In einer jüdischen Stadt.

Aus einem Brief des Einj. Unteroffiziers im Telegr.- Bataillon I, Kurt Levy.

Olkusz, 25. 9. 1914.


Rauschhaschonoh war ich in Bendzin, einer ausgesprochenen Judenstadt. Wir Juden (vier Unteroffiziere) ließen uns abends beurlauben und gingen in den Tempel. Sehr interessant, mein einziger Eindrudk! Sonst war ich erstaunt, wie sehr mir noch alle Gebräuche geläufig sind. Nachdem die Synagoge aus war, wurden wir von Unzähligen aufgeordert, mit zum Abendessen zu kommen. C. und ich wollten unbedingt zusammen bleiben und hatten uns auch bald mit Kennerblick für den Richtigen entschieden. Wir wurden glänzend bewirtet, zum ersten Mal nach langer Zeit vernünftiges Essen, ganz polnisch zubereitet, doch gut und schmackhaft. Wir waren ganz rituell, benschten und orten, dass es eine Freude war! C. kann nicht hebräisch lesen und hatte keinen Dunst! Ich habe die ganze Situation wieder einmal gerettet. Es waren sehr reiche Leute mit einem Haus voll Kindern, unzählbar, in jeder Ecke ein paar. Zum nächsten Tag sollten wir zum Mittag essen kommen, hatten jedoch keine Zeit. Dafür gingen wir abends wieder hin und haben wieder ebensogut gegessen wie tags zuvor (fünf bis sechs Gänge); die Leute leben sehr gut hier! ... In Bendzin wohnen 15.000 Familien Juden, 3000 Familien Polen. Da die Juden alle deutschsprechen, auch zum größten Teil sauberer sind als die Polen, haben sie es sehr gut. Da das Geschäftsleben ganz in ihren Händen liegt, machen sie glänzende Geschäfte. Hier bekommt man noch alle Lebensmittel zu kaufen. Sonst wäre es mir hier höchst unappetitlich, jetzt fühle ich mich in ein Schlaraffenland versetzt. Man denke, es gibt frische Backware, sogar Kuchen! Ich habe in dem Cafe, in dem ich ihn aß, allerdings einen Jungen beobachtet (fünf bis sechs Jahre), der sich Läufe fing und sie kaltlächelnd tötete. Die Zustände sind ja bekannt; trotzdem ist man erstaunt, und es scheint einem unglaubhaft, wenn man sie mit eignen Augen wahrnimmt. Man hat erst den handgreiflichen Beweis dafür, was es heißt, in der Kultur um einige Jahrhunderte zurück zu sein. Deutschland, Deutschland über alles! Man bekommt einen Begriff, in welcher Knechtschaft die Juden hier leben, obwohl Handel und Geld in ihren Händen ist. Auch hier ist fast alles jüdisch. Wir haben mit kolossalen Schwierigkeiten zu kämpfen, da die Straßen sich in einem unglaublichen Zustand befinden. Tiefe Löcher, schweinemäßig. Wir trafen hier die ersten Österreicher auf russischem Boden.

Außer Deinem Paket von Sonntag habe ich sehr lange keinen Brief von Dir gehabt. Hast Du meine Briefe von der Fahrt bekommen? Hoffentlich geht es Dir gut.

Leb wohl!

Dein K.