Die Führer der öffentlichen Meinung können dann auch nicht umhin ein Haus zu machen, selbst wenn sie die ...

XV.
Amerikanische Staatsmänner.


Die Führer der öffentlichen Meinung können dann auch nicht umhin ein Haus zu machen, selbst wenn sie die Zurückgezogenheit im Schooße der Familie und in der einfachen Beschäftigung des Landlebens lieben sollten. Ganz von selbst wird ihr Haus das Stelldichein für die bedeutendern Männer der Nachbarschaft und der Sammelpunkt für die höhere Gesellschaft. In den Zeitungen wird besonders gern erwähnt, was bei ihnen vorgeht. Sie richten sich dann gewöhnlich prächtig ein und die amerikanische Gastfreundschaft erscheint bei ihnen im glänzendsten Lichte. Die Folge dieses Lebens „im hohen Style“ sind nicht selten finanzielle Verlegenheiten.


Es kommt nun auch wohl vor, daß sich um einen solchen Mann eine rein persönliche Partei bildet, welche sein Ansehen bloß zu ihren Gunsten ausbeutet, oder er kann sich nicht anders helfen und muß die Popularität, voll der er zeitweise abhängt, vor den Kopf stoßen, indem er etwas thut, was man bei ihm zu Hause nicht so ansieht wie zu Washington. Dann gewinnen die Gegner Oberwasser, und das Ende ist, daß die Landesvertretung ihn ersucht, sein Mandat für Washington niederzulegen. Was fängt er dann an? Zieht er sich etwa gekränkt zurück, indem er schmollend auf seine Verdienste und seine verkannte Redlichkeit hinweist? Das fällt ihm nicht ein. Nun erst erhebt er sich in seiner ganzen Stärke und Geisteskraft, er unternimmt es, die ganze Landesvertretung zu ändern, „to stump the state“, wie der Kunstausdruck heißt. Er läßt von den Männern und Blättern seiner Partei die nöthige Aufregung verbreiten und Versammlungen berufen, dann durchzieht er den Staat wie ein Feldherr mit seinem Gefolge; an jedem Orte hält er seine donnernden Reden, worin er sicher kein Blatt vor den Mund nimmt, und giebt zuletzt der öffentlichen Meinung einen gewaltigen Umschwung, das Volk drückt der gesetzgebenden Versammlung des Staates sein Mißtrauen aus, und die nächste Wahl bringt eine Mehrheit nach jenes Führers Sinne in die Landesvertretung. Vielleicht aber hat seine Partei ausgespielt, der Streich mißlingt ihm, nur, dann wartet er ohne besondere Empfindlichkeit einen gelegenern Zeitpunkt ab, er weiß doch, daß seine Thaten, Talente und Hülfsmittel seinen Mitbürgern unvergeßlich sind, und daß es nicht sehr lange währen wird, bis man sie wieder in Anspruch nimmt.

Jeder der Vereinigten Staaten hat ein paar ausgezeichnete Männer aufzuweisen, in welchen sich die Politik, die eine der großen Parteien in der Union verfolgt, für den Einzelstaat konzentrirt; ihre Namen sind in die Geschichte dieses Staates verflochten, ihre Thätigkeit ist bei fast allen größern Unternehmungen und Entwickelungen desselben merkbar. Namen dieses Klanges sind Scott, Caß, Douglas, Benton, Buchanan, Houston, Fillmore, Foote, Seward, Corwin, Mason, Crawford, Graham, Hale, Crittenden, Rusk, Dickenson, Chase, Sumner, Richardsson und noch viele andere. Im Westen sind es häufig Männer, welche gleichsam mit ihrem Staate erst aufgewachsen und groß geworden sind, indem sie früher für geringe Auslagen großen Landbesitz oder durch industrielle Unternehmungen Reichthümer erwarben. In den ältern Staaten des Ostens gingen sie dagegen aus den Reihen der Advokaten oder aus den angesehenern ältern Familien der größern Grundbesitzer hervor, letzteres besonders in den südlichen Staaten. Solche Männer sind dann in der ganzen Union wohl bekannt, und ihr Name tritt gleich hervor, sobald von ihrem Staat die Rede ist. Sie bleiben zwar in unaufhörlicher persönlicher Berührung mit allem Volke, in ihren Häusern aber herrscht aristokratisches Gefühl und eine gewisse Vornehmheit der Sitten, wie in ihren exklusiven Kreisen eine kühle, großartige Anschauung der Dinge.

Nur unter ihnen werden die Präsidenten, Minister und Feldherren der Union, die Gouverneure der Einzelstaaten gewählt. Sie sind es, die zuletzt die großen Fragen entscheiden, von denen das Wohl der Union abhängt. Und dabei ist für die meisten, so sehr sie auch ihren Privatvortheil suchen, bis jetzt doch immer noch die Einheit, Ehre und Wohlfahrt des großen Ganzen, des Bundesstaats, Leiter und Antrieb gewesen. Wenn sie in jüngeren Jahren mit feurigem Eifer die maßlosen Forderungen des Volksgeistes vertheidigten, jetzt im gereifteren Alter haben sie eine Kenntniß der Dinge und Menschen gewonnen, welche sie zurückhaltend und besonnen macht. Ihre Rede sprüht und donnert nicht mehr, aber es ist praktische Schärfe und Klarheit darin. Ganz gewiß werden die Herren zu Washington an allen Enden der Welt rücksichtslos das amerikanische Interesse zu fördern suchen, aber noch sind die Heißsporen selten unter ihnen, welche für bloßen Ruhm oder um andern Völkern zu helfen sich in europäische Kriege stürzten. Es geschieht wohl, daß die Volksstimme durchaus jemand zum Präsidenten will, der noch nicht die Schule der Staatsmänner von unten auf durchgemacht hat, der aber dem Lande durch eine nationale That, insbesondere durch Kriegsruhm, vorleuchtete. So wurde der alte General Taylor gewählt, obgleich er selbst gestand, daß er bloß Soldat sei und von der Politik nichts verstehe. Er zeigte sich auch, als die Sklavenfrage brannte und die Union zu sprengen drohte, nicht ganz dem Amte gewachsen, welches die Dankbarkeit seiner Mitbürger dem Besieger der mexikanischen Horden aufgedrängt hatte. Fälle dieser Art sind indessen nur Ausnahmen, der Regel nach hat nur der zu den höchsten Stellen Aussicht, der schon sehr lange in seiner Partei gedient hat. Da zu diesen Aemtern immer nur auf eine kleine Zahl von Jahren gewählt wird, die Herrschaft zwischen den großen Parteien aber wechselt oder doch die Möglichkeit des Wechsels niemals in die Ferne gerückt ist, so wird auch für hervorragende Männer niemals die Aussicht abgeschnitten, in die höchsten Aemter zu gelangen und dadurch ihren Namen mit dem Ruhme und der Geschichte der Union für immer zu verknüpfen. Das giebt ihrem Einfluß und ihrer Kraft eine niemals nachlassende Spannung und Lebhaftigkeit. Wer aber von ihnen mit so hoher Macht und Ehre amtlich bekleidet wird, der verräth auch nichts mehr vom Emporkömmling, der ist keinen Augenblick verlegen, was er zu thun und wie er sich zu benehmen hat. Diese Männer gingen durch eine große Schule, kein Ereigniß, keine Intrigue, keine Persönlichkeit macht sie mehr befangen. Sie fühlten sich schon lange als die Vordersten, als die Fürsten des Volkes, durch die Macht ihrer Persönlichkeit und durch die Herrschaft und Künste ihrer Partei.

Die drei Riesengeister unter den amerikanischen Staatsmännern sind in den letzten Jahren rasch nach einander zur Ruhe gegangen, Calhoun, Clay, Webster. Der erste war der Mann des Südens, ein Charakter wie aus Erz gehauen, der nie einen Zoll zur Seite wich. Man konnte ihn hassen seiner starren Eigensucht wegen, man konnte zittern vor den furchtbaren Schlägen die er austheilte, und vor den ungeheuren Kämpfen, die der eine Mann aufwühlte: aber bewundern mußte man ihn. Calhoun war der Aristokrat aus den Sklavenstaaten, der auf seinen weiten von Schwarzen bebauten Besitzungen von Jugend aus lernt Herr zu sein, der klassische Bildung und Vornehmheit vereinigt mit all dem wilden Feuer des Südens. Das eigentliche Yankeeland hat nie solche Charaktere hervorgebracht. Es ist beschämend für das übrige Land, aber Thatsache, daß die meisten großen Staatsmänner aus den Sklavenstaaten kamen. In Zukunft werden sie vielleicht aus dem Westen hervorgehen. Webster, „der große Gesetzausleger,“ war Advokat durch und durch, unerschöpflich an Hülfsmitteln, sein Geist und Wort allezeit blank und scharf wie ein Degen. Aber Webster, der Neuengländer, schnallte den Stahlharnisch mir um, während Calhoun, der Südländer, das Erz in sich selbst hatte. Der edelste unter den Dreien war zweifellos der geniale Clay, „der große Friedensstifter,“ ein weitschauender, vielschöpferischer Geist. Sein Herz schlug am wärmsten für die Wohlfahrt und Größe des allen gemeinsamen Bundesstaates, vor seinem Seelenadel beugte sich jeder Gegner. Clay war aus Virginien, aber im westlichen Kentucky groß geworden. Alle drei Männer erreichten nach einem rastlosen und thatenreichen Leben ein hohes Alter. Als sie starben, war jedes Herz in der Union bewegt, keiner dachte mehr an Parteien, das Volk, das ganze Volk trauerte um „seine großen Todten“ und schmückte ihre Stirn mit Lorbeerkränzen. Unsterblich aber lebt und wirkt fort, was sie ausgesäet an befruchtenden Gedanken.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band I