Ich war nun in der Gegend der Wasserfälle. Von Utika machte ich einen Abstecher nach den etwa ...

VI.
Hudson, Mohawk, Crenton, Tenessee.


Ich war nun in der Gegend der Wasserfälle. Von Utika machte ich einen Abstecher nach den etwa vier Stunden entfernten Trentonfällen. Es ging eine Anhöhe hinauf, unten breitete sich ein reiches Thal aus, in welchem das freundliche Utika schimmerte. Wenn man bei uns zu Wasserfällen fährt, so ist man in grünen Gebirgen unter kühlen, hallenden Felsen und Wäldern; davon war hier wenig zu spüren. Der Weg geht durch ebenes oder leichthügeliges Land, bis man auf einmal in das in Felsen und Erde tief eingerissene Flußbette hinabschaut, in welchem das Gewässer von Zeit zu Zeit in Absätzen herunterstürzt. Als ich dem hübschen Städtchen Trentonville, welches sich in einem anmuthigen Thale bettet, mich näherte, bekam die Gegend einen schwachen Anstrich von Gebirgslandschaft, die Häuser waren mit Schindeln gedeckt, aus den Wäldern kam Harzgeruch, die Sonne aber brannte wie mit glühenden Pfeilen. Das Gasthaus bei den Fällen, wo des Sommers sich Familien der gesunden Luft wegen aufhalten, war schon leer. Unter den Bäumen dicht bei dem Hause geht auf einmal eine steile Treppe tief hinab in einen Felsenschlund, in welchem unten das dunkelbraune Wasser niederbrauset. Es ist nicht ein einziger großer Wasserfall, sondern man geht an mehreren Absätzen hinauf, welche das schäumende Gewässer herabstürzt. Die senkrechten Felsenwände waren so hübsch mit Gebüsch und Blumen behangen, als hätte es eine sorgsame Menschenhand gethan. Je weiter ich in der engen Schlucht hinaufstieg, desto öder und düsterer wurde der Ort, die Raben oben auf den Felsen krächzten, als erwarteten sie ein Opfer, das sich unter den Wasserstürzen und Felsen zerschmettern solle. Riesige halbvermoderte Baumstämme, Felsblöcke, dicht niederhangende Flechten und Ranken ließen kaum einen Durchgang. Auf einmal sah ich mitten im Wasser auf einem Felsen ein schlankes Fräulein sitzen, von oben bis unten in grüne wehende Schleier gehüllt. Auf meinen unwillkührlichen Anruf drehte sie steif und langsam den Kopf mir zu, gerade wie ein Storch, ohne eine Linie ihrer senkrechten Haltung zu ändern. Es war so lächerlich, daß ich trotz des lieblichen Gesichtchens, das aus der Schleierhülle hervorsah, das Lachen kaum verbeißen konnte. Da ich nun auch ein offenes Buch bei ihr sah, obgleich das stäubende Wasser gewiß keinen Buchstaben darin trocken ließ, mochte ich das Wasserfräulein im poetischen Schwelgen weiter nicht stören.


Nach Utika zurückgekehrt, fuhr ich bis Rochester auf der Eisenbahn. Sie berührt mehrere Seen, welche noch ihre indianischen Namen haben. Nicht lange, so werden auch diese wohlklingenden Laute irgend einem albernen fashionablen weichen müssen, das ist jetzt so Mode. Die armen Indianer können nicht mehr widersprechen, die wildesten sind schon lange nach dem fernen Westen verbannt, und die Wenigen, welche in dieser Gegend vereinzelt sitzen geblieben, haben Kleidung und Staatsgesetze der Weißen angenommen und verzehren auf ihren Farmen die guten Pensionen, welche der Staat für die abgetretenen Ländereien zahlt. Bei Oneidacastle wohnte Einer, der drei manierliche Töchter hatte, sie lasen und musicirten und jede bekam viele Tausend Dollars Aussteuer.

Rochester liegt recht zwischen Wasserfällen. Der Genessee strömt durch die Stadt zum Ontariosee, sein üppiges Thal ist weit und breit seiner Fruchtbarkeit wegen bekannt, aber auch wegen seines Reichthums an Fiebern. Oberhalb und unterhalb der Stadt stürzt der Fluß über mehrere senkrechte Absätze, welche das Strombette durchschneiden. Der anziehendste Punkt ist in Rochester selbst, auf der großen Brücke. Diese ist über einen breiten Wasserfall gebaut, etwas tiefer zieht der Kanal in einer weiten geraden Steinrinne über den Fluß, der linke Uferrand ist festungsartig besetzt mit mehreren hohen Mühlengebänden von Stein, aus welchen einige zwanzig ansehnliche Sturzbäche auf einen grünen Abhang niederprasseln und gleich ebensoviel Strömen weißer Milch weiter schießen. Rochester hat, wie mehrere andere amerikanische Städte, einen Urwaldshügel sich zum Friedhofe umgewandelt. Auf diesem Mount Hope oder Hoffnungsberg ruhen die Todten noch halb unter Urwaldsschatten, und die Lebenden werden dort erfreut durch eine herrliche Rundsicht.

Von Rochester aus nahm ich wieder das Kanalboot, um die Werke bei Lockport zu sehen, von deren Großartigkeit ich so viel reden hörte. Indessen bestanden sie nur darin, daß der Kanal eine ziemlich lange Strecke durch Felsen gehauen war. Ueberhaupt ist der Kanal, wie so viele ähnliche Arbeiten in Amerika, großartiger durch seine Ausdehnung, als durch einzelne Riesenbauten. Die Amerikaner halten ihn freilich für das größte Wunderwerk, und ich mußte unwillkührlich lachen, als mir ein Eingeborner an dem Tage, an welchem ich das Jahr vorher auf der Eisenbahn von Lüttich nach Köln fuhr, bei Lockport sagte: ein so allmächtiges Werk, wie der Eriekanal sei, habe die alte Welt nicht aufzuweisen.

Zwei Stunden von Buffalo erstreckt sich am Kanale hin Ebenezer, die große Ansiedelung deutscher Separatisten. Sie haben sich erst vor wenigen Jahren dort angebaut und haben jetzt schon mehrere Tausend Aecker urbar und eine reiche vorzüglich geordnete Wirthschaft. Eigenthum und Arbeit, welche nicht zum nächsten Gebrauch dienen, sind bei ihnen gemeinschaftlich. Natürlich fehlt es auch nicht an religiösen Schwärmereien. Die Deutschen nennen sie deshalb spöttisch die Inspirirten, die englischen Amerikaner, welche an derlei Verzückungen selbst überreich sind, sprechen mit großer Achtung von den „preußischen Ansiedelungen,“ weil sie das außerordentlich rasche Gedeihen vor Augen sehen. Ueberhaupt mehren sich in den Uferlanden des Erie und Ontario die deutschen Ansiedelungen sehr schnell. Sie ziehen sich manchmal meilenweit durch die Wälder. Auch die Städte am Eriekanal, dieser großen Heerstraße der Auswanderung nach dem Westen, vergrößern sich von Tag zu Tag durch deutsche Einwanderer. Der Eine findet hier, der Andere dort Arbeit, Freunde oder Geschäftsgelegenheit, oder sie müssen bleiben, weil sie unterwegs um ihr Geld geprellt sind. Dann miethen sie sich ein, taglohnen, und helfen sich durch Fleiß und Sparsamkeit weiter, bis sie mit dem Erwerbe sich ein Häuschen bauen oder weiter nach dem Westen wandern. Die Vermögenderen gehen gleich möglichst weit nach den westlichen Prairien und Waldungen. Mit Jagdhüten und langen Bärten, welche das Erstaunen der Amerikaner erregen, sieht man sie den ganzen Kanal entlang, sie wollen in die reine Naturwildniß hinein und nehmen häufig ein Vermögen mit. das ihnen daheim den anmuthigsten Wohnsitz verschaffen könnte. Es scheint wirklich im Menschen noch ein Rest von uranfänglichen Neigungen zu stecken, zu Zeiten überfällt ihn mitten im Schooße der Civilisation das Heimweh nach der Freiheit der Wildniß. Die letztere kann man übrigens auch hier, nur ein paar Meilen von der Straße, noch aus erster Hand haben, der nördliche Theil vom Neuyorkstaate ist noch heutzutage halbe Wildniß.

Bald hinter Ebenezer schimmert einem der Eriesee entgegen wie ein helles Meer. Welche frische Lebenskraft weckt doch jedesmal der Anblick des Meeres in der Brust. Erst seit drei Wochen hatte ich die Mühen der Seefahrt hinter mir und schon jubelte ich wieder, als ich nach den dunkeln Wäldern von neuem endlose Wasserfläche sah. – Buffalo, der andere Endpunkt des Kanals, ist bereits eine prächtige Stadt voll großhändlerischer Thätigkeit und ausgestattet mit allem Luxus und aller Verderbniß großer Städte. Fort und fort bauen sich rings um sie her die hübschen weißen Häuser in die grüne Fläche hinein. Doch nimmt man sich kaum Zeit, in Buffalo sich umzusehen – der Niagara ist zu nahe!

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band I