hatte man hinter sich felsige Gebirgsvorsprünge und dazwischen die herrlichsten Fernsichten. Wo die Ufer breit und niedrig wurden, schoben sich die Landzungen in den Fluß, bedeckt mit geputzten Städtchen und Landsitzen. Ich konnte nicht vom untern Verdecke weg, obwohl vor dem Winde zu Zeiten eine Spritzwelle stäubend in die Höhe flog. Es war ein heller Herbsttag, ein rechter Jagdtag, wie man in dieser Jahreszeit in Deutschland sagt, um Rebhühner und arme Hasen zu schießen, wenn man nämlich die Erlaubniß vom Staate sich erkauft hat, diesem lachenden Erben all der reichen Stifte und Capitel und Städte. Früher konnte man in Deutschland nur jagen, wenn man einer dieser Innungen oder dem Adel angehörte oder Freunde darunter hatte, jetzt kann bereits jeder für sein Geld sich das Jagdvergnügen verschaffen. Der allein herrschende Staat hat die Berechtigungen und Freiheiten wieder einbezogen, welche vor Alters Volkseigenthum waren, sich im Laufe der Zeit aber unter einzelne Personen und Stände zersplittert hatten. Amerika brauchte solchen Kreislauf nicht durchzumachen. Es hat an den Ufern seiner Flüsse keine Burgen und Dome, hier waltet die junge, weite Natur, und darin der Mensch in seiner Freiheit, denn das Land hat Ueberfluß für Alle. Wo die menschlichen Wohnungen in die Gehölze hinein gesäet sind, da überwiegen sie doch niemals den Eindruck einer sich selbst noch gebietenden Natur. In Europa ist aller Boden

zerstückt und verbraucht: so weit man steht, ist von der Menschenhand die Erde geknechtet, in Amerika erscheinen noch immer die Werke des Menschen, groß oder klein, wie verloren in der ringsum wogenden Wildniß. Dies ist auch der eigenthümliche Reiz des Hudsonthales. Es ist wie ein frisches Heldengedicht, welches das Volk selbst gesungen hat, die Sprache ist nicht immer dichterisch gewählt, aber es ist die Sprache eines jungen, starken Volkes, der Laut der Natur, der oft wie der Donner hallt in majestätischer Schönheit. Der Rhein ist unendlich schöner als der Hudson, der deutsche Fluß gleicht dem Werke einer Dichterseele, die ihre wundervollen Offenbarungen klar und besonnen den Menschen giebt. Aber es hängt sich auch viel Trauer und Oede an die Gestade des Rheines, und manche seiner Burgtrümmer erscheinen im rechten Lichte erst, wenn der Sturm und der Regen sie peitscht.

Die Catskillberge erhoben sich in prachtvoller Bläue gegen Ende der Fahrt, massenhafter als das Siebengebirge, aber zu entfernt vom Ufer und nicht gezackt genug, um den grandiosen Eindruck des Drachenfelsen zu machen. Sie erinnern eher an den Schwarzwald, wenn man ihn vom Rheine aus sieht, und wenn man einmal einen Vergleich haben will, so möchte die Elbe von Torgau bis in Böhmen hinein den richtigsten Vergleich für den Hudson liefern. Aber die Elbe ist so enge und hat nur spannenlange Dampfboote, und hier die amerikanischen! wie stolz und gewandt theilen sie die Fluthen, sie tragen ganze Gebäude stromauf stromab, in der Ferne erscheinen sie wie weiße Forts mit Thürmen. Und doch wie zierlich und kostbar ist die innere Einrichtung, solche weite glänzende Säle läßt kein anderes Volk auf dem Wasser schwimmen. Ein rheinisches Dampfschiff ist dagegen ein niedlicher Kahn, ein französisches ein großes Rauch- und Schmutzbecken, und ein englisches ein Staatszimmer voll Langeweile. Das amerikanische Dampfschiff gleicht seinen Landsleuten; das Aeußere könnte angenehmere Linien und Formen haben, das Innere aber ist ganz danach, um schnell zu gehen und viel zu fassen, und dabei ist es drinnen weit und luftig, durchflogen von allerlei Wind und Plänen. Amerika hat ungeheure Räume auf dem Erdboden und in der Zukunft vor sich, der Geist gewöhnt sich in diesem Lande daran, das Weite und noch Unversuchte zu durchmessen. In Europa hat jeder Winkel seinen Herrn und jedes Ding sein Maaß von vorn herein; wer nicht viel Einbildungskraft hat, wird durch die Enge und durch den Druck der Gegenwart selbst engherzig und muß sich schicken lernen. Aber sonderbar, eine Rheinfahrt läßt einen wunderbaren Zauber in der Seele zurück, steigt man jedoch vom Hudson, der soviel Hochromantik aufschloß, wieder an das Land, so denkt man an die Vortheile, welche der prächtige Strom dem Handel gewährt. Die Landschaftsbilder, welche vorüberflogen, sind verdrängt durch den Eindruck der Eile des Verkehrs stromauf und ab, durch die Menge der frachtbelasteten Dampf- und Segelschiffe, durch das Marktgewühl an allen Handelsplätzen.

Albany ist eine so nette Stadt als man nur sehen kann, und in Kuppeln und Säulen scheinen seine Bewohner ganz verliebt zu sein. Da sie schon in sehr früher, Zeit und von Holländern gegründet ist, so zeigt diese Stadt einzig unter den vielen neu aufwachsenden Städten des Staates Newyork einen gewissen geschichtlichen Charakter und Straßen und Plätze, in denen eine vornehme Ruhe wohnt. Hier findet der Staatsmann, Gelehrte und Künstler Muße zum Arbeiten, und gebildete Gesellschaft und herrliche Naturumgebung, sich darin zu erfrischen. Auch die Mitglieder der Landesgesetzgebung saßen und beriethen sich in Ruhe und hielten endlose Reden. Es wurde gerade über die Nothwendigkeit verhandelt, ein neues Gesetzbuch des bürgerlichen Rechts abzufassen, damit doch endlich, wie ein Redner sich ausdrückte, ein Recht da sei, in welchem die Vernunft und die Geschäfte unserer Zeit sich zurecht finden könnten.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band I