Die Vornehmheit gilt aber bloß von den höher gelegenen Theilen Albany’s, unten an dem Kanale ...

VI.
Hudson, Mohawk, Crenton, Tenessee.


Die Vornehmheit gilt aber bloß von den höher gelegenen Theilen Albany’s, unten an dem Kanale und Flusse herrscht der Lärm von Handel und Gewerbe. Die Stadt legt sich breit vor den Hudson und umfaßt das große Becken des Eriekanals. Auf dem letzteren strömen alle Erzeugnisse herbei, welche aus den Feldern, Bergen und Waldungen des unendlich reichen Westens hervorgeholt werden. Der Hudson bietet dafür die schnelle Straße bis zum Meer, und auf dem Flusse herauf kommt noch Werthvolleres aus den Werkstätten an beiden Seiten des Oceans. Albany nimmt zugleich die Eisenbahn auf, welche vom Eriesee neben dem großen Kanal herführt Und sich dann nach den Neuenglandstaaten hin verzweigt. Deshalb ist auch die untere Stadt von Fahrzeugen aller Art und von Wirths- und Lagerhäusern wie umzingelt, und tritt man aus dem Dampfer heraus, so muß man sich durch eine Masse Gesindel durchschlagen, welches dem europäischen sicher nichts nachgiebt. Auch deutscher Pöbel hatte sich hier angesiedelt. Ich las in einer Zeitung zwei öffentliche Scheidungsbriefe auf einmal. In dem einen zeigte Jemand aus der Umgegend an, er habe seine Frau an den Methodistenpfarrer für fünf Dollars verkauft, wofür die Gerichtskosten bezahlt seien. „Auf dieses hin hat dieses Weib und ihr Pfaff keinen Anspruch an mich und sage ihm, daß er sich dort nicht sehen lassen darf, wo ich mich aufhalte.“ Ein Anderer erklärte kurz und gut, seine Frau sei ihm weggelaufen und er werde Jeden abdreschen, der sie ihm wiederbringe.


Um Land und Leute besser kennen zu lernen, zog ich vor, auf einem Kanalboote zu fahren. Dies ist ein langes, schmales Fahrzeug, welches von Pferden im Trabe gezogen wird. Es enthält einen großen Saal, an dessen einem Ende die Küche und die Kapitänskajüte, und an dessen anderem Ende das Schlafzimmer der Frauen sich befindet. Die Männer schlafen im Saale auf einer Art von Hängematten, welche des Abends an den Wänden übereinander aufgehangen werden. Die viert-halbhundert engl. Meilen von Albany bis Buffalo, welche auf der Eisenbahn in einem Tage zurückgelegt werden, fährt das Kanalboot in fünf Tagen.

Die Unzahl der Boote bei Albany hatte mir schon eine Vorstellung von den ungeheuren Lasten gegeben, welche auf dem Kanale verschifft werden. Als uns aber alle drei Minuten ein paar Boote begegneten, alle zehn Minuten das Wasser ganz mit Booten bedeckt war, alle übervoll beladen mit Wuchten von Getreide, Mehl, Metallen, Hölzern, Branntwein, Oel, Fleisch, Fettwaaren, Häuten, Salz, Gyps, und Gewerkswaaren, da begriff ich, daß dieser Kanal täglich so viel werth war als die Arbeit von vier Millionen Pferden und noch einer halben Million Menschen dazu. Die Einnahme übersteigt die Ausgabe bereits um Millionen. Und doch wurde sein Urheber Clinton anfangs in der Landesgesetzgebung als ein abenteuerlicher Plänemacher ausgelacht, ein Redner sagte: wenn der Kanal gegraben sei, so würden die Thränen über die Kosten das Wasser hergeben müssen, ihn anzufüllen. Allerdings war die Besorgniß gegründet, daß man den Kanal nicht hinlänglich speisen könne, und man muß sich über die tüchtigen Dämme, welche dem Kanal das Wasser zuführen, und über die kühnen Brückenbauten freuen, durch welche er über die Flüsse hingeht. Trotz der ungeheuren Länge ist die Steigung, welche zu überwinden war, gering, und nur an einigen Stellen, namentlich bei Littlefalls und Lockport, mußten längere Tiefgänge durch felsige Anhöhen gehauen werden.

Dieser Kanal hat aber nicht allein das Verdienst, daß er den ganzen Verkehr von der großen Wasserstraße der Seen mitten durch den Staat Newyork und geradezu auf dessen Hauptstadt hingeleitet hat, sondern er hat auch unermeßlich zur Bevölkerung dieses Staates beigetragen. Wo er herzieht entstehen Werk- und Lagerhäuser und Ortschaften; die Axt mäht in die Wälder hinein, um Aecker zu schaffen, denn die Leichtigkeit des Absatzes verdoppelt den Werth der Frucht. Oft ist kaum ein Waarenhaus errichtet, so wird schon ein Hafenplatz daraus, der sich dann nach dem ersten Anbauer nennt, dieser giebt nun vielleicht einer großen Stadt den Namen. So lebte in Rochester, als die Stadt schon vierzig tausend Einwohner zählte, noch die Wittwe Rochester, deren Mann die erste Hütte dort baute. Troja, Shenectady, Utica, Rom, Syracus, Lions, Lockport sind andere größere Städte am Kanale, welche von vornherein großstädtisch angelegt sind und unglaublich schnell sich vergrößern. Ganz dasselbe ist der Fall bei der Menge der kleinern Städte, wie Amsterdam, Palatine, Herkimer, Caejoharina, Cayuga, Palmyra, Montezuma; an eine solche Namenmengerei muß man sich hier gewöhnen.

Und alles das was sich da anbaut und in die Breite strebt, sieht so nett und frisch, so handlich und lebendig aus, als wäre es zum Vergnügen gemacht. Das Volk ist wie ein Haufen rüstiger Burschen, der sich in die Wälder stürzt und sich im Umsehen daraus eine Stadt zurecht zimmert, an deren hübschem Aussehen er auch zugleich seine Freude haben will. Dennoch könnte man einen Preis darauf setzen, hier einen Handschlag nachzuweisen, der überflüssig geschähe. Und dabei leben die Leute in voller Sorglosigkeit der Jugend. Geht an dem einen Orte das Geschäft nicht, so giebt es tausend andere Plätze, wo man die Woche darauf ein anderes anfängt. Das Land hat Lebensmittel in Hülle und Fülle, wer die Arme regen kann, dem ist das Nothwendige zum Leben gewiß. Ach wieviel arbeitet und sorgt und duldet man dagegen in der alten Welt. Nichts ist natürlicher, als daß die Amerikaner eitel sind und soviel Rühmens von sich selbst machen. Welcher junge lebenslustige Bursch putzt sich nicht gern und will nicht gern hören, daß die Leute sagen, wie nett er ist. Bejahrte Leute aber werden in Amerika ohne Weiteres bei Seite geschoben. Es scheint, als wenn sie dem jungen Volke lästig wären. Die Anrede „alter Mann“ lautet fast so, als wenn man halb mitleidig halb verächtlich sagte: „Alter Lump, treib dich noch eine Weile umher und dann mach, daß du von der Welt kommst.“

Von Albany zog sich der Kanal durch ein Waldthal zu einer Hochebene hinauf, auf der sich die weitesten Aussichten darboten, die Bergzüge entlang über wohlbebaute Landschaften. Aus dem Hudsonthale traten wir in das des Mohawk hinein, diesen Fluß begleitete der Kanal über hundert Meilen lang. Das Thal des Mohawk ist eine breite Mulde voll der fruchtbarsten Aecker und hellgewässerten Triften. Auf dem Felde war der Mais bereits aufgebunden, und dazwischen glänzten die gelben Kürbisse; Aepfel, Pfirsiche Und Melonen waren wie ausgeschüttet, man konnte recht darin schwelgen. Die Mitreisenden bestanden zum größten Theile aus amerikanischen Landbauern, die aus den Neuenglandstaaten mit Weib und Kind zum fernen Westen zogen, sich dort eine neue Heimath zu gründen. Diese standen immer voll Bewunderung und riefen: „schönes Land, allmächtig schönes Land, dreihundert Dollars der Acker!“ Mich zog besonders das Fremdartige der Gesträuche an, welche in üppiger Fülle zwischen den Feldern und auf den bebuschten Anhöhen wuchsen. Blumen fand ich weit seltener und meist waren sie ohne Geruch. Wald, Fluß und Thal erschienen in helle starke Farben getaucht, und der blaue Aether umwogte alles so leicht und klar, daß sich jedes Blatt, jede Felsspitze scharf in ihm abzeichnete. Meilenweit ließen sich auf den Anhöhen Häuser und Felsen deutlich erkennen. Wenn sich Wolken sammelten, so zogen sie nicht erst grau und verworren umher, sondern sie standen auf einmal am Himmel in herrlichen festen Umrissen, und wenn ich nach einer Weile wieder hinblickte, hatten sich Massen und Farben verändert, ohne daß eine Bewegung darin wahrzunehmen. Seit Italien und Oberbayern hatte ich so hellen Himmel, so kräftig gefärbte Landschaft nicht gesehen. Die Amerikaner werden gewiß noch ausgezeichnete Landschaftsmaler haben.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band I