Der Lord geht zu Gesellschaften und Vergnügungen, welche wie Alles in England einförmig sind, aber ...

I.
Ein Tag in einer englischen Seestadt.


Der Lord geht zu Gesellschaften und Vergnügungen, welche wie Alles in England einförmig sind, aber im größten Maßstabe angelegt. Er scheint auch dahin die Geschäftsmiene seines Landes mitzunehmen. Besser steht es ihm an, wenn er mit seinen Genossen politische Berathungen hält; denn er weiß dabei des Volkes Beste wundervoll mit den Vorteilen für seine Klasse zu verbinden. Doch vielleicht fährt auch der edle Lord zu seinem Advokaten oder Mäkler, um ein Handelsgeschäftchen mitzumachen. Seitdem die neuere Industrie eine so kolossale Geldmacht geschaffen, daß sie mit jedem Jahre mehr vom alten großen Grundbesitz verzehrt, denkt auch der hohe Adel ernstlich daran, wie er ein stilles Bächlein von den Goldquellen des Handels und der Börse zur Befruchtung auf seine Güter leite.


Den Prälaten, des Lords jüngeren Bruder, begleiten wir zu seinem Chorsitze in die Kirche. Diese ist mit Teppichen und Polsterstühlen ausgeschmückt und läßt nur wenig kahlen Raum für die Armen offen. Der Chorgesang tönt nicht selten lieblich, wenn sich die zarten hellen Kinderstimmen hineinmischen. Die Liturgie und die Priesterkleidung sind halb katholisch. Weil aber mitten in der katholischen Umgebung der katholische Altar fehlt, so sieht das Ganze aus, als hätte es den Kopf verloren. Doch das Geistige ist ja bei solchen Anstalten in England Nebensache, die Hauptstärke der Staatskirche besteht in den Diensten, die sie dem Adel und seinen Söhnen durch ihre Pfründen und Würden leistet. Mancher Adelige, heißt es, hege deshalb auch Wahlverwandtschaft zur katholischen Kirche, weil er vermuthe, sie werde staatsmäßig seinem Stande wieder aufhelfen; die Kirchengüter freilich, auf deren Raub sein Vorfahr vielleicht die Macht der Familie gründete, denkt er nach wie vor zu behalten.

Mit dem Richter treten wir in die Gerichtssäle und erbauen uns an den feinen, scharf markirten Köpfen der englischen Juristen, welche auf dem schwarzseidenen Staatsmäntelchen und von dem ehrwürdigen Glanz der weißen Perrücke umflossen sich um so schärfer abzeichnen. Die Akten der englischen Juristen sind höchst dünn, ihre Gesetzbücher wahllos und verworren, aber alte Erfahrung, Verschmitztheit, gewandte Rede und gesunder Menschenverstand helfen überall wieder in das Fahrwasser. Allgemach sieht man jedoch auch in England die Nothwendigkeit ein, vom Festlande, namentlich von Preußen her, Einrichtungen anzunehmen, welche den Prozeßgang vereinfachen. Der Oberrichter hat immer ein höchst vornehmes Aussehen, aber auch die Volksmenge in englischen Gerichtshöfen ist voll Ernst und Würde, es ist kein Zuhörer da, der sich nicht durchaus anständig benähme. Einen tiefern Blick in das englische Volksleben würde aber Jemand thun, der einen vornehmen Arzt begleiten könnte in die hohen glanzvollen Häuser des Adels, wo man krank ist, weil der vollste Besitz des irdischen Guts keinen Reiz mehr bietet, und in die nicht minder prächtigen Wohnungen des reichen Bürgerstandes, der kerngesund wäre, wenn er nicht die leidenschaftliche Begierde hätte, vornehm zu sein in Ton und Umgang. Der Fremdling würde staunen über die gediegene Pracht, welche französischen Firniß verschmäht, und über den Reichthum an ausgesuchten Genüssen, die ein einziges englisches Haus bietet. Wundern aber würde er sich vielleicht, wie mancher englischen Familie von altererbten Reichthümern in unsern raschen Tagen der Boden unter den Füßen versinkt, wenn auch ihr Silbergeschirr allein noch so viel werth scheint, als bei uns ein ansehnliches Rittergut.

Aber wir haben auch die Herren des Handels und der Gewerbe auf ihren Geschäftsstuben zu besuchen. Welch Gewühl von Kräften arbeitet da in einander, kunstvoll geregelt wie ein Räderwerk, welche rastlose eiserne Thätigkeit sucht die Schätze aus allen Ländern nach den englischen Städten herüberzulocken. Der Handel der Engländer zieht seine Linien um die ganze Erde, so sicher und regelmäßig, wie der Pflüger seine Furchen über den Acker. Der Welthandel und das große Gewerbe sind im Laufe der Geschichte von Volk zu Volk übergegangen, bis sie jetzt im riesigsten Maßstabe an England gekommen sind, das sie festhält und ausbeutet mit allen Künsten und allen Ränken. Kommt ein Deutscher in diese Werkstätten des englischen Großhandels, wie weit scheint ihm da die Zeit zurückzuliegen, wo Deutschlands und Italiens Städte den Handel beherrschten. Und doch hielten einst unsere Hansebürger nicht allein die drei nordischen Königreiche, sondern auch England unter ihrer Scheere; mußte ihnen doch selbst noch die stolze Elisabeth die bündigsten Privilegien zu Englands Nachtheile zugestehen, damit sie deutsche Kriegsschiffe zum Schutze gegen die spanische Armada geliehen erhielt. Doch die meisten Deutschen lesen nicht mehr die Geschichte der Hanse, sie beachten es kaum, daß fast jedes Dampfschiff, welches von Hamburg nach Hull geht, Wolle und Matrosen aus Deutschland nach England ausführt. Man begnügt sich mit der Vorstellung, die Entdeckung der neuen Länder und Seewege sei das Schicksal gewesen, welches den deutschen Welthandel brach legte. Allerdings lagerte sich dessen Goldströmung jetzt in den Küstenländern des atlantischen Oceans ab, während sie früher aus Asien über das Mittelmeer und Italien zu den Deutschen kam. Aber diese Veränderung der Handelswege allein hätte die deutschen Kaufleute und Seefahrer nicht gehindert, auch den überseeischen Handel zu behaupten. Die Schiffe Fugger’s, dessen Haus damals das war, was jetzt das Rothschild’sche, segelten in allen Meeren, die Welser eroberten und kolonisirten für sich allein Venezuela, die Häfen der Hansestädte faßten damals die stärkste Flotte auf der Welt. Mit solchen Mitteln hätten die deutschen Städte ihren Rang zur See wohl behaupten können. Das Uebel lag nur darin, daß sie, überfüllt mit Schätzen, bei Ablauf des Mittelalters erst lässig wurden, dann lange Jahre hindurch furchtbare Kriegesnoth erduldeten, und endlich ihre frische Spannkraft ganz verloren, als sie unter die fürstliche Landesherrschaft kamen. Der Welthandel hat immer nur da sein reiches Füllhorn ausgegossen, wo entweder auf Grund freier Verfassungen oder durch die Gunst kluger Könige das Bürgerthum sich frei und kräftig bewegen konnte.

Der Fremde in England will aber Tags über nicht bloß Börsen und Fabriken sehn, sondern auch Museen und Kirchen, welche die hohe Kunst geziert hat. Da findet er sich aber sehr getäuscht. Von Jahr zu Jahr holt zwar englisches Gold Kunstschätze aus allen Ländern zusammen, aber sie verschwinden in den Häusern der Reichen. Das wäre an sich noch kein Nachtheil. Denn in öffentlichen Museen unter dem Lärm der Besucher, umdrängt von der Menge der Gemälde und Statuen, wie selten grüßt uns da jene stille Stunde der Weihe, wo uns aus dem Kunstwerke auf einmal ein seliger Geist anblickt. Aber das ist ein übles Ding in England, daß ein Kunstwerk der öffentlichen Kenntniß gar zu sehr entzogen wird, sobald eine Privatwohnung es aufnimmt. Die Städte wollen sich jetzt zwar den Anschein von Kunstbildung geben und richten Museen ein, die Ausstattung bleibt aber für englische Verhältnisse meist wahrhaft ärmlich. Die wenigen Engländer, welche diese öffentlichen Kunsthallen besuchen, sehen gerade so aus, als kämen sie bloß deshalb her, weil die Mode es ihnen vorschreibt, und als berechneten sie im Stillen, wieviel der Alterthumsplunder im Handel werth sei. Gewiß giebt es in England nicht wenige hochgebildete Männer, welche an edler, reiner Kunst sich entzücken, aber die Kunstseele des Volkes bleibt stockdürr. Alles, was technisch ist, haben die Engländer zur erdenklichen Vollendung gebracht, die Kunst aber ist nichts Technisches. Man muß es dem ewig dunkeln Regenhimmel und den streng angemessenen Formen und Ansichten, in welchen die schöne Humanität eingeschnürt wird, zuschreiben, daß die Engländer selbst jetzt noch so unfruchtbar sind an großen Malern, Bildhauern und Tondichtern. Zu allen Zeiten, wo ein Volk die Höhe seines Ruhms und seiner Reichthümer erlangt hatte, blühten bei ihm auch die Künste auf, nur den englischen Steinkohlenrauch scheinen die himmlischen Schwestern für immer zu fliehen. Die baare Wirklichkeit im Kleinen nachzubilden, häusliche Scenen, kleine Landschaftsstücke, Porträts, dergleichen gelingt den Engländern vortrefflich; aber versuchen sie das Naturleben oder geschichtliche Ideen im Großen künstlerisch darzustellen, so stockt ihnen das schöpferische Genie oder geräth auf abenteuerliche Abwege. Die Landschaften malen sie wie Halbwilde, welche den Farbenreichthum und den geheimnißvollen Zauber der Natur recht breit aufgetragen lieben, und auf ihren Geschichtsgemälden schreiten die Gestalten einher steif und gerade, mit höchst ausdrucksvollen Gesichtern, wie die langen unbehülflichen Helden und Heldinnen auf ihren Schaubühnen. Die Erfindungsgabe der Engländer ist überhaupt gar nicht so lebhaft; das Meiste, was sie in ihren Fabriken jetzt so solide und stählern bereiten, ließen sie sich erst von andern Völkern vorerfinden, und um für ihre Waaren ein geschmackvolles Aussehen zu erhalten, müssen sie das Formtalent von Deutschen und Franzosen besolden.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band I