Das Papsttum: Stellung zum Ausland und zu Italien — Römische Unruhen seit Nikolaus V. — Sixtus IV. als Herr von Rom — Pläne des Kardinals Pietro Riario — Der Nepotenstaat in der Romagna — Die Kardinäle aus Fürstenhäusern — Innocenz VIII. und sein Sohn — Alexander VI. als Spanier — Verhältnis zum Ausland und Simonie — Cesare Borgia und sein Verhältnis zum Vater — Seine letzten Absichten — Drohende Säkularisation des Kirchenstaates — Das Irrationelle in den Mitteln — Die Ermordungen — Die letzten Jahre — Julius II. als Retter des Papsttums — Wahl Leos X. — Seine gefährlichen politischen Pläne — Wachsende Gefahren von außen — Hadrian VI. — Klemens VII. und die Verwüstung Roms — Folgen derselben und Reaktion — Sühne Karls V. mit dem Papste — Das Papsttum der Gegenreformation

Papsttum und Kirchenstaat, als eine ganz ausnahmsweise Schöpfung, haben uns bisher, bei der Feststellung des Charakters italienischer Staaten überhaupt, nur beiläufig beschäftigt. Gerade das, was sonst diese Staaten interessant macht, die bewusste Steigerung und Konzentration der Machtmittel, findet sich im Kirchenstaat am wenigsten, indem hier die geistliche Macht die mangelhafte Ausbildung der weltlichen unaufhörlich decken und ersetzen hilft. Welche Feuerproben hat der so konstituierte Staat im XIV. und beginnenden XV. Jahrhundert ausgehalten! Als das Papsttum nach Südfrankreich gefangen geführt wurde, ging anfangs alles aus den Fugen, aber Avignon hatte Geld, Truppen und einen großen Staats- und Kriegsmann, der den Kirchenstaat wieder völlig unterwarf, den Spanier Albornoz. Noch viel größer war die Gefahr einer definitiven Auflösung, als das Schisma hinzutrat, als weder der römische noch der avignonesische Papst reich genug war, um den von neuem verlorenen Staat zu unterwerfen, aber nach der Herstellung der Kircheneinheit gelang dies unter Martin V. doch wieder, und gelang abermals, nachdem sich die Gefahr unter Eugen IV. erneut hatte. Allein der Kirchenstaat war und blieb einstweilen eine völlige Anomalie unter den Ländern Italiens; in und um Rom trotzten dem Papsttum die großen Adelsfamilien der Colonna, Savelli, Orsini, Anguillara usw.; in Umbrien, in der Mark, in der Romagna gab es zwar jetzt fast keine jener Stadtrepubliken mehr, welchen einst das Papsttum für ihre Anhänglichkeit so wenig Dank gewusst hatte, aber dafür eine Menge großer und kleiner Fürstenhäuser, deren Gehorsam und Vasallentreue nicht viel besagen wollte. Als besondere, aus eigener Kraft bestehende Dynastien haben sie auch ihr besonderes Interesse, und in dieser Beziehung ist oben bereits von den wichtigsten derselben die Rede gewesen.

Gleichwohl sind wir auch dem Kirchenstaat als Ganzem hier eine kurze Betrachtung schuldig. Neue merkwürdige Krisen und Gefahren kommen seit der Mitte des XV. Jahrhunderts über ihn, indem der Geist der italienischen Politik von verschiedenen Seiten her sich auch seiner zu bemächtigen, ihn in die Pfade seiner Raison zu leiten sucht. Die geringeren dieser Gefahren kommen von außen oder aus dem Volke, die größeren haben ihre Quelle in dem Gemüt der Päpste selbst.


Das transalpinische Ausland darf zunächst außer Betracht bleiben. Wenn dem Papsttum in Italien eine tödliche Bedrohung zustieß, so hätte ihm weder Frankreich unter Ludwig XL, noch England beim Beginn der Rosenkriege, noch das einstweilen gänzlich zerrüttete Spanien, noch auch das um sein Basler Konzil betrogene Deutschland die geringste Hilfe gewährt oder auch nur gewähren können. In Italien selber gab es eine gewisse Anzahl Gebildeter und wohl auch Ungebildeter, welche eine Art von Nationalstolz darein setzten, dass das Papsttum dem Lande gehöre; sehr viele hatten ein bestimmtes Interesse dabei, dass es so sei und bleibe; eine gewaltige Menge glaubte noch an die Gewalt der päpstlichen Weihen und Segnungen, darunter auch große Frevler, wie jener Vitellozzo Vitelli, der noch um den Ablass Alexanders VI. flehte, als ihn der Sohn des Papstes erwürgen ließ. Allein alle diese Sympathien zusammen hätten wiederum das Papsttum nicht gerettet gegenüber den wahrhaft entschlossenen Gegnern, die den vorhandenen Hass und Neid zu benützen gewusst hätten.

Und bei so geringer Aussicht auf äußere Hilfe entwickeln sich gerade die allergrößten Gefahren im Innern des Papsttums selber. Schon indem dasselbe jetzt wesentlich im Geist eines weltlichen italienischen Fürstentums lebte und handelte, musste es auch die düsteren Momente eines solchen kennenlernen; seine eigentümliche Natur aber brachte noch ganz besondere Schatten hinein.

Was zunächst die Stadt Rom betrifft, so hat man von jeher dergleichen getan, als ob man ihre Aufwallungen wenig fürchte, da so mancher durch Volkstumult vertriebene Papst wieder zurückgekehrt sei und die Römer um ihres eigenen Interesses willen die Gegenwart der Kurie wünschen mussten. Allein Rom entwickelte nicht nur zuzeiten einen spezifisch antipäpstlichen Radikalismus, sondern es zeigte sich auch mitten in den bedenklichsten Komplotten die Wirkung unsichtbarer Hände von außen. So bei der Verschwörung des Stefano Porcari gegen denjenigen Papst, welcher gerade der Stadt Rom die größten Vorteile gewährt hatte, Nicolaus V. (1453). Porcari bezweckt einen Umsturz der päpstlichen Herrschaft überhaupt und hatte dabei große Mitwisser, die zwar nicht genannt werden, sicher aber unter den italienischen Regierungen zu suchen sind. Unter demselben Pontifikat schloss Lorenzo Valla seine berühmte Deklamation gegen die Schenkung Konstantins mit einem Wunsch um baldige Säkularisation des Kirchenstaates.

Auch die catilinarische Rotte, mit welcher Pius II. (1459) kämpfen musste, verhehlte es nicht, dass ihr Ziel der Sturz der Priesterschaft im allgemeinen sei, und der Hauptanführer Tiburzio gab Wahrsagern die Schuld, welche ihm die Erfüllung dieses Wunsches eben auf dieses Jahr verheißen hätten. Mehrere römische Große, der Fürst von Tarent und der Kondottiere Jacopo Piccinino, waren die Mitwisser und Beförderer. Und wenn man bedenkt, welche Beute in den Palästen reicher Prälaten bereit lag (jene hatten besonders den Kardinal von Aquileja im Auge), so fällt es eher auf, dass in der fast ganz unbewachten Stadt solche Versuche nicht häufiger und erfolgreicher waren. Nicht umsonst residierte Pius lieber überall als in Rom, und noch Paul II. hat (1468) einen heftigen Schrecken wegen eines wirklichen oder vorgegebenen Komplottes ähnlicher Art ausgestanden. Das Papsttum musste entweder einmal einem solchen Anfall unterliegen oder gewaltsam die Faktionen der Großen bändigen, unter deren Schutz jene Räuberscharen heranwuchsen.

Diese Aufgabe setzte sich der schreckliche Sixtus IV. Er zuerst hatte Rom und die Umgegend fast völlig in der Gewalt, zumal seit der Verfolgung der Colonnesen, und deshalb konnte er auch in Sachen des Pontifikates sowohl als der italienischen Politik mit so kühnem Trotz verfahren und die Klagen und Konzilsdrohungen des ganzen Abendlandes verachten. Die nötigen Geldmittel lieferte eine plötzlich ins Schrankenlose wachsende Simonie, welche von den Kardinalsernennungen bis auf die kleinsten Gnaden und Bewilligungen herunter sich alles unterwarf. Sixtus selbst hatte die päpstliche Würde nicht ohne Bestechung erhalten.

Eine so allgemeine Käuflichkeit konnte einst dem römischen Stuhl üble Schicksale zuziehen, doch lagen dieselben in unberechenbarer Ferne. Anders war es mit dem Nepotismus, welcher das Pontifikat selber einen Augenblick aus den Angeln zu heben drohte. Von allen Nepoten genoss anfangs Kardinal Pietro Riario bei Sixtus die größte und fast ausschließliche Gunst; ein Mensch, welcher binnen kurzem die Phantasie von ganz Italien beschäftigte, teils durch ungeheuren Luxus, teils durch die Gerüchte, welche über seine Gottlosigkeit und seine politischen Pläne laut wurden. Er hat sich (1473) mit Herzog Galeazzo Maria von Mailand dahin verständigt, dass dieser, König der Lombardei werden und ihn, den Nepoten, dann mit Geld und Truppen unterstützen solle, damit er bei seiner Heimkehr nach Rom den päpstlichen Stuhl besteigen könne; Sixtus würde ihm denselben, scheint es, freiwillig abgetreten haben. Dieser Plan, welcher wohl auf eine Säkularisation des Kirchenstaates als Folge der Erblichmachung des Stuhles hinausgelaufen wäre, scheiterte dann durch Pietros plötzliches Absterben. Der zweite Nepot, Girolamo Riario, blieb weltlichen Standes und tastete das Pontifikat nicht an; seit ihm aber vermehren die päpstlichen Nepoten die Unruhe Italiens durch das Streben nach einem großen Fürstentum. Früher war es etwa vorgekommen, dass die Päpste ihre Oberlehnsherrlichkeit über Neapel zugunsten ihrer Verwandten geltend machen wollten; seit Calixt III. war aber, hieran nicht mehr so leicht zu denken, und Girolamo Riario musste, nachdem die Überwältigung von Florenz (und wer weiß wie mancher andere Plan) misslungen war, sich mit Gründung einer Herrschaft auf Grund und Boden des Kirchenstaates selber begnügen. Man mochte dies damit rechtfertigen, dass die Romagna mit ihren Fürsten und Stadttyrannen der päpstlichen Oberherrschaft völlig zu entwachsen drohte, oder dass sie in kurzem die Beute der Sforza und der Venezianer werden konnte, wenn Rom nicht auf diese Weise eingriff. Allein wer garantierte in jenen Zeiten und Verhältnissen den dauernden Gehorsam solcher souverän gewordener Nepoten und ihrer Nachkommen gegen Päpste, die sie weiter nichts mehr angingen? Selbst der noch lebende Papst war nicht immer seines eigenen Sohnes oder Neffen sicher, und vollends lag die Versuchung nahe, den Nepoten eines Vorgängers durch den eigenen zu verdrängen. Die Rückwirkungen dieses ganzen Verhältnisses auf das Papsttum selbst waren von der bedenklichsten Art; alle, auch die geistlichen Zwangsmittel, wurden ohne irgendwelche Scheu an den zweideutigsten Zweck gewandt, welchem sich die anderen Zwecke des Stuhles Petri unterordnen mussten, und wenn das Ziel unter heftigen Erschütterungen und allgemeinem Hass erreicht war, so hatte man eine Dynastie geschaffen, welche das größte Interesse am Untergang des Papsttums hatte.

Als Sixtus starb, konnte sich Girolamo nur mit äußerster Mühe und nur durch den Sturz des Hauses Sforza (dem seine Gemahlin angehörte) in seinem erschwindelten Fürstentum (Forli und Imola) halten. Bei dem nun (1484) folgenden Konklave — in welchem Innocenz VIII. gewählt wurde — trat eine Erscheinung zutage, welche beinahe einer neuen äußeren Garantie des Papsttums ähnlich sieht: zwei Kardinäle, welche Prinzen regierender Häuser sind, lassen sich ihre Hilfe auf das schamloseste durch Geld und Würden abkaufen, nämlich Giovanni d’Aragona, Sohn des Königs Ferrante, und Ascanio Sforza, Bruder des Moro. So waren wenigstens die Herrscherhäuser von Neapel und Mailand durch Teilnahme an der Beute beim Fortbestand des päpstlichen Wesens interessiert. Noch einmal beim folgenden Konklave, als alle Kardinäle bis auf fünf sich verkauften, nahm Ascanio ungeheure Bestechungen an und behielt sich außerdem die Hoffnung vor, das nächste Mal selber Papst zu werden.

Auch Lorenzo magnifico wünschte, dass das Haus Medici nicht leer ausgehe. Er vermählte seine Tochter Maddalena mit dem Sohn des neuen Papstes, Franoeschetto Cibo, und erwartete nun nicht bloß allerlei geistliche Gunst für seinen eigenen Sohn Kardinal Giovanni (den künftigen Leo X.), sondern auch eine rasche Erhebung des Schwiegersohnes. Allein in letzterem Betracht verlangte er Unmögliches. Bei Innocenz VIII. konnte von dem kecken, staatengründenden Nepotismus deshalb nicht die Rede sein, weil Franceschetto ein ganz kümmerlicher Mensch war, dem es, wie seinem Vater, dem Papste, nur um den Genuss der Macht im niedrigsten Sinne, namentlich um den Erwerb großer Geldmassen zu tun sein konnte. Die Art jedoch, wie Vater und Sohn dies Geschäft trieben, hätte auf die Länge zu einer höchst gefährlichen Katastrophe, zur Auflösung des Staates, führen müssen.

Verrocchio: Colleoni-Denkmal, Venedig

Fassade der Kirche S. Zaccaria in Venedig


Hatte Sixtus das Geld beschafft durch den Verkauf aller geistlichen Gnaden und Würden, so errichten Innocenz und sein Sohn eine Bank der weltlichen Gnaden, wo gegen Erlegung von hohen Taxen Pardon für Mord und Totschlag zu haben ist, von jeder Buße kommen 150 Dukaten an die päpstliche Kammer und, was darüber geht, an Franceschetto. Rom wimmelt namentlich in den letzten Zeiten dieses Pontifikates von protegierten und nicht protegierten Mördern; die Faktionen, mit deren Unterwerfung Sixtus den Anfang gemacht, stehen wieder in voller Blüte da; dem Papst in seinem wohlverwahrten Vatikan genügt es, da und dort Fallen aufzustellen, in welchen sich zahlungsfähige Verbrecher fangen sollen. Für Franceschetto aber gab es nur eine Hauptfrage: auf welche Art er sich, wenn der Papst stürbe, mit möglichst großen Kassen aus dem Staube machen könnte? Er verriet sich einmal bei Anlass einer falschen Todesnachricht (1490); alles überhaupt vorhandene Geld — den Schatz der Kirche — wollte er fortschaffen, und als die Umgebung ihn daran hinderte, sollte wenigstens der Türkenprinz Dschem mitgehen, ein lebendiges Kapital, das man um hohen Preis etwa an Ferrante von Neapel verhandeln konnte. Es ist schwer, politische Möglichkeiten in längst vergangenen Zeiten zu berechnen; unabweisbar aber drängt sich die Frage auf, ob Rom noch zwei oder drei Pontifikate dieser Art ausgehalten hätte? Auch gegenüber dem andächtigen Europa war es unklug, die Dinge so weit kommen zu lassen, dass nicht bloß der Reisende und der Pilger, sondern eine ganze Ambassade des römischen Königs Maximilian in der Nähe von Rom bis aufs Hemd ausgezogen wurde, und dass manche Gesandten unterwegs umkehrten, ohne die Stadt betreten zu haben.

Mit dem Begriff vom Genuss der Macht, welcher in dem hochbegabten Alexander VI. (1492—1503) lebendig war, vertrug sich ein solcher Zustand freilich nicht, und das erste, was geschah, war die einstweilige Herstellung der öffentlichen Sicherheit und das präzise Auszahlen aller Besoldungen.

Strenge genommen dürfte dieses Pontifikat hier, wo es sich um italienische Kulturformen handelt, übergangen werden, denn die Borgia sind so wenig Italiener als das Haus von Neapel. Alexander spricht mit Cesare öffentlich spanisch, Lucrezia wird bei ihrem Empfang in Ferrara, wo sie spanische Toilette trägt, von spanischen Buffonen angesungen; die vertrauteste Hausdienerschaft besteht aus Spaniern, ebenso die verrufenste Kriegerschar des Cesare im Kriege des Jahres 1500, und selbst sein Henker, Don Micheletto, sowie der Giftmischer Sebastian Pinzon scheinen Spanier gewesen zu sein. Zwischen all seinem sonstigen Treiben erlegt Cesare auch einmal spanisch kunstgerecht sechs wilde Stiere in geschlossenem Hof räum. Allein die Korruption, an deren Spitze diese Familie erscheint, hatten sie in Rom schon sehr entwickelt angetroffen.

Was sie gewesen sind und was sie getan haben, ist oft und viel geschildert worden. Ihr nächstes Ziel, welches sie auch erreichten, war die völlige Unterwerfung des Kirchenstaates, indem die sämtlichen kleinen Herrscher — meist mehr oder weniger unbotmäßige Vasallen der Kirche — vertrieben oder vernichtet und in Rom selbst beide große Faktionen zu Boden geschmettert wurden, die angeblich guelfischen Orsinen so gut wie die angeblich ghibellinischen Colonnesen. Aber die Mittel, welche angewandt wurden, waren so schrecklich, dass das Papsttum an den Konsequenzen derselben notwendig hätte zugrunde gehen müssen, wenn nicht ein Zwischenereignis (die gleichzeitige Vergiftung von Vater und Sohn) die ganze Lage der Dinge plötzlich geändert hätte. — Auf die moralische Entrüstung des Abendlandes allerdings brauchte Alexander nicht viel zu achten; in der Nähe erzwang er Schrecken und Huldigung ; die ausländischen Fürsten ließen sich gewinnen, und Ludwig XII. half ihm sogar aus allen Kräften, die Bevölkerungen aber ahnten kaum, was in Mittelitalien vorging. Der einzige in diesem Sinne wahrhaft gefährliche Moment, als Karl VIII. in der Nähe war, ging unerwartet glücklich vorüber, und auch damals handelte es sich nicht um das Papsttum als solches, sondern nur um Verdrängung Alexanders durch einen besseren Papst. Die große, bleibende und wachsende Gefahr für das Pontifikat lag in Alexander selbst und vor allem in seinem Sohne Cesare Borgia.

In dem Vater waren Herrschbegier, Habsucht und Wollust mit einem starken und glänzenden Naturell verbunden. Was irgend zum Genuss von Macht und Wohlleben gehört, das gönnte er sich vom ersten Tage an im weitesten Umfang. In den Mitteln zu diesem Zwecke erscheint er sogleich völlig unbedenklich; man wusste auf der Stelle, dass er die für seine Papstwahl aufgewandten Opfer mehr als nur wieder einbringen würde und dass die Simonie des Kaufes durch die des Verkaufes weit würde überboten werden. Es kam hinzu, dass Alexander von seinem Vizekanzellariat und anderen früheren Ämtern her die möglichen Geldquellen besser kannte und mit größerem Geschäftstalent zu handhaben wusste als irgendein Kuriale. Schon im Laufe des Jahres 1494 geschah es, dass ein Karmeliter Adamo von Genua, der zu Rom von der Simonie gepredigt hatte, mit zwanzig Wunden ermordet in seinem Bette gefunden wurde. Alexander hat kaum einen Kardinal außer gegen Erlegung hoher Summen ernannt.

Als aber der Papst mit der Zeit unter die Herrschaft seines Sohnes geriet, nahmen die Mittel der Gewalt jenen völlig satanischen Charakter an, der notwendig auf die Zwecke zurückwirkt. Was im Kampf gegen die römischen Großen und gegen die romagnolischen Dynasten geschah, überstieg im Gebiete der Treulosigkeit und Grausamkeit sogar dasjenige Maß, an welches z. B. die Aragonesen von Neapel die Welt bereits gewöhnt hatten, und auch das Talent der Täuschung war größer. Vollends grauenhaft ist die Art und Weise, wie Cesare den Vater isoliert, indem er den Bruder, den Schwager und andere Verwandte und Höflinge ermordet, sobald ihm deren Gunst beim Papst oder ihre sonstige Stellung unbequem wird. Alexander musste zu der Ermordung seines geliebtesten Sohnes, des Duca di Gandia, seine Einwilligung geben, weil er selber stündlich vor Cesare zitterte.

Welches waren nun die tiefsten Pläne des letzteren? Noch in den letzten Monaten seiner Herrschaft, als er eben die Kondottieren zu Sinigaglia umgebracht hatte und faktisch Herr des Kirchenstaates war (1503), äußerte man sich in seiner Nähe leidlich bescheiden: der Herzog wolle bloß Faktionen und Tyrannen unterdrücken, alles nur zum Nutzen der Kirche; für sich bedinge er sich höchstens die Romagna aus, und dabei könne er des Dankgefühles aller folgenden Päpste sicher sein, da er ihnen Orsinen und Colonnesen vom Halse geschafft. Aber niemand wird dies als seinen letzten Gedanken gelten lassen. Schon etwas weiter ging einmal Papst Alexander selbst mit der Sprache heraus, in der Unterhaltung mit dem venezianischen Gesandten, indem er seinen Sohn der Protektion von Venedig empfahl: „Ich will dafür sorgen“, sagte er, „dass einst das Papsttum entweder an ihn oder an Eure Republik fällt.“ Cesare freilich fügte bei: es solle nur Papst werden, wen Venedig wolle, und zu diesem Endzweck brauchten nur die venezianischen Kardinäle recht zusammenzuhalten. Ob er damit sich selbst gemeint, mag dahingestellt bleiben; jedenfalls genügt die Aussage des Vaters, um seine Absicht auf die Besteigung des päpstlichen Thrones zu beweisen. Wiederum etwas mehr erfahren wir mittelbar von Lucrezia Borgia, insofern gewisse Stellen in den Gedichten des Ercole Strozza der Nachklang von Äußerungen sein dürften, die sie als Herzogin von Ferrara sich wohl erlauben konnte. Zunächst ist auch hier von Cesares Aussicht auf das Papsttum die Rede, allein dazwischen tönt etwas von einer gehofften Herrschaft über Italien im allgemeinen, und am Ende wird angedeutet, dass Cesare gerade als weltlicher Herrscher das Größte vorgehabt und deshalb einst den Kardinalshut niedergelegt habe. In der Tat kann kein Zweifel darüber walten, dass Cesare, nach Alexanders Tode zum Papst gewählt oder nicht, den Kirchenstaat um jeden Preis zu behaupten gedachte, und dass er dies nach allem, was er verübt hatte, als Papst unmöglich auf die Länge vermocht hätte. Wenn irgendeiner, so hätte er den Kirchenstaat säkularisiert und hätte es tun müssen, um dort weiter zu herrschen. Trügt uns nicht alles, so ist dies der wesentliche Grund der geheimen Sympathie, womit Macchiavelli den großen Verbrecher behandelt; von Cesare oder von niemand durfte er hoffen, dass er „das Eisen aus der Wunde ziehe“, d. h. das Papsttum, die Quelle aller Interventionen und aller Zersplitterung Italiens, vernichte. — Die Intriganten, welche Cesare zu erraten glaubten, wenn sie ihm das Königtum von Toscana spiegelten, wies er, scheint es, mit Verachtung von sich.

Doch alle logischen Schlüsse aus seinen Prämissen sind vielleicht eitel — nicht wegen einer sonderlichen dämonischen Genialität, die ihm so wenig innewohnte als z. B. dem Herzog von Friedland — , sondern weil die Mittel, die er, anwandte, überhaupt mit keiner völlig konsequenten Handlungsweise im großen verträglich sind. Vielleicht hätte in dem Übermaß von Bosheit sich wieder eine Aussicht der Rettung für das Papsttum aufgetan, auch ohne jeden Zufall, der seiner Herrschaft ein Ende machte.

Wenn man auch annimmt, dass die Vernichtung aller Zwischenherrscher im Kirchenstaate dem Cesare nichts als Sympathie eingetragen hätte, wenn man auch die Schar, die 1503 seinem Glücke folgte — die besten Soldaten und Offiziere Italiens mit Lionardo da Vinci als Oberingenieur — , als Beweis seiner großen Aussichten gelten lässt, so gehört doch anderes wieder ins Gebiet des Irrationellen, so dass unser Urteil darob irre wird wie das der Zeitgenossen. Von dieser Art ist besonders die Verheerung und Misshandlung des eben gewonnenen Staates, den Cesare doch zu behalten und zu beherrschen gedenkt. Sodann der Zustand Roms und der Kurie in den letzten Jahren des Pontifikates. Sei es, dass Vater und Sohn eine förmliche Proskriptionsliste entworfen hatten, sei es, dass die Mordbeschlüsse einzeln gefasst wurden — die Borgia legten sich auf heimliche Vernichtung aller derer, welche ihnen irgendwie im Wege waren oder deren Erbschaft ihnen begehrenswert schien. Kapitalien und fahrende Habe waren noch das wenigste dabei; viel einträglicher für den Papst war es, dass die Leibrenten der betreffenden geistlichen Herren erloschen und dass er die Einkünfte ihrer Ämter während der Vakanz und den Kaufpreis derselben bei neuer Besetzung einzog. Der venezianische Gesandte Paolo Capello meldet im Jahre 1500 wie folgt: „Jede Nacht findet man zu Rom vier oder fünf Ermordete, nämlich Bischöfe, Prälaten und andere, so dass ganz Rom davor zittert, von dem Herzog (Cesare) ermordet zu werden.“ Er selber zog des Nachts mit seinen Garden in der erschrockenen Stadt herum, und es ist aller Grund vorhanden, zu glauben, dass dies nicht bloß geschah, weil er, wie Tiberius, sein scheußlich gewordenes Antlitz bei Tage nicht mehr zeigen mochte, sondern um seiner tollen Mordlust ein Genüge zu tun, vielleicht auch an ganz Unbekannten. Schon im Jahre 1499 war die Desperation hierüber so groß und allgemein, dass das Volk viele päpstliche Gardisten überfiel und umbrachte. Wem aber die Borgia mit offener Gewalt nicht beikamen, der unterlag ihrem Gift. Für diejenigen Fälle, wo einige Diskretion nötig schien, wurde jenes schneeweiße, angenehm schmeckende Pulver gebraucht, welches nicht blitzschnell, sondern allmählich wirkte und sich unbemerkt jedem Gericht oder Getränk beimischen ließ. Schon Prinz Dschem hatte davon in einem süßen Trank mit bekommen, bevor ihn Alexander an Karl VIII. auslieferte (1495), und am Ende ihrer Laufbahn vergifteten sich Vater und Sohn damit, indem sie zufällig von dem für einen reichen Kardinal bestimmten Wein genossen. Der offizielle Epitomator der Papstgeschichte, Onufrio Panvinio, nennt drei Kardinäle, welche Alexander hat vergiften lassen (Orsini, Ferrerio und Michiel) und deutet einen vierten an, welchen Cesare auf seine Rechnung nahm (Giovanni Borgia); es möchten aber damals selten reichere Prälaten in Rom gestorben sein ohne einen Verdacht dieser Art. Auch stille Gelehrte, die sich in eine Landstadt zurückgezogen, erreichte ja das erbarmungslose Gift. Es fing an, um den Papst herum nicht mehr recht geheuer zu werden; Blitzschläge und Sturmwinde, von welchen Mauern und Gemächer einstürzten, hatten ihn schon früher in auffallender Weise heimgesucht und in Schrecken gesetzt; als 1500 sich diese Erscheinungen wiederholten, fand man darin „cosa diabolica“. Das Gerücht von diesem Zustand der Dinge scheint durch das stark besuchte Jubiläum von 1500 doch endlich weit unter den Völkern herumgekommen zu sein, und die schmachvolle Ausbeutung des damaligen Ablasses tat ohne Zweifel das übrige,, um alle Augen auf Rom zu lenken. Außer den heimkehrenden Pilgern kamen auch sonderbare weiße Büßer aus Italien nach dem Norden, darunter verkappte Flüchtlinge aus dem Kirchenstaat, welche nicht werden geschwiegen haben. Doch wer kann berechnen, wie lange und hoch das Ärgernis des Abendlandes noch hätte steigen müssen, ehe es für Alexander eine unmittelbare Gefahr erzeugte. „Er hätte“, sagte Panvinio anderswo, „auch die noch übrigen reichen Kardinäle und Prälaten aus der Welt geschafft, um sie zu beerben, wenn er nicht, mitten in den größten Absichten für seinen Sohn, dahingerafft worden wäre.“ Und was würde Cesare getan haben, wenn er im Augenblicke, da sein Vater starb, nicht ebenfalls auf den Tod krank gelegen hätte? Welch ein Konklave wäre das geworden, wenn er sich einstweilen, mit all seinen Mitteln ausgerüstet, durch ein mit Gift zweckmäßig reduziertes Kardinalskollegium zum Papst wählen Heß, zumal in einem Augenblick, da keine französische Armee in der Nähe gewesen wäre! Die Phantasie verliert sich, sobald sie diese Hypothesen verfolgt, in einen Abgrund.

Statt dessen folgte das Konklave Pius’ III. und nach dessen baldigem Tode auch dasjenige Julius’ II. unter dem Eindruck einer allgemeinen Reaktion.

Welches auch die Privatsitten Julius’ II. sein mochten, in den wesentlichen Beziehungen ist er der Retter des Papsttums. Die Betrachtung des Ganges der Dinge in den Pontifikaten seit seinem Oheim Sixtus hatte ihm einen tiefen Einblick in die wahren Grundlagen und Bedingungen des päpstlichen Ansehens gewährt, und danach richtete er nun seine Herrschaft ein und widmete ihr die ganze Kraft und Leidenschaft seiner unerschütterlichen Seele. Ohne Simonie, unter allgemeinem Beifall stieg er die Stufen des Stuhles Petri hinan, und nun hörte wenigstens der eigentliche Handel mit den höchsten Würden gänzlich auf. Julius hatte Günstlinge und darunter sehr unwürdige, allein des Nepotismus war er durch ein besonderes Glück überhoben: sein Bruder Giovanni della Rovere war der Gemahl der Erbin von Urbino, Schwester des letzten Montefeltro Guidobaldo, und aus dieser Ehe war seit 1491 ein Sohn, Francesco Maria della Rovere, vorhanden, welcher zugleich rechtmäßiger Nachfolger im Herzogtum Urbino und päpstlicher Nepot war. Was nun Julius sonst irgend erwarb, im Kabinett oder durch seine Feldzüge, das unterwarf er mit hohem Stolz der Kirche und nicht seinem Hause; den Kirchenstaat, welchen er in voller Auflösung angetroffen, hinterließ er völlig gebändigt und durch Parma und Piacenza vergrößert. Es lag nicht an ihm, dass nicht auch Ferrara für die Kirche eingezogen wurde. Die 700.000 Dukaten, welche er beständig in der Engelsburg liegen hatte, sollte der Kastellan einst niemandem als dem künftigen Papst ausliefern. Er beerbte die Kardinäle, ja alle Geistlichen, die in Rom starben, und zwar auf rücksichtslose Weise, aber er vergiftete und mordete keinen. Dass er selber zu Felde zog, war für ihn unvermeidlich und hat ihm in Italien sicher nur genützt zu einer Zeit, da man entweder Amboss oder Hammer sein musste, und da die Persönlichkeit mehr wirkte als das besterworbene Recht. Wenn er aber trotz all seines hochbetonten: „Fort mit den Barbaren!“ gleichwohl am meisten dazu beitrug, dass die Spanier in Italien sich recht festsetzten, so konnte dies für das Papsttum gleichgültig, ja vielleicht relativ vorteilhaft erscheinen. Oder war nicht bis jetzt von der Krone Spaniens am ehesten ein dauernder Respekt vor der Kirche zu erwarten, während die italienischen Fürsten vielleicht nur noch frevelhafte Gedanken gegen letztere hegten? — Wie dem aber sei, der mächtige originelle Mensch, der keinen Zorn herunterschlucken konnte und kein wirkliches Wohlwollen verbarg, machte im ganzen den für seine Lage höchst wünschbaren Eindruck eines „Pontefice terribile“. Er konnte sogar wieder mit relativ gutem Gewissen die Berufung eines Konzils nach Rom wagen, womit dem Konzilsgeschrei der ganzen europäischen Opposition Trotz geboten war. Ein solcher Herrscher bedurfte auch eines großartigen äußeren Symboles seiner Richtung; Julius fand dasselbe im Neubau von St. Peter; die Anlage desselben, wie sie Bramante wollte, ist vielleicht der größte Ausdruck aller einheitlichen Macht überhaupt. Aber auch in den übrigen Künsten lebt Andenken und Gestalt dieses Papstes im höchsten Sinne fort, und es ist nicht ohne Bedeutung, dass selbst die lateinische Poesie jener Tage für Julius in andere Flammen gerät als für seine Vorgänger. Der Einzug in Bologna, am Ende des „Iter Julii secundi“ von Kardinal Adriano da Corneto, hat einen eigenen prachtvollen Ton, und Giovan Antonio Flaminio hat in einer der schönsten Elegien den Patrioten im Papst um Schutz für Italien angerufen.

Julius hatte durch eine donnernde Konstitution seines lateranensischen Konzils die Simonie bei der Papstwahl verboten. Nach seinem Tode (1513) wollten die geldlustigen Kardinäle dieses Verbot dadurch umgehen, dass eine allgemeine Abrede proponiert wurde, wonach die bisherigen Pfründen und Ämter des zu Wählenden gleichmäßig unter sie verteilt werden sollten; sie würden dann den pfründenreichsten Kardinal (den ganz untüchtigen Rafael Riario) gewählt haben. Allein ein Aufschwung, hauptsächlich der jüngeren Mitglieder des heiligen Kollegiums, welche vor allem einen liberalen Papst wollten, durchkreuzte jene jämmerliche Kombination; man wählte Giovanni Medici, den berühmten Leo X.

Wir werden ihm noch öfter begegnen, wo irgend von der Sonnenhöhe der Renaissance die Rede sein wird; hier ist nur darauf hinzuweisen, dass unter ihm das Papsttum wieder große innere und äußere Gefahren erlitt. Darunter ist nicht zu rechnen die Verschwörung der Kardinäle Petrucci, Sauli, Riario und Corneto, weil diese höchstens einen Personenwechsel zur Folge haben konnte; auch fand Leo das wahre Gegenmittel in Gestalt jener unerhörten Kreation von 31 neuen Kardinälen, welche noch dazu einen guten Effekt machte, weil sie zum Teil das wahre Verdienst belohnte.

Höchst gefährlich aber waren gewisse Wege, auf welchen Leo in den ersten zwei Jahren seines Amtes sich betreten ließ. Durch ganz ernstliche Unterhandlungen suchte er seinem Bruder Giuliano das Königreich Neapel und seinem Neffen Lorenzo ein großes oberitalisches Reich zu verschaffen, welches Mailand, Toscana, Urbino und Ferrara umfasst haben würde. Es leuchtet ein, dass der Kirchenstaat, auf solche Weise eingerahmt, eine mediceische Apanage geworden wäre, ja man hätte ihn kaum mehr zu säkularisieren nötig gehabt.

Der Plan scheiterte an den allgemeinen politischen Verhältnissen; Giuliano starb beizeiten; um Lorenzo dennoch auszustatten, unternahm Leo die Vertreibung des Herzogs Francesco Maria della Rovere von Urbino, zog sich durch diesen Krieg unermesslichen Hass und Armut zu und musste, als Lorenzo 1519 ebenfalls starb, das mühselig Eroberte an die Kirche geben; er tat ruhmlos und gezwungen, was ihm, freiwillig getan, ewigen Ruhm gebracht haben würde. Was er dann noch gegen Alfonso von Ferrara probierte und gegen ein paar kleine Tyrannen und Kondottieren wirklich ausführte, war vollends nicht von der Art, welche die Reputation erhöht. Und dies alles, während die Könige des Abendlandes sich von Jahr zu Jahr mehr an ein kolossales politisches Kartenspiel gewöhnten, dessen Einsatz und Gewinn immer auch dieses oder jenes Gebiet von Italien war. Wer wollte dafür bürgen, dass sie nicht, nachdem ihre heimische Macht in den letzten Jahrzehnten unendlich gewachsen, ihre Absichten auch einmal auf den Kirchenstaat ausdehnen würden? Noch Leo musste ein Vorspiel dessen erleben, was 1527 sich erfüllte; ein paar Haufen spanischer Infanterie erschienen gegen Ende des Jahres 1520 — aus eigenem Antrieb, scheint es — an den Grenzen des Kirchenstaates, um den Papst einfach zu . brandschatzen, ließen sich aber durch päpstliche Truppen zurückschlagen. Auch die öffentliche Meinung gegenüber der Korruption der Hierarchie war in den letzten Zeiten rascher gereift als früher, und ahnungsfähige Menschen, wie z. B. der jüngere Pico von Mirandola, riefen dringend nach Reformen. Inzwischen war bereits Luther aufgetreten.

Unter Hadrian VI. (1522 — 1523) kamen auch die schüchternen und wenigen Reformen gegenüber der großen deutschen Bewegung schon zu spät. Er konnte nicht viel mehr als seinen Abscheu gegen den bisherigen Gang der Dinge, gegen Simonie, Nepotismus, Verschwendung, Banditenwesen und Unsittlichkeit an den Tag legen. Die Gefahr vom Luthertum her erschien nicht einmal als die größte; ein geistvoller venezianischer Beobachter, Girolamo Negro, spricht Ahnungen eines nahen, schrecklichen Unheils für Rom selber aus.

Unter Clemens VII. erfüllt sich der ganze Horizont von Rom mit Dünsten gleich jenem graugelben Sciroccoschleier, welcher dort bisweilen den Spätsommer so verderblich macht. Der Papst ist in der nächsten Nähe wie in der Ferne verhasst; während das Übelbefinden der Denkenden fortdauert, treten auf Gassen und Plätzen predigende Eremiten auf, welche den Untergang Italiens, ja der Welt, weissagen und Papst Clemens den Antichrist nennen; die colonnesische Faktion erhebt ihr Haupt in trotzigster Gestalt; der unbändige Kardinal Pompeo Colonna, dessen Dasein allein schon eine dauernde Plage für das Papsttum war, darf Rom (1526) überfallen in der Hoffnung, mit Hilfe Karls V. ohne weiteres Papst zu werden, sobald Clemens tot oder gefangen wäre. Es war kein Glück für Rom, dass dieser sich in die Engelsburg flüchten konnte; das Schicksal aber, für welches er selber aufgespart sein sollte, darf schlimmer als der Tod genannt werden.

Durch eine Reihe von Falschheiten jener Art, welche nur dem Mächtigen erlaubt ist, dem Schwächeren aber Verderben bringt, verursachte Clemens den Anmarsch des spanisch-deutschen Heeres unter Bourbon und Frundsberg (1527). Es ist gewiss, dass das Kabinett Karls V. ihm eine große Züchtigung zugedacht hatte und dass es nicht voraus berechnen konnte, wie weit seine unbezahlten Horden in ihrem Eifer gehen würden. Die Werbung fast ohne Geld wäre in Deutschland erfolglos geblieben, wenn man nicht gewusst hätte, es gehe gegen Rom. Vielleicht finden sich noch irgendwo die schriftlichen eventuellen Aufträge an Bourbon, und zwar solche, die ziemlich gelinde lauten, aber die Geschichtsforschung wird sich davon nicht betören lassen. Der katholische König und Kaiser verdankte es rein dem Glücke, dass Papst und Kardinäle nicht von seinen Leuten ermordet wurden. Wäre dies geschehen, keine Sophistik der Welt könnte ihn von der Mitschuld lossprechen. Der Mord zahlloser geringerer Leute und die Brandschatzung der übrigen mit Hilfe von Tortur und Menschenhandel zeigen deutlich genug, was beim „Sacco di Roma“ überhaupt möglich war.

Den Papst, der wieder in die Engelsburg geflüchtet war wollte Karl V., auch nachdem er ihm ungeheure Summen abgepresst, wie es heißt, nach Neapel bringen lassen, und dass Clemens statt dessen nach Orvieto floh, soll ohne alle Konnivenz von spanischer Seite geschehen sein. Ob Karl einen Augenblick an die Säkularisation des Kirchenstaates dachte (worauf alle Welt gefasst war), ob er sich wirklich durch Vorstellungen Heinrichs VIII. von England davon abbringen ließ, dies wird wohl im ewigen Dunkel bleiben.

Wenn aber solche Absichten vorhanden waren, so haben sie in keinem Falle lange angehalten; mitten aus der Verwüstung von Rom steigt der Geist der kirchlich-weltlichen Restauration empor. Augenblicklich ahnte dies z. B. Sadoleto. „Wenn durch unsern Jammer“, schreibt er, „dem Zorn und der Strenge Gottes genug getan ist, wenn diese furchtbaren Strafen uns wieder den Weg öffnen zu besseren Sitten und Gesetzen, dann ist vielleicht unser Unglück nicht das größte gewesen . . . Was Gottes ist, dafür mag Gott sorgen, wir aber haben ein Leben der Besserung vor uns, das uns keine Waffengewalt entreißen mag; richten wir nur Taten und Gedanken dahin, dass wir den wahren Glanz des Priestertums und unsere wahre Größe und Macht in Gott suchen.“

Von diesem kritischen Jahre 1527 an war in der Tat so viel gewonnen, dass ernsthafte Stimmen wieder einmal sich hörbar machen konnten. Rom hatte zu viel gelitten, um selbst unter einem Paul III. je wieder das heitere, grundverdorbene Rom Leos X. werden zu können.

Sodann zeigte sich für das Papsttum, sobald es einmal tief im Leiden war, eine Sympathie teils politischer, teils kirchlicher Art. Die Könige konnten nicht dulden, dass einer von ihnen sich ein besonderes Kerkermeisteramt über den Papst anmaßte und schlossen u. a. zu dessen Befreiung den Vertrag von Amiens (18. August 1527). Sie beuteten damit wenigstens die Gehässigkeit aus, welche auf der Tat der kaiserlichen Truppen ruhte. Zugleich aber kam der Kaiser in Spanien selbst empfindlich ins Gedränge, indem seine Prälaten und Granden ihm die nachdrücklichsten Vorstellungen machten, so oft sie ihn zu sehen bekamen. Als eine große allgemeine Aufwartung von Geistlichen und Weltlichen in Trauerkleidern bevorstand, geriet Karl in Sorgen, es möchte daraus etwas Gefährliches entstehen in der Art des vor wenigen Jahren gebändigten Comunidadenaufruhrs; die Sache wurde untersagt. Er hätte nicht nur die Misshandlung des Papstes auf keine Weise verlängern dürfen, sondern es war, abgesehen von aller auswärtigen Politik, die stärkste Notwendigkeit für ihn vorhanden, sich mit dem furchtbar gekränkten Papsttum zu versöhnen. Denn auf die Stimmung Deutschlands, welche ihm wohl einen anderen Weg gewiesen hätte, wollte er sich so wenig stützen als auf die deutschen Verhältnisse überhaupt. Es ist auch möglich, dass er sich, wie ein Venezianer meint, durch die Erinnerung an die Verheerung Roms in seinem Gewissen beschwert fand und deshalb jene Sühne beschleunigte, welche besiegelt werden musste durch die bleibende Unterwerfung der Florentiner unter das Haus des Papstes, die Medici. Der Nepot und neue Herzog, Alessandro Medici, wird vermählt mit der natürlichen Tochter des Kaisers.

In der Folge behielt Karl durch die Konzilsidee das Papsttum wesentlich in der Gewalt und konnte es zugleich drücken und beschützen. Jene größte Gefahr aber, die Säkularisation, vollends diejenige von innen heraus, durch die Päpste und ihre Nepoten selber, war für Jahrhunderte beseitigt durch die deutsche Reformation. So wie diese allein dem Zug gegen Rom (1527) Möglichkeit und Erfolg verliehen hatte, so nötigte sie auch das Papsttum, wieder der Ausdruck einer geistigen Weltmacht zu werden, indem es sich an die Spitze aller ihrer Gegner stellen, sich aus der „Versunkenheit in lauter faktischen Verhältnissen“ emporraffen musste. Was nun in der späteren Zeit des Clemens VII., unter Paul III., Paul IV. und ihren Nachfolgern mitten im Abfall halb Europas allmählich heranwächst, ist eine ganz neue regenerierte Hierarchie, welche alle großen, gefährlichen Ärgernisse im eigenen Hause, besonders den staatengründenden Nepotismus, vermeidet und im Bunde mit den katholischen Fürsten, getragen von einem neuen geistlichen Antrieb, ihr Hauptgeschäft aus der Wiedergewinnung der Verlorenen macht. Sie ist nur vorhanden und nur zu verstehen in ihrem Gegensatz zu den Abgefallenen. In diesem Sinne kann man mit voller Wahrheit sagen, dass das Papsttum in moralischer Beziehung durch seine Todfeinde gerettet worden ist. Und nun befestigte sich auch seine politische Stellung, freilich unter dauernder Aufsicht Spaniens, bis zur Unantastbarkeit; fast ohne alle Anstrengung erbte es beim Aussterben seiner Vasallen (der legitimen Linie von Este und des Hauses della Rovere) die Herzogtümer Ferrara und Urbino. Ohne die Reformation dagegen — wenn man sie sich überhaupt wegdenken kann — wäre der ganze Kirchenstaat wahrscheinlich schon längst in weltliche Hände übergegangen.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Kultur und Kunst der Renaissance in Italien. 1. Buch