Von Washington fuhr ich über Baltimore nach Pennsylvanien hinein. Bis nach Baltimore war eine angenehme ...

XVI.
Am Susquehanna.


Von Washington fuhr ich über Baltimore nach Pennsylvanien hinein. Bis nach Baltimore war eine angenehme Abwechselung von Acker und Waldgrund und dazwischen mancher hübsche Blick in ein kleines helles Flußthal. Die Fahrt auf der Eisenbahn in das lebendige Baltimore hinein und sofort wieder hinaus hatte ihren eignen Reiz. Wie voll Gewühl und Geräusch waren die Straßen dieser Stadt des Großhandels im Abstich gegen das stille Washington, der Stadt der Diplomatie nach großem Zuschnitt.


Auffallend aber ändert sich der Charakter des Landes, sowie man ins Pennsylvanische fährt: man glaubt in ein neu angesiedeltes Deutschland zu kommen. Die Häuser zeigen sich zwar nach amerikanischer Art weiß und nett, einige auch luftig gebaut mit Säulchen und kleinen Vorhallen; aber der zierliche Holzbau ist verschwunden, die Gebäude sind fest und steinern. Die Aecker sind auf das sorgfältigste angebaut, Wald scheint nur noch des Nutzens wegen gezogen, der Urwald ist hier lange bemeistert. Wagen, Ackergeschirr, Pferde, Rindvieh werden tüchtiger, massiver; auch die Kleidung der Leute verliert den städtischen Anstrich. Selbst in den langen Wagen der Eisenbahn merkte man ein ruhigeres gesetztes Wesen und kräftigere Gestalten. Die englische Sprache herrschte vor, aber nicht wenige sprachen Pennsylvanisch-Deutsch, und von den übrigen, welche Englisch sprachen, mußten viele von deutscher Abkunft sein, weil sie mit den alten Leuten, welche nur Deutsch redeten, sich unterhielten.

Es ging in einem der unzähligen amerikanischen Flußthäler hinauf, welche sich recht angenehm ausnehmen, aber überall einförmig sind. Der Mond stieg empor und glänzte über den stillen Fluß und die feuchtschimmernden Anhöhen. Dabei wehte, obwohl im November, eine milde und würzige Luft. Von den Bauereien hörte man Hähne und Gänse, was mir in Amerika lange nicht vorgekommen war.

Die Nacht blieb ich in York. Am andern Tage war es Sonntag, ich fuhr auf der Eisenbahn die zwölf Meilen bis Columbia. Die Wege zwischen den Feldern waren von laut sprechenden Leuten im Sonntagsputze belebt, auf den Straßen und Plätzen der Städtchen und vor den Gehöften standen oder schlenderten junge und alte Männer in knappen Jacken oder langen ehrbaren Röcken, die kurze Pfeife im Munde. Kam ein hübsches Mädchen vorbei, so wurde lustig gegrüßt und angerufen. Pralle Jungen mit Zipfelmützen riefen dem Wagenzuge nach. Unwillkührlich wurde man an den Sonntag auf den Dörfern in Deutschland erinnert.

Die Eisenbahn war aber wieder recht amerikanisch. Ich stand auf dem Vorplatze bei den Heizern. Der Zug brausete auf und ab, bald hing der Wagen auf der einen, bald auf der andern Seite; ob eine widerspänstige Schiene an einem Ende etwas in die Höhe stand, kümmerte nicht, es ging flott darüber weg. Man muß sich wundern, daß dennoch so wenig Unglück geschieht. Von Bahnbeamten ist wenig zu sehen, ihnen eine Uniform zu geben, würde der Amerikaner gar zu lächerlich finden. Große Bahnhöfe sucht der Europäer vergebens. Wozu den Luxus? fragt der Amerikaner, ein paar wohlfeile Holzschuppen thun dieselben Dienste. Er will rasch voran, alles übrige ist ganz und gar Nebensache. Uebrigens kann man in Amerika leicht Eisenbahnen anlegen. Der Bau kostet nicht viel, der Boden wird gern umsonst hergegeben, Holz und Eisen sind wohlfeil, des meist ebenen Landes wegen sind keine großen Kunstbauten nöthig, auch die Erhaltung der Bahn fordert geringe Ausgaben.

Am Susquehanna hielt der Zug. Auf der andern Seite des Flusses lag Columbia. Ueber eine unendlich lange bedeckte Holzbrücke wurden die Wagen von Pferden gezogen. Die Brücke war bedeckt und von beiden Seiten mit Brettern zugeschlagen, vom Flusse daher nichts zu sehen, und das wenige Licht, welches den langen dunkeln Gang erhellte, kam hauptsächlich aus den großen Löchern im Fußboden. Durch diese sah man auf der Brücke den Strom, statt zur Seite, unter seinen Füßen. Die Amerikaner besitzen in solchen Dingen eine Nachlässigkeit, wie Kinder, die am Rande des Brunnens spielen, oder auch wie Goldjäger, die auf einem Baumstamme verwegen über den Abgrund klettern, wenn sie nur rasch zu den Schätzen dahinter kommen. Endlich kamen wir aus der Brücke heraus, und mich entzückte die prachtvollste Flußlandschaft. Das weite blinkende Gewässer des Susquehanna fluthet aus hohem Thale heran und ergießt sich dann breit hinein zwischen die blauen Berge. Kanäle mit Booten münden ein und aus. Man ist wie in einer Wasserwelt.

Die majestätische Schönheit der Gegend hielt mich fest. Ich war zudem im Herzen des pennsylvanisch-deutschen Landes, des „Gartens von Amerika,“ in den Nursery-Counties (Mutterländchen) von Lancaster und Lebanon, von welchen aus die Pennsylvanier-Deutschen sich über so weite Strecken ausgedehnt haben. Ich beschloß daher ein paar Tage zu verweilen. Man hatte mir von einem pennsylvanischen Doktor gesagt, der viele Bücher habe und die alten Landesgeschichten kenne. Da ich mir einmal vorgesetzt hatte, mit letztern mich bekannt zu machen, so schlug ich den Weg nach seiner Wohnung ein, zum Städtchen Washington, welches drei Meilen weiter im Flußthale lag. In der vortrefflichsten Reiselaune ging ich den donnernden und schäumenden Susquehanna entlang, er schlägt seine Wogen um wahllose Felseninseln, und muß noch dazu in seiner halben Breite über ein Wehr hinabschäumen, welches sein Wasser den Kanälen zuführen soll.

Von dem Doktor und seiner Familie wurde ich freundlich aufgenommen, und auf ihr Zureden blieb ich ein paar Tage in dem gastlichen Hause. Er selbst war ein kerniger und gebildeter Mann, wohlhabend dazu und gut bekannt mit den Geschichten und Zuständen seines Landes. Auch ein welterfahrener Frankfurter mit einer Frau von seltener Schönheit war auf einige Zeit hierher verschlagen und kam des Abends zum Whist. Eines Nachmittags fand sich eine größere junge Gesellschaft ein, und wir tanzten und spielten, bis Mitternacht vorbei war. Der amerikanische Contretanz wird auf dem Lande mit einer merkwürdig freien Grazie von den Damen mehr gegangen als getanzt, es steht kurios aus, man findet sich aber leicht hinein. Sonst verging die Zeit mir schnell mit Studien über die deutsch-amerikanische Geschichte und mit Ausflügen in die nächste Umgegend.

Das Herrlichste blieb immer der Susquehanna. Nicht zehn Schritte vom Hause fluthete er dahin, breit, stolz und glänzend. Drüben gipfelte sich das Gestade wolkenartig in die Höhe. Trat man vor die Hausthür, so übersah man das weite lichte Flußthal; riesige weiße Sykamoren standen das User entlang und klatschten mit ihren lang herabhängenden Zweigen ins Wasser; Steinblöcke, modernde Baumstämme und Gestrüpp zogen einen Wall gegen die Wellen. Dann und wann plätscherte ein Kahn herüber, lang, schmal und spitz wie ein Indianerkanoe; ein Mann steht hinten im Fahrzeug und stößt es fort, es ist so leicht, daß die kleinste Welle es hebt. Wer darin nicht das genaueste Gleichgewicht einzuhalten versteht, schlägt unfehlbar mit dem Kahne um. Hinter dem Hause war eine Anhöhe, von dieser herab erschien das Flußthal wie ein See zwischen hohen Bergen ausgebreitet. Einen Schuß Weges weiter ragte in den Strom hinein der berühmte Treatyfelsen, auch Blue Rock genannt, eine lange Felsenplatte, von welcher aus sich auf und ab die Aussicht über den Fluß darbot. Auf diesem Felsen wurden vor Alters die Verträge (Treaties) mit den Indianern geschlossen, dort rauchten die Häuptlinge die Friedenspfeife mit den Weißen und verkauften ihnen das schöne Land.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band I