Und welches Wohlleben überall! Auf den Märkten kauften Frauen, welche am dürftigsten aussahen, ...

V.
Erste amerikanische Eindrücke.


Und welches Wohlleben überall! Auf den Märkten kauften Frauen, welche am dürftigsten aussahen, fette Truthühner. Die Maurer auf dem Gerüste tranken künstliches Mineralwasser. Genüsse, welche sich bei uns nur die Mittelklassen verschaffen können, sind hier Gemeingut. In Häuschen, die nur Stube und Kammer hatten, sah man den Teppich durch die Hausthür und die Geräthschaften nett und niedlich aufgestellt. Das einzige Elend, welches sichtbar wurde, schienen die Einwanderer mit zu bringen. Es lehnten an den Häusern deutsche Mädchen mit langen Zöpfen und von ungeschlachtem Aeußern, welche angsthaft in das bunte fremde Gewühl starrten. Mancher Amerikaner ging mit Blicken vorbei, die deutlich ausdrückten, daß ihm dieses Volk so widerwärtig sei wie Halbwilde. Elend, das sich öffentlich zeigt, hält der Amerikaner für schamlos oder stumpfsinnig.


Diese ersten amerikanischen Eindrücke verstärkten sich in den folgenden Tagen. Ich sah hier wirklich ein neues Volk: wo gab es sonst noch ein Land, in welchem die große Masse so lebhaft, so gebildet, so wohlversehen mit Wohnung, Kleidung, Speise und Trank? wo ein Volk, welches so frisch und frei sich fühlt und bewegt? Kraft und Ungestüm ist in allem was es anfängt, strenge bei der Arbeit, ist es waghalsig in seinen Unternehmungen und Hoffnungen. Mit rechtem Eroberungsgeist geht es ohne Bedenken darauf los, alles Mögliche in’s Werk zu setzen. Gleich in den ersten Tagen strömte mir eine Fluth von neuen Ideen zu: soviel Neues sah und hörte ich, wie Reichthümer zu erwerben, ein Volk in Marsch zu setzen, seltsame religiöse Ansichten zu verwirklichen, sozialistische Aufgaben praktisch zu lösen und Grundübel der Menschheit zu heilen. Und dabei diese köstliche belebende wohlriechende Lust, dieser wundervoll klare Himmel! In der amerikanischen Atmosphäre webt etwas, das anregend durch alle Lebensgeister dringt. Schon als ich der Küste der neuen Welt mich näherte, entzückten mich das Jugendfrische, die kräftige Heiterkeit und die Wohlgerüche der Luft. Ich wurde nicht müde, den Widerschein des klaren Himmels an den Häusern und auf dem Wasser, und die grandiosen Wolkenmassen zu bewundern. Verschweigen darf ich aber nicht, daß ich einen Freund, der mir wollene Unterkleider anrieth, erst auslachte und zwei Tage nachher seinen Rath befolgte. Nachmittags waren wir in Glühhitze in die Bai hinausgefahren, und als wir Abends wiederkamen, schnob ein eisiger Wind durch die Straßen, daß man vor Kälte zitterte. Und gleichwohl stand fast täglich in den Zeitungen, daß Menschen am Sonnenstich plötzlich todt niedergefallen.

Allmählig machte ich noch andere Erfahrungen. Es schien mir, als wenn im amerikanischen Volke zu viel Springfedern steckten und zu wenig solider Gehalt. Die Menschen waren von einer unaufhörlichen Unruhe ergriffen und kamen nicht zum ruhigen heitern Lebensgenuß. Auch fiel mir nach und nach das Krankhafte und Schwächliche in’s Auge, das sich unter dem jugendlichen Aeußern verbarg. Man sieht es den Leuten an, daß sie zu rasch leben. Die Männer sind schmächtig, von fast weiblichen Formen. Fahle Gesichter auf dünnem langen Halse sind häufig, im Ganzen jedoch haben die Männer wenn auch kein gefälliges, doch auch kein häßliches Aussehen, ein Wuchs aber, der von Kraft und Jugend schwillt, läßt sich unter Amerikanern kaum entdecken. Die Frauen sind, wie weltbekannt, allerliebst, sie haben schlanke feine Figuren und die niedlichsten kleinen Hände und Füßchen. Ueber die schmalen Gesichtchen verbreitet sich ein zauberischer Glanz und keine Spanierin kann funkelndere Augen haben. Allein Perlenzähne und anmuthige Körperfülle sind auch bei den schönsten Amerikanerinnen fast ebenso selten, als ein Rest von blühender Schönheit, der noch jenseits der verhängnißvollen Zahl der hohen Zwanzig haften bliebe.

Der Amerikaner weiß jede Bewegung aus einem männlichen Anstandsgefühl wohl zu beherrschen, bei längerer Bekanntschaft aber entdeckt man, daß er gleichwohl empfindlicher und reizbarer ist als ein Europäer. Ohne Zweifel liegt für seine ewige innere Unruhe und Reizbarkeit ein Hauptgrund in dem Landesklima, der schroffe Witterungswechsel und die vorherrschend scharfe trockene Luft machen das Blut rascher pulsiren. Vielleicht leitet die Anhänger der Pflanzenkost in Amerika ein richtiges Gefühl auf die Enthaltsamkeit von Fleisch und Blut der Thiere.

Der Europäer merkt auch bereits in den ersten Stunden seiner Ankunft, daß im hiesigen Leben eine gewisse Triebfeder mit ganz anderer Kraft, als in Europa, geschäftig ist. Hier geben nicht höhere Stände den Ton an, der sich durch das übrige Volk fortpflanzt. Auch ist es nicht der Druck einer geschichtlichen Vergangenheit oder eine ererbte Volksneigung für Krieg und Seefahrt, Kunst und Religion, was dem Streben der Amerikaner Farbe und Richtung giebt. Deutlich hört man durch alles, was der Amerikaner redet oder thut, das ewige Tiktak durch; mach Geld! mach Geld! Wo bei uns in politischen, kirchlichen, künstlerischen oder literarischen Dingen die Idee den Vorrang hat und in zweiter Linie der Geldpunkt zur Beachtung kommt, da sind in Amerika, sobald der erste Gedanke zu irgend einem religiösen oder sonstigen Unternehmen entspringt, sofort auch im Kopfe seines Urhebers Idee und Geldpunkt innig mit einander verwachsen. Für rein sittliche Zwecke, für Volksbildung, für religiöse Institute geschieht in Amerika vielleicht noch mehr als in Europa, allein man weiß nicht, wo dabei das Geldgeschäft aufhört und der sittliche Zweck anfängt. Zum gemeinen Besten, oder sei es auch nur zur Befriedigung einer Laune, hat der Amerikaner eine großartige Manier des Geldausgebens, aber er sieht in dem Zeitstrome, der während seiner Lebensdauer an ihm vorüberrauscht, nichts als das Goldblinken und sitzt unablässig am Ufer, um jede vorüberrinnende Minute in Goldkörnchen zu stempeln. Und wer das nicht mitthut, der ist ihm lästig oder ein Gegenstand des Mitleides.

Endlich kam es mir auch so vor, als wenn im Schooße der amerikanischen Bildung gar manches kuriose Kraut wüchse. Baustile aller Zeiten und Länder sah ich auf die kühnste Weise durch einander gemengt, und so gefällig und zweckmäßig die Wohn- und Bethäuser sich darstellten, so regelmäßig war den meisten größern Gebäuden irgend ein Bauungethüm angehängt, gleich wie den russischen Kirchen die Zwiebelkuppel. Jeder geborne Amerikaner schien mir über hiesige Zustände ebenso klar als praktisch zu sprechen: kam aber die Rede auf tiefer liegende Schätze der allgemeinen Bildung, so stieß man bei den meisten entweder auf steinigen Boden, oder der Amerikaner wich dem geraden Gedankengange zur Seite aus, um irgend ein Mißgewächs aus eigenem Ideenschatze zu Tage zu fördern. Ich begriff nun, wie einige unserer hier angesiedelten Landsleute zu einer Ansicht gelangten, die mir höchst unsinnig erschien. Sie meinten, die Natur des Landes bringe es mit sich, daß alles hier ausarte, was von Europa herüberkomme, und sobald die europäische Zuströmung aufhöre, werde die amerikanische Welt rettungslos wieder verwildern. Alle andern sahen dagegen in die amerikanische Zukunft wie in lauter blühende Obstgärten hinein. Ich erfreute mich einstweilen an der Gegenwart, in dieser hatte ich bereits soviel Neues und Anziehendes gesehen, daß ich schon in der ersten Woche beschloß, meine Reise durch die Vereinigten Staaten, welche nur auf zwei Monate festgesetzt war, auf ein halbes Jahr auszudehnen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band I