In englischer Kriegsgefangenschaft.

Nachstehender Brief ist von Herrn Benno Kahn an seinen inzwischen verstorbenen Vater, Rabbiner Kahn in Heilbronn, gerichtet. Das Original ist in englischer Sprache geschrieben.

Frith Hill Camp Frimley.


„Sieben Tage sollt ihr in Hütten wohnen.“ Wie oft habe ich an diesen Satz kürzlich denken müssen; denn schon feit Ende August wohne ich hier mit Hunderten von deutschen kriegsgefangenen Leidensgenossen in Hütten oder vielmehr Zelten. Es sind meistens Männer in militärpflichtigem Alter, die von der englischen Regierung an der Abreise verhindert worden sind. Ein großer Teil wurde zuerst nach Olympia verbracht, einem ungeheuren zirkusartigen Gebäude, in dem sonst Ausstellungen, Pferderennen usw. abgehalten zu werden pflegen. Später wurden wir alle hierher transportiert, in ein großes Zeltlager, das durch Stacheldrahtzäune von der Außenwelt geschieden ist. Über die Behandlung und Verpflegung können wir uns nicht beklagen. Es gereicht mir zur ganz besonderen Freude, Euch mitteilen zu können, dass den jüdischen Kriegsgefangenen die Erlaubnis erteilt wurde, den Jaum Kippur den Traditionen unseres Glaubens gemäß zu feiern. Ein großes Zelt wurde für den Gottesdienst bereitgestellt, und ein junger Rabbiner, Rev. L. Morris, kam speziell von London, um den Gottesdienst zu leiten. Wir waren im ganzen 26 Juden, und Ihr könnt Euch leicht denken, wie wir alle fühlten unter diesen Verhältnissen. Während der Maskir Neschomaus- und Unssane Taukef-Gebete blieb kein Auge trocken. Die Londoner Synagogen-Hauptgemeinde versorgte uns mit Gebetbüchern und Talesim, die wir zum Andenken behalten dürfen.

Ich kann Euch versichern, keiner von uns wird je diesen Jaum Kippur vergessen.

Die wachthabenden Offiziere und alle anderen Gefangenen behandelten uns während des Feiertags mit dem größten Respekt, ja mit ganz besonderer Höflichkeit, und es gereichte mir zur großen Genugtuung, dass zwei jüdische Soldaten, die in Frankreich von den englischen Truppen zu Kriegsgefangenen gemacht wurden, die Erlaubnis bekamen, in unser Lager hinüberzukommen, um am Gottesdienst teilzunehmen. Die Namen sind B. Seelig aus Vennebech, Minden, Westfalen, und Hermann Baehr aus Haaren, Kreis Büren.

Zum Anbeißen hatten wir Kaffee, Heringe und Butterbrot — ganz wie zu Hause — und später Suppe, Braten, Obst und eine lang entbehrte Zigarette.