Fast das ganze Mohawkthal war von einem lebendigen Verkehre erfüllt. Der Fluß selbst. obwohl in ...

VI.
Hudson, Mohawk, Crenton, Tenessee.


Fast das ganze Mohawkthal war von einem lebendigen Verkehre erfüllt. Der Fluß selbst. obwohl in weichen und nicht sehr tiefen Wellen sich ergießend, trug manchen Kahn, dicht am Ufer zog der gewühlvolle Kanal dahin, auf der andern Seite brauste das Eisenroß auf der Eisenbahn, und dazwischen auf den Landstraßen flogen die Landbauern und Städter in ihren Wägelchen hin und her. Gewiß ist immer ein sehr ansehnlicher Theil des amerikanischen Volkes auf der Reise. Die Leichtigkeit, mit der man hier das Leben nimmt, seinen Wohnsitz abbricht und anderswo wieder aufbaut, kennen wir in der alten Welt nicht. Auch die kleinen Städte haben in Amerika gleich ihre Kosthäuser, welche nie leer stehen. Junge Leute, die seit drei Tagen sich kennen, lassen sich trauen und beliehen ein Zimmer in einem Kosthause, ein Koffer verschließt ihre ganze Habe, Essen und Bettwäsche giebt das Haus her. So leben sie vielleicht Jahre lang und haben nicht mehr Leinenzeug, als sie zu Kinderwindeln brauchen. Einer Deutschen würde ein solches Leben ohne die Würde und Pflichten der Hausfrau, ohne die Freude reicher Ausstattung des eigenen Heerdes gräulich sein; die Amerikanerin fragt: wozu soviel Umstände, wenn man ohne sie leben kann?


Des Morgens lagerten sich gewöhnlich weiße Nebelmassen breit über das Thal hin, nur einzelne Baumwipfel und Hügel hoben sich in schwankenden Umrissen daraus hervor; man hörte das Leben von allen Seiten von Menschen und Maschinen, sah aber nichts, bis ganz in der Ferne die Sonne bleich und dunstig auftauchte; dann kam bald ein frischer Wind und fegte den Nebel weg, und in reinster Klarheit schwebte die Sonne über die hellen Waldhöhen herauf. Besondern Reiz hatten für mich auch die Abende. Kaum sank die Sonne wieder hinter die Thallehnen, so warf auf einmal der Himmel seinen dunkeln Mantel über die Erde, gestickt mit dem funkelndsten Sternenlichte und dem goldfarbigen Mond. Die Boote zogen lautlos auf dem Kanale hin, kaum daß ein leises Plätschern sich hören ließ. Lichter blitzten von allen Seiten durch die Bäume, die Bootsleuchten schimmerten in rothen Streifen auf dem Wasser. Aus den Wäldern strich die würzigste Luft, vermischt mit einem seltsamen Summen, welches das vielfach wache Leben darin verkündete; dann und wann hörte man auch eine Kuhglocke. Dann wechselten die Töne, es begegneten sich Boote, das Anrufen und die Trompeten der Bootsführer hallten weit durch die Nacht, bis das Rauschen der Schleusen alles überschallte. War auch das wieder verschollen, so versank alles in die alte Stille um bald mit denselben Lauten die Nacht von neuem zu unterbrechen. Eines Abends dauerte es indessen lange, bis es auf dem Boote ruhig wurde. Auf dem Verdecke wurde Violine gespielt, und der Bootsführer und seine Gäste übten sich in Yankeetänzen; es war das närrischste und geschmackloseste Gedudel, Springen und Beinschlenkern. Die Amerikaner, welche Tags über immer so trocken und wortkarg gewesen, waren jetzt die ausgelassensten Menschen. Wenn sie einmal ihren Geschäftsernst bei Seite werfen, dann sind sie wie wilde Rosse, die über die Stränge schlagen. In der Kajüte aber saßen die ältern ernsthaft beisammen und sangen Psalmen aus einem Choralbuche. Ließ ich mich mit diesen in ein Religionsgespräch ein, so hatte ich Mühe, damit wieder zu Ende zu kommen; ihre Belesenheit in der Bibel war außerordentlich, das war aber auch ihre ganze Kenntniß. Einer, der viel von den Philosophen sprach, gab mir auf die Frage was er darunter verstehe, zur Antwort: Ein Philosoph sei der, welcher die Lichter des Himmels (die Sterne) kenne und das Wetter mache. Mancherlei Seltsamkeiten abgerechnet habe ich übrigens die amerikanische Geselligkeit auch in den untern Classen meist anständig gefunden; sie gerathen wohl mal in heftigen Streit, allein weder mit Wort noch Hand wird einer dabei gekränkt. Auch wurde mir, wenn ich auf der Reise nach etwas fragte, freundlich und ausführlich geantwortet. Den jungen Tagedieben aber, von denen sich in jedem Städtchen einige durch unsaubere Kleidung und freches Benehmen bald zu erkennen geben, thut man wohl aus dem Wege zu gehen. Diese haben die Gewohnheit, den Fragenden, statt ihm Rede zu stehen, zum Teufel zu schicken, als wenn sie selbst zur Antwort keine Zeit hätten.

Bei Littlefalls wird das Mohawkthal überaus romantisch. Graue Felsenwände und das dunkle Tannengrün schließen es ein und der Fluß stürzt schäumend über Steinblöcke. Das Städtchen ist malerisch zwischen Felsen und Gebüsch angesiedelt. Um die Steigung zu überwinden, folgt hier eine ganze Reihe von Schleusen dicht auf einander. Das Gewässer in den Schleusen donnerte, der Fluß brauste und tobte, und der Eisenbahnzug rauschte durch das weithinhallende Felsenthal: es war prächtig. Als das Kanalboot aus einer Schleuse zur andern über die Gebirgsscheide heraufgehoben war, folgten zu beiden Seiten des Kanals liebliche Wiesengründe, bedeckt mit üppigem Vieh und umzogen von halbnackten Hügeln. Das Boot zog jetzt so still dahin, wie eine holländische Treckschuyte. Hier hatten sich schon in frühester Zeit Holländer angesiedelt. Ihre Familien kennt man noch jetzt heraus an ihrem langsamen Sprechen und Thun, wie an ihrer reinlichen und behaglichen Häuslichkeit. Zwischen ihnen wohnen noch zahlreich den Mohawk entlang die Nachkommen der ältesten deutschen Einwanderer. Diese, „die Mohawker,“ sind als Starrköpfe verschrien, weil sie so lange Zeit sich sträubten, englisch-amerikanische Sprache und Bildung anzunehmen. Jetzt sind auch sie kopfüber in den Schmelztiegel geworfen, aus welchem manche Mißgestalt hervorkommt. Die holländische Sprache dagegen ist bereits ganz erloschen, auch in Albany, einst der vielgeliebten Stadt der Holländer, haben diese nichts zurückgelassen, als den eigenthümlich stillen Charakter der obern Stadt und ein paar holländische Bibeln.

Sobald der Kanal die Gebirgsscheide hinter sich hat, tritt er in die unabsehlichen Waldungen, welche noch bis zu den Seen alles Land bedecken. Dann zieht er stundenlang durch langweilige Forsten, in denen eben erst die Blockhütten errichtet werden. Die abgerindeten, vertrockneten Riesenbäume strecken wie verzweiflungsvoll ihre nackten Aeste zum Himmel. Sümpfe, verwachsenes Nadelgehölz, kaum angebrochene Lichtungen mit schwarzen Baumstümpfen auf dem Acker ziehen sich in trauriger Oede neben dem Kanal hin. Wenn es dabei den ganzen Tag regnet, dann ist eine solche Kanalfahrt bei der Einförmigkeit in der Kajüte und draußen keineswegs unterhaltend. Desto lebhafter wird’s, wenn wieder ein Städtchen in der Ferne schimmert. Dann riefen sich die Bootsführer zu. „go the whole hog,“ wörtlich: „geh (nimm) die ganze Sau.“ Diesen Zuruf, frischzu mit vollen Kräften loszugehen, hatte ich schon in Neuyork öfter auf Straßenplakaten gelesen. Der Amerikaner Sprache ist überreich an solchen Vergleichen und Witzen, welche von den allergewöhnlichsten Dingen hergenommen sind. Das ist ihre Geschäftspoesie, jedenfalls anschaulicher Natur. Ein rechtes Yankeegespräch ist nichts als eine Mosaik aus derlei Vergleichen, launigen Stichworten und Rechenexempeln. Auch der Franzose, Spanier, Italiener, vor allen der Engländer sieht nicht ein, warum er nicht durch Redensarten, welche aus dem gemeinen Leben gegriffen sind, seine Unterhaltung kraftvoller machen soll. Nur wir Deutsche, welchen eine ganze Menge der treffendsten Sprüchworte zu Gebote stehen, sind delikat in ihrer Anwendung und nehmen sie lieber aus fremden Sprachen. Mancher vornehme Herr sagt wohl französisch: „revenons a nos moutons,“ aber gewiß nicht auf deutsch.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band I