Die drei großen Gliederungen des amerikanischen Staatslebens, die Gemeinde, der Staat, die Union, ...

XV.
Amerikanische Staatsmänner.


Die drei großen Gliederungen des amerikanischen Staatslebens, die Gemeinde, der Staat, die Union, bedingen auch das allmählige Aufsteigen des Staatsmannes. Erst wenn er in der untern Gliederung merkbar thätig gewesen ist, eröffnet sich ihm in der höhern eine Aussicht.


Das erste Amt von Bedeutung ist gewöhnlich das des Friedensrichters, des Squire. In diesem wird man den Mitbürgern bei den täglichen kleinen Rechtshändeln bekannt, und sie haben Gelegenheit, den Witz und die Urtheilskraft, die schnelle Auffassungs- und Redegabe, die persönliche Ehrenhaftigkeit und Tüchtigkeit eines Mannes kennen zu lernen. Es giebt aber noch mehrere andere öffentliche Stellen in der Stadt oder dem Ortsbezirk, Township, welche ähnliche Vortheile bieten. Dahin gehört die Wirksamkeit als Stadtrath, als Aufseher über die Schulen, über die Wege, die Umlage der Steuern. Um zu dergleichen Aemtern gewählt zu werden, ist es unbedingt nothwendig, daß man bereits eine ausgebreitete persönliche Bekanntschaft hat, wie man sie als Notar und Rechtsanwalt, als Schriftsteller über praktische Angelegenheiten, durch die Wirksamkeit in Vereinen, durch Erfindungen und gescheidte Unternehmungen, oder sonst wie durch lebhaften persönlichen Verkehr erwirbt. Man schließt sich dann einer Partei an, damit man auf ihre Liste kommt. Die Zeitungen dieser Farbe tragen einige Wochen vor der Wahl die Namen der aufgestellten Kandidaten an ihrer Spitze, und bringen fast täglich große oder kleine Artikel und Winke über deren Vorzüglichkeit. Die Blätter der Gegenpartei besprechen eben so freimüthig das Gegentheil. Es ist unglaublich, was da alles hervorgesucht wird, um einen Charakter anzuschwärzen oder strahlen zu machen.

Ist der angehende Staatsmann durch dieses erste Fegefeuer glücklich hindurch, und merkt er nach einigen Jahren der Amtsführung, daß er zahlreiche Freunde hat, die auf ihn etwas halten, und daß die öffentliche Meinung sich mit ihm beschäftigt, so wagt er den weiteren Schritt, er tritt auf als Kandidat für das Unterhaus seines Staates. Jetzt sind schon größere Anstrengungen nöthig: denn je mehr ihn mitwählen sollen, in desto weiteren Kreisen hat er sich im vortheilhaften Lichte zu zeigen. Vielleicht muß er umherziehen im Wahlbezirke, von einer Versammlung zur andern, und insbesondere sich an den Gerichtstagen des County einfinden. Dann hält er donnernde Reden aus dem Stegreife, mit feurigen Worten und überschwänglichen Phrasen sucht er die Farmer für die Zwecke seiner Partei und nebenbei für sich selbst zu gewinnen. Es liegt etwas ungemein Spannendes und Lebhaftes in der Weise, wie die Amerikaner öffentlich zu einander sprechen: der Redner fährt mit wahllosen Gründen rasch nach einander auf die Zuhörer ein, einen Keil treibt er schnell nach dem andern, um einzudringen in das Herz und in den Verstand; Thatsachen führt er ins Feld, nicht Phrasen, die Ehre des Landes und des Volkes geht immer voran, gleich dahinter kommt das Geldinteresse der Einzelnen. Wer es versteht, beides geschickt zu verflechten und mit ebensoviel Glorie als blankem Dollarglanz zu umhüllen, über die Gegenpartei ein rechtes Hagelwetter auszugießen, durch sprühende Witzfunken das Gelächter zu erregen, der hat gewonnen Spiel. Die Menge von Reden, welche ein Kandidat bei solch einem einzigen Wahlzuge hält, könnten mit dem, was in den Leitungen über ihn gesagt wird, Bände anfüllen. Natürlich giebt es noch viele andere Mittel, welche die Wahlkandidaten aller Länder kennen und brauchen. Eigentliche Bestechungen sind in den Vereinigten Staaten weniger anzubringen, weil jeder Einzelne seine eigne Meinung hat und die Wähler in Masse doch nicht bestochen werden können, aber welche Künste bei Parteioperationen nur erdenklich sind, die werden in Amerika auch angewandt, gleichviel was die Moral dazu sagt.

Im Repräsentantenhause kann der Gewählte sich nun dem ganzen Staate vernehmlich machen, jedes Wort, welches er spricht, wird gelesen und erörtert. Da kommt es darauf an, gute Gesetzvorschläge zu machen, vor allem Improvements d. i. Landesverbesserungen, als da sind Kanäle, Eisenbahnen, Häfen, Wege, Dampfschifflinien, Bergwerksarbeiten und dergleichen anzuregen und zu unterstützen, zweckmäßige Verbesserungen im Geldumlauf, im Bauwesen, in Schulsachen, in der Versteuerung, in der Landesverfassung vorzubringen, kurz sich als einen Mann von gesunden und festen Prinzipien, praktischen Kenntnissen, von wachsamem Geist und gewandter Rede zu zeigen. Dabei lernt der junge Abgeordnete immer selbst, was unmittelbar noth thut und wie ein Ding anzugreifen ist, jeder von seiner Partei stellt ihn zur Rede, aber er lernt auch von jedem. Es ist natürlich, daß auf solchem Wege sich kenntnißreiche, praktisch bewährte Männer heranbilden. Ist einer ein paar Jahre mit Erfolg Repräsentant gewesen, so richtet er seine Blicke auf das Oberhaus seines Staates, er wird Senator. Und wenn er vielleicht auch schon mit dem dreißigsten Jahre in den Senat tritt, so überfällt ihn doch keine fliegende Hitze mehr, er hat Mäßigung und Besonnenheit gelernt, seine Reden und Vorschläge verrathen den gewiegten, vielerfahrenen Mann.

Um diese Zeit hat er sich auch bereits einem der berühmten Häupter seiner Partei enger angeschlossen, in dessen Gesellschaft er häufig erscheint, und durch den er in die feinere Politik, in die Zustände und Bedürfnisse der ganzen Union, sowie in die Künste und Praktiken der Partei eingeweiht wird. Mit einem solchen gefeierten Namen wird der seinige zusammen genannt, und durch die Missionen, welche er in dessen und der Partei Dienste erfüllt, wird er schnell in der Union persönlich bekannt. Fast alle bedeutenderen Staatsmänner der Gegenwart waren einst Schüler, Freunde, Begleiter der alten heimgegangenen Gründer und Bildner des großen Bundesstaates.

Vom Einzelstaat zur Union bleibt noch der letzte große Schritt zu thun. Es muß einer schon eine wichtige Stellung in der Partei einnehmen, er muß bereits hinlänglich Thaten und Charakter gezeigt haben, er muß auch von allen Seiten gründlich beleuchtet sein, ehe er bei den Wahlen für den Kongreß zu Washington als Kandidat auftreten kann.

Um hierbei durchzudringen, bedarf es neuer und umfassender Anstrengung. Dann messen die Parteien ihre Kräfte gegen einander, dann ist das über den ganzen Staat verbreitete Netz ihrer Eingeweihten in lebhafter Schwingung; Korrespondenzen, große und kleine Versprechungen insgeheim, öffentliche Versammlungen, prunkende Massenaufzüge, Lärmen und Geschrei der Parteiblätter, das alles ist einige Wochen lang in rastloser fieberhafter Thätigkeit. Jede Partei faßt in kurzen, deutlichen Sätzen zusammen, was sie will und was sie für erreichbar hält; dahinter folgt die Liste der Männer, zu deren Wahl sie die Mitbürger einladet. Kleine, erst jüngst erstandene Parteien können noch nicht daran denken, Männer ihrer Ansichten für sich allein durchzubringen; sie machen daher einen Vertrag mit einer andern Partei, die ihnen am nächsten steht. Das Abkommen geht dahin, daß die kleine Partei für die Liste der großen stimmt, jedoch muß diese entweder einen von den Männern der kleinern Partei auf den Wahlzettel setzen oder ein Kandidat muß sich auf einen oder andern der Sätze verpflichten, in welchen die jüngere Genossenschaft ihre Willensmeinung ausgesprochen hat.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band I