Gewiß sind nun die Fälle am schönsten, wenn rings der Himmel blau und klar ist und die Sonne ihre ...

VII.
Am Niagara.


Gewiß sind nun die Fälle am schönsten, wenn rings der Himmel blau und klar ist und die Sonne ihre glänzenden Strahlen ungebrochen niedersendet. Es kann gar kein herrlicheres Grün geben, als dann aus der Höhe des Hufeisenfalls schimmert, auf mattem Untergrunde von Blau und Purpur, und immerfort wie voll zartweißen Schneeflocken überweht. Aber man muß das ungeheure Schauspiel auch zu verschiedenen Tageszeiten und unter wechselnden Beleuchtungen sehen. Morgens früh scheinen die Ströme kräftiger, aber ruhiger, gleichsam selbstbewußter; Abends meint man, jedes Wellchen beeile sich, immer rascher zu laufen, um sich den andern fröhlich nachzustürzen. Der amerikanische Fall erscheint, sobald ihm die Sonne gegenübersteht, wie ein breites Gewand mit unzähligen wirbelnden Silbersternen. Köstlich ist sein Anblick, spiegelt sich darin die Abendsonne; dann schimmert oben durch die breite Wasserwand ein sanftes rosiges Licht, welches gemach zum glühenden Roth sich verstärkt. Es erinnerte mich immer lebhaft an das Alpenglühen am höchsten Joche, wenn den jungfräulichen Schnee Rosengluth anhaucht; so weiß wie dort der Schnee, ist hier der Milchschaum im Wasserfalle. Zu Zeiten sah es ganz so aus, wie am schönen Rosenlawigletscher, wenn die Sonne darauf strahlt und zwischen die grünen und blauen Lichter des Eises das brennende Roth streut. Oft dachte ich dabei auch an die Eisfelder, deren abendliches Strahlen auf wüstem Meere so herrlich geschildert wird.


Wird der Abend dunkler, so legen sich schwarze Schatten über die gähnende Tiefe, eine Menge von weißlichen Wolken zieht unten hin und her, nur der Kamm der Wasserfälle leuchtet noch eine Zeitlang im trüben Weiß. Je weiter die Nacht vorrückt, desto höher erheben sich die Wolken, bis sie zuletzt den Abgrund und seine Ufer bedecken. Dann wird es ganz still bei den Fällen, das gewaltige Rauschen scheint die Stille noch vernehmlicher zu machen, und man fühlt leise den Boden unter den Füßen zittern. Unwillkührlich empfindet man etwas wie Scheu und Befangenheit vor dem feierlichen Walten der Natur, das Menschending kommt einem vor wie ein Bläschen, wie ein Aetherwölkchen im unendlichen Raume. Der Mond steigt über die Baumwipfel, aber kaum durchzieht er mit ein paar Silberstreifen das Wolkengewühl über den Fällen; es ist zu dicht und fängt seine Strahlen auf, nur die Umrisse der Wolken vermag er mit bräunlichem Licht zu umsäumen. Oft auch bilden sie einen Hof um den Mond, dessen innere Ränder röthlich angehaucht sind.

Einmal ging ich in tiefer Nacht hin, als es etwas regnete. Da war von den Fällen nichts zu sehen als Heere von wallenden Wolken, die weithin über die Bäume zogen. Der Abgrund schien mit seinem dumpfen Rasseln und Toben nur schwere Dünste zu brauen. Es war etwas Gespenstisches in dieser Szene, oder als träte ich in die finstere Werkstätte der Elemente, und wäre mir nicht jeder Schritt an den Fällen bekannt gewesen, so hätte ich leicht ein Unglück haben können. Schlug der Wind die Wolken auf mich nieder, so wurde ich im Augenblick durchnäßt. Am Morgen aber, wo in Amerika ohne das Zwischenspiel der Dämmerung der volle Lichtglanz auf einmal eintritt, war es herrlich zu sehen, wie das siegreiche Licht und die schnell folgende Wärme die ankämpfenden Wolken verdrängten und sie bis unten zu dem Fuß der Fälle niederzwangen.

Das Seltsamste war mir immer der Wechsel in den Tönen. Von dem Stürzen der ungeheuren Wasserwucht ist die Luft fortwährend in Bewegung, und je nachdem nun der Wind leise darüber hinstreift, bald hierhin, bald dorthin fährt, die Schallwellen von beiden Fällen sanft vermischt oder ungestüm und stoßweise durch einander wirft, spielt er mannigfaltige, immer gewaltige Töne. Sie wechseln auch nach den verschiedenen Stellungen und Entfernungen, die man zu den Fällen einnimmt. Wenn ich in den Wäldern auf der canadischen Seite oder auf der Ziegeninsel umher streifte, lauschte ich oft unwillkürlich. Meist klingt es wie dumpfes Donnern, dann wieder wie helles Rasseln, oft als wenn Geschütze gelöst würden oder ungeheure Stampfmühlen arbeiteten, und dann wieder wie stilles, erhabenes Rauschen. Geht man an der Canadaseite oben am Ufer gerade auf die Fälle zu, so hört man erst Brausen, dann Gurgeln und stürmisches Pfeifen, und bei dem Falle selbst eintöniges Rauschen, aber als wenn dahinter noch dumpfes Brüllen und Brodeln wäre. Auf der amerikanischen Seite lautet es dagegen wie verhaltenes Grollen, welches, wenn man näher kommt, sich zu rauhem Gebrüll verstärkt, bis ganz nahe das eine gewaltige Rauschen alles übertönt. Saß ich Abends unter der Halle meiner Wohnung, so erscholl feierlich die Stimme des Flusses in der Ferne wie endloses Waldesrauschen; wachte ich Nachts auf, so hörte ich stoßweise Donnern und Brüllen.

So beobachtend und mich erfreuend all des Herrlichen, was die Natur hier in so reicher Fülle zusammen gehäuft, stieg ich zwischen den Fällen und ihrer Umgebung umher. Die Gegend selbst ist eben, fast nüchtern, die Hügel sind kaum merkbar, auch die nächste Waldung auf der canadischen Seite ist einförmig; aber dahinter beginnt bald die großartige Pracht der Urwälder. Der Anbau ist bereits stattlich vorgeschritten und man findet eine Menge wohlhabender Farmen und geschmackvolle kleine Landsitze. Obercanada gilt für außerordentlich gesund, da die Gegend wie eine Art Halbinsel zwischen dem Erie- und Ontariosee immer von frischen Seewinden bestrichen wird. Viele entfliehen daher im Hochsommer der städtischen Fieberluft, um hier die heilsame Frische und Reinheit der Luft zu genießen.

Besonders anziehend war es, ganz auf der Uferhöhe der kanadischen Seite zu wandern und zu sehen, wie die breite, wogende Masse gegenüber schneeweiß und wasserblau durch die grünen Bäume und Büsche schimmerte. Stundenlang habe ich da an schönen Nachmittagen gelegen unter den hohen Lebenseichen, Nuß- und Kastanienbäumen, und habe geträumt, umwogt von unendlichen Ideen und Gebilden. Eines Nachmittags setzte sich dort ein Canadier zu mir, er war französischer Abkunft und wußte Atala und Rene auswendig. Das war mir ganz neu, in Amerika dieser melancholischen Poesie wieder zu begegnen. Er lieh mir den Band, und so sehr mich auch manches wieder ansprach, zumal in dieser wild erhabenen Natur, so schien es mir doch, als wenn mit einem ziemlichen Theil seiner Phrasen und Klagen der gute Chateaubriand ein altes Weib wäre. Wie hatte ich einst bei dieser Leidensgeschichte der jungen Wilden geweint. Jetzt widerstand mir die ganze Atala, weil auf die zauberhaften Schilderungen sich doch der Hauch einer unreinen Phantasie legt. Wochenlang in einsam blühender Wildniß ruht ein Indianermädchen am Busen ihres Geliebten und verzehrt sich und stirbt vor unerfülltem Verlangen, weil sie geschworen hat Nonne zu werden. Und mit welch kühnen Strichen hat der französische Dichter die amerikanische Waldnatur gemalt. Da steht neben der Waldherrscherin Magnolia ein Nebenbuhler, die Palme, „die neben ihr leise weht mit ihren grünen Fächern.“ Des Nachts, „wenn der Genius der Lüfte sein blaues Haupthaar schüttelt welches duftet vom Hauch der Fichten, athmet man den schwachen Ambrageruch, den die Krokodile aushauchen, gelagert unter den Tamarinden der Flüsse.“ Aber „am Ende der Baumgänge sieht man Bären wandeln, welche von Trauben trunken sind.“ Schwerlich hat im ganzen Bereich der Vereinigten Staaten der wanderlustigste Jäger jenen Palmenstolz, den krokodilischen Ambrageruch und die besoffenen Bären wahrgenommen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band I