Rauschhaschonoh in der Schlacht.

L., Zaum Gedaljoh 1914. Meine Lieben!

Euren Rauschhaschonohbrief habe ich heute erhalten und nutze die kurze Mußestunde aus, Euch einmal ausführlich zu schreiben. Als Ihr am ersten Rauschhaschonohtag das „Unssane taukef“ gebetet, hörte ich mit den tausend anderen Kameraden deutlich genug die Schicksalsfrage: „Wer wird leben und wer wird sterben?“ Wir waren mitten im heißen Gefecht, und dass ich noch lebe, verdanke ich Ihm und wohl auch den Gebeten, die Ihr für Euren Sohn in dieser Stunde zu Ihm emporgesandt habt. Wir erhielten Auftrag, das Dorf C. zu stürmen, sahen uns aber auf dem Wege an einem hohen Waldberg einer starken Franzosenbesatzung gegenüber, die uns mit einem mörderischen Feuer begrüßte. Es blieb uns nichts anderes übrig als Deckung zu suchen, und wir blieben von morgens ½ 11 bis mittags 6 Uhr in atemloser Stille auf dem Boden liegen. Das war ein langes Kaurimfallen. Und feierlich war es, wie wohl kaum in einem Gebethaus der Welt! Da lag jeder still und gottergeben und harrte seines Schicksals, das in Blei und Eisen zu uns herüberdröhnte; so mancher stand nicht mehr auf. Um 6 Uhr — Ihr dürftet um diese Zeit am Main das Taschlich verrichtet haben — ging es dann zum Sturm den Berg hinan, der im dichtesten Kugelregen gegen ½ 8 Uhr genommen war. Unsere Verluste waren, da wir mit der Tapferkeit große Vorsicht verbanden und durch die Dunkelheit geschützt waren, G. s. D. nicht sehr groß. Die feierliche Stille, die bei einer solchen unfreiwilligen Waldrast in Erwartung des Todes herrscht, könnt Ihr Euch nicht vorstellen. Das Dorf selbst wurde um Mitternacht von einem anderen Truppenteil genommen, wobei die Franzosen kopflos die Flucht ergriffen.


Ihr dürft, meine Lieben, darum nicht so sehr beunruhigt sein. Es geht nicht alle Tage so heiß und stürmisch her. Es gibt auch schöne Tage, an denen man, wie heute, Ruhe und Muße findet, sich mit seinen Lieben daheim schriftlich auszusprechen. Wenn man einmal in acht oder vierzehn Tagen ins Gefecht kommt, so ist das nicht schlimm, dafür ist man ja im Krieg, und man hat doch das erhebende Bewusstsein, dem Vaterland in seinem Kampf für die gerechte Sache gedient zu haben. Ich habe das feste Vertrauen, dass mich Gott beschützen und heil durch alle Gefahren bringen wird. Sollte es aber im Rat Gottes anders beschieden sein, dann: Mit Gott für König und Vaterland!

Am zweiten Rauschhaschonohtag hatten wir auf dem Waldberg kleinere Geplänkel, die uns im Vergleich zu den richtigen Gefechten von gestern fast lächerlich erschienen. Heute aber wurden wir durch andere Truppen abgelöst, und es sieht so aus, als beliebten die Herren Franzosen, uns heute ein bischen Ruhe zu gönnen.

Die Paketchen von Herrn I. habe ich erhalten und mich mit deren Inhalt sehr gefreut. Schickt mir wieder etwas Tabak und noch zwei Tafeln von der Koscherschokolade. Es sind Dinge, die im Feld nicht hoch genug einzuschätzen sind.

Es grüßt Euch herzlich
Euer M.