Das kleine Dampfboot ging während der Nacht auf einem Kanale aus dem Delaware in die Chefapeakbai, ...

XII.
Baltimore.


Das kleine Dampfboot ging während der Nacht auf einem Kanale aus dem Delaware in die Chefapeakbai, deren ganz herrliche Gestade mich am Morgen überraschten. Sie dehnt sich wie ein großer See zwischen Wald- und Felshügeln. Als wir in den Hafen von Baltimore einfuhren, erwachten eben Schiffe und Häuser unter dem Kusse der Morgensonne. Die Stadt ist fast so hübsch wie Philadelphia, und bei weitem nicht so langweilig, weil ihre Straßen sich über Hügel heben und senken und nach allen Seiten Aussichten darbieten. Aber man sieht hier viel mehr Schwarze auf den Straßen, denn Maryland ist ein Sklavenstaat, und wo die Schwarzen sind, da giebt es auch Schmutz und Lumpen. Auch in Baltimore ist das Stadthaus auf einem hohen Punkte angelegt, eine hübsche Vorsicht der Amerikaner. Die Aussicht vom Bostoner Stadthause ist schöner, weil sich dort mehr Seebuchten, Inseln und Landspitzen entfalten; von dem Stadthause in Philadelphia blickt man in das anmuthige Thal, das der Schuykill eröffnet; der Baltimorer Rundblick gewährt angenehme Gegensätze von Häusergruppen, Meer und Waldung, letztere steigt rings die Anhöhen hinauf. Ansprechend ist auch das Plätzchen auf dem Bundeshügel, man sieht dort in die Schiffe und Werften hinein und über Baien und Ortschaften weg nach den Waldhügeln. Den weitesten Ueberblick aber erhält man von der Höhe des Washingtondenkmals, in welchem eine lange Wendeltreppe emporführt. Das Denkmal steht würdig und gebietend oben in der Stadt, ist aber wieder nichts anderes, als eine fast zweihundert Fuß hohe Säule, auf welcher der große Feldherr zu tanzen scheint. Sein Gesicht ist ausdrucksvoll freundlich, und seine Kleidung besteht in einem Waffenrock, welcher der Natürlichkeit wegen oben schief sitzt und unten weit absteht, und in einem breit dahinter gefältelten Mantel. Von der Obelisken- und Säulenform können die Amerikaner einmal nicht ablassen, die nackten Masten, welche Freiheitsbäume vorstellen, stehen auf allen Straßen, und hin und wieder fehlen auch nicht hohe Vogelstangen, auf welchen der amerikanische Adler haftet. Den Bürgern von Baltimore, welche bei der letzten Vertheidigung ihrer Stadt gegen die Engländer ruhmvoll fielen, ist ebenfalls auf einem hohen Straßenpunkte eine Säule gesetzt, die aus einem Bündel von Stäben besteht, oben eine Siegesgöttin und auf den Bändern, welche die Säulen umschlingen, die Namen der Vaterlandsvertheidiger trägt. Weniger zeigt sich amerikanische Phantasie im katholischen Dome, seine Kuppel ist dem Pantheon nachgebildet und das Innere geschmackvoll, auch mit schönen Gemälden geschmückt. In dieser Stadt. wo Lord Baltimore die erste katholische Gemeinde im brittischen Nordamerika gründete, ist die katholische Bevölkerung noch jetzt reich und mächtig. Hier residirt auch der Erzbischof. Wirklich hübsch ist nahe bei dem Dome die Unitarierkirche, eine luftige ritterliche Halle. Italien ist lange nicht so reich an Kirchen als dieses Land, und dabei sind ihre Bauformen höchst mannigfaltig, bald mittelalterliche Schlösser, griechische Säulenhallen, ägyptische Mausoleen, bald Bürgerhäuser, lange Scheunen, Reitbahnen, bald Kuppeln und normannische Abteien, nicht selten auch ein Gemisch aus allem dem. Sehr viele sind so gebaut, als habe man daran gedacht, daß sie auch einmal zu Redehallen und Theatern dienen könnten. Unsere Zeit entwickelt ja überhaupt mehr und mehr eine neue Baukunst darin, daß für den Verkehr im Großen aus Holz, Eisen und Backstein Gebäude errichtet werden, welche leicht und luftig hochweite Räume umspannen.


Wie jede größere amerikanische Stadt, sammelt sich auch Baltimore ein Museum zusammen von allerlei schönen oder merkwürdigen Dingen, die Natur und Menschen in irgend einem Erdwinkel geschaffen haben. Hat man in verschiedenen Ländern die reichsten Museen und darin die mannigfaltigen Gebiete der Natur durchgewandert, so muß man sich endlich doch gestehen, daß das große Einerlei ewig wiederkehrt. Die Natur wirkt ihre Blumen- und Farbenstriche auf dem Meeresgrunde fast gerade so, nur wässriger und kalkiger, als im Walde. Pflanzen und Steine können ebenso fischdumm, so affig oder so flüggig aussehen, wie die Thiere, und wieder ebenso schön oder finster, wie irgend etwas auf der Welt. Es sind eben immer dieselben Stoffe und Kräfte dieses Erdballes in jedem Dinge das daran hängt, in einander gemischt. Und der Mensch, in welchem sich all das Fliegende und Raubsüchtige, das Lustige und Alberne, das Kluge und Schöne, was es auf der Erde giebt, am mächtigsten und am feinsten wiederfindet. – er will nimmer sich mit all dem Naturreichthum abfinden lassen, ihn treibt es rastlos, sich noch unendlich Gewaltigeres und Erhabeneres auszusinnen, als er hier zu sehen bekommt.

In Amerika beschränkt der Mensch sich einstweilen noch auf zweierlei, wie er sich nämlich durch bürgerliche Einrichtungen und Gelderwerb das irdische Leben möglichst frei und sorglos, und wie er durch die geheime Hebelkraft des Sektenglaubens den Sprung in das Himmlische möglichst leicht und sicher machen könne. Kunst- und Naturgenüsse stehen hier sehr in zweiter Linie, in erster kommt das Studium von sozialen Anstalten und vom Betriebe der Geschäfte. Zu all dergleichen Anlagen genießt man den freiesten Zutritt, selbst wo vor einer Fabrik „Eintritt verboten“ steht, reicht die kleinste Bitte oder Empfehlung an den Inhaber hin, daß er sich selbst das Vergnügen macht, den wißbegierigen Fremden umherzuführen. In einem Gebäude sah ich, wie ganze Häusergerüste von Balken und Sparren an bis zum Fenster- und Kamingesims zurecht geschnitten wurden, gerade wie bei uns der Schreiner eine Bretterbude zuschneiden würde. In einer andern Fabrik ließ die Dampfmaschine den rohen Fettstoff durch allerlei Verwandlungen gehen, bis er als Seife und als Talg- und Stearinlichte wieder hervorkam. Was in Europa die getheilte Handarbeit in verschiedenen Werkstätten anfertigt, das wird hier in einer einzigen Fabrik gleich für Hunderte und Tausende fertig. Es ist nicht gerade solide und kunstschön, aber niedlich und praktisch und erfüllt vollständig den Zweck, sofort zum Gebrauch zu dienen. Baltimore legt sich jetzt mehr wie sonst auf Gewerbe. Früher hatte die Stadt einen umfangreichen Seehandel, namentlich während der langwierigen europäischen Kriege, wo die neutralen Amerikaner ihre Taschen füllten mit europäischem Gelde. Damals war hohe Fluthzeit für den Handel von Boston, Philadelphia, Baltimore, Charleston. Später trat allmählig Ebbe ein, weil der Großhandel sich nach Newyork und Neworleans hinzog. Denn diese beiden Städte sind einmal so herrlich zum Handel gelegen, daß jene andern die Mitbewerbung aufgeben müssen, trotz aller Anstrengungen, Kanäle und Eisenbahnen, welche sie ausgedacht haben, um die Handelsströmung sich wieder zuzuwenden. Indessen wird nach und nach das nächste Hinterland aller dieser Städte so reichlich angesiedelt, daß bloß durch dasjenige, was es erzeugt und bedarf, ihr Handel sich wieder hebt.

In den Anatomiesälen der Maryland-Universität sah ich nur Negerkörper, aber von außerordentlicher Stärke und vollendetem Ebenmaaß der Glieder. Einige Studenten schnitten daran herum auf so unfeine Weise, wie sie einem deutschen Mediziner ein Gräuel wäre. Auch einer Vorlesung über Botanik wohnte ich bei, welche der Professor seinen mehr als hundert Zuhörern recht unterhaltend machte. Die Studenten saßen, den Hut auf dem Kopfe, im Halbkreise auf aufsteigenden Bänken, einige bemerkten sich ein paar Worte ins Taschenbuch und die Hälfte aß Aepfel. Vielleicht gab es viele unter den jungen Männern, welche die Studienkosten sich mit Cigarrenmachen oder im Handel erwarben, denn das nimmt in Amerika keinem Ansehen und Achtung.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band I