X. Der Krieg als Kunstwerk: Die Feuerwaffen — Kennerschaft und Dilettantismus — Kriegsgräuel
Auf welche Weise auch der Krieg den Charakter eines Kunstwerkes annahm, soll hier nur mit einigen Worten angedeutet werden. Im abendländischen Mittelalter war die Ausbildung des einzelnen Kriegers eine höchst vollendete innerhalb des herrschenden Systems von Wehr und Waffen, auch gab es gewiss jederzeit geniale Erfinder in der Befestigungs- und Belagerungskunst, allein Strategie sowohl als Taktik wurden in ihrer Entwicklung gestört durch die vielen sachlichen und zeitlichen Beschränkungen der Kriegspflicht und durch den Ehrgeiz des Adels, welcher z. B. angesichts der Feinde um den Vorrang im Streit haderte und mit seinem bloßen Ungestüm gerade die wichtigsten Schlachten, wie die von Crecy und Maupertuis, verdarb. Bei den Italienern dagegen herrschte am frühesten das in solchen Dingen anders geartete Söldnerwesen vor, und auch die frühe Ausbildung der Feuerwaffen trug ihrerseits dazu bei, den Krieg gleichsam zu demokratisieren, nicht nur, weil die festesten Burgen vor den Bombarden erzitterten, sondern weil die auf bürgerlichem Wege erworbene Geschicklichkeit des Ingenieurs, Stückgießers und Artilleristen in den Vordergrund trat. Man empfand dabei nicht ohne Schmerz, dass die Geltung des Individuums — die Seele der kleinen, trefflich ausgebildeten italienischen Söldnerheere — durch jene von ferne her wirkenden Zerstörungsmittel beeinträchtigt wurde, und es gab einzelne Kondottieren, welche sich wenigstens gegen das unlängst in Deutschland erfundene Handrohr aus Kräften verwahrten; so ließ Paolo Vitelli den gefangenen feindlichen Schioppettieri die Augen ausstechen und die Hände abhauen, während er die Kanonen als berechtigt anerkannte und gebrauchte. Im großen und ganzen aber ließ man die Erfindungen walten und nützte sie nach Kräften aus, so dass die Italiener für die Angriffsmittel wie für den Festungsbau die Lehrer von ganz Europa wurden. Fürsten wie Federigo von Urbino, Alfonso von Ferrara, eigneten sich eine Kennerschaft des Faches an, gegen welche selbst die eines Maximilian I. nur oberflächlich erschienen sein wird. In Italien gab es zuerst eine Wissenschaft und Kunst des gesamten, im Zusammenhang behandelten Kriegswesens; hier zuerst begegnen wir einer neutralen Freude an der korrekten Kriegführung als solcher, wie dies zu dem häufigen Parteiwechsel und zu der rein sachlichen Handlungsweise der Kondottieren passte. Während des mailändischvenezianischen Krieges von 1451 und 1452, zwischen Francesco Sforza und Jacopo Piccinino, folgte dem Hauptquartier des letzteren der Literat Porcellio, mit dem Auftrage des Königs Alfonso von Neapel, eine Relation zu verfassen. Sie ist in einem nicht sehr reinen, aber fließenden Latein im Geiste des damaligen humanistischen Bombastes geschrieben, im ganzen nach Cäsars Vorbild mit eingestreuten Reden, Prodigien usw.; und da man seit hundert Jahren ernstlich darob stritt, ob Scipio Africanus major oder Hannibal größer gewesen, muss sich Piccinino bequemen, durch das ganze Werk Scipio zu heißen und Sforza Hannibal. Auch über das mailändische Heer musste objektiv berichtet werden; der Sophist ließ sich bei Sforza melden, wurde die Reihen entlang geführt, lobte alles höchlich und versprach, was er hier gesehen, ebenfalls der Nachwelt zu überliefern. Auch sonst ist die damalige Literatur Italiens reich an Kriegsschilderungen und Aufzeichnungen von Stratagemen zum Gebrauch des beschaulichen Kenners sowohl als der gebildeten Welt überhaupt, während gleichzeitige nordische Relationen, z. B. Diebold Schillings Burgunderkriege, noch ganz die Formlosigkeit und protokollarische Treue von Chroniken an sich haben. Der größte Dilettant, der je als solcher im Kriegswesen aufgetreten ist, Macchiavelli, schrieb damals seine ,,arte della guerra“. Die subjektive Ausbildung des einzelnen Kriegers aber fand ihre vollendetste Äußerung in jenen feierlichen Kämpfen von einem oder mehreren Paaren, dergleichen schon lange vor dem berühmten Kampfe bei Barletta (1503) Sitte gewesen ist. Der Sieger war dabei einer Verherrlichung gewiss, die ihm im Norden fehlte: durch Dichter und Humanisten. Es liegt im Ausgang dieser Kämpfe kein Gottesurteil mehr, sondern ein Sieg der Persönlichkeit und — für die Zuschauer — der Entscheid einer spannenden Wette nebst einer Genugtuung für die Ehre des Heeres oder der Nation. Es versteht sich, dass diese ganze rationelle Behandlung der Kriegssachen unter gewissen Umständen den ärgsten Gräueln Platz machte, selbst ohne Mitwirkung des politischen Hasses, bloß etwa einer versprochenen Plünderung zuliebe. Nach der vierzigtägigen Verheerung Piacenzas (1447), welche Sforza seinen Soldaten hatte gestatten müssen, stand die Stadt geraume Zeit leer und musste mit Gewalt wieder bevölkert werden. Doch will dergleichen wenig sagen im Vergleich mit dem Jammer, den nachher die Truppen der Fremden über Italien brachten; besonders jene Spanier, in welchen vielleicht ein nicht abendländischer Zusatz des Geblütes, vielleicht die Gewöhnung an die Schauspiele der Inquisition die teuflische Seite der Natur entfesselt hatte. Wer sie kennen lernt bei ihren Gräueltaten von Prato, Rom usw., hat es später schwer, sich für Ferdinand den Katholischen und Karl V. im höheren Sinne zu interessieren. Diese haben ihre Horden gekannt und dennoch losgelassen. Die Last von Akten aus ihrem Kabinett, welche allmählich zum Vorschein kommt, mag eine Quelle der wichtigsten Notizen bleiben — einen belebenden politischen Gedanken wird niemand mehr in den Skripturen solcher Fürsten suchen.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Kultur und Kunst der Renaissance in Italien. 1. Buch