Freiwillige vor!

Brief des Walter C, Köln (vgl. Brief S. 6).

F., 11. September 1914.


Liebe Eltern!
Nachdem wir den feindlichen Vorstoß in drei blutigen Gefechten zurückgeworfen hatten, rückten wir in Gewaltmärschen, die Tag und Nacht durchgeführt wurden, auf die Maas zu, deren Ufer von den Franzosen sehr stark befestigt waren. Hier standen Kerntruppen der Franzosen unter General Pau, außerdem waren Schiffsgeschütze schwersten Kalibers dort in Stellung gebracht. Drei Tage brüllten auf beiden Seiten die Geschütze, doch konnte unsere Artillerie keinen durchschlagenden Erfolg erzielen, da die Franzosen eingegraben waren. Sie hatten die Stellung seit Monaten vorbereitet. Da ließ unser Generalkommando das . . . Armeekorps zwei Tage marschieren, bis es an einen Punkt kam, wo die Maas einen scharfen Bogen macht, fast in die feindliche Flanke. Bei Nacht und Nebel bauten unsere Pioniere in anderthalb Stunden eine Pontonbrücke. Die Franzosen hatten nichts gemerkt. Bei Tagesgrauen rückten wir talaufwärts. Plötzlich bekamen wir von allen Höhen fürchterliches Artilleriefeuer. Wir konnten in dem engen Kessel nicht auseinander. Meiner Kompagnie gelang es, in ein Seitental zu kommen, wo wir etwas geschützt waren, andere folgten. Von hier stürmten wir immer im fürchterlichsten Feuer und ohne selbst schießen zu können mit den Bajonetten die steile Höhe. So schafften wir unserer Artillerie Luft, die alsbald den Kampf aufnahm. Gegen fünf Uhr nachmittags gingen wir gegen ein Dorf vor, das stark befestigt war; wir nahmen es, doch fielen dabei viele, darunter auch R. . Am Dorfende sprengte ein Adjutant heran und wollte mir einen Befehl geben; da zerriss eine Granate seinen Gaul, der auf mich stürzte. Fast eine Stunde lag ich unter dem Tier, bis man mich bewustlos, doch ohne äußere oder innere Verletzung herauszog. Die Lunge war leicht gequetscht, die rechte Hüfte verrenkt.

Als ich mich etwas erholt hatte, ging ich wieder ins Gefecht. Abends wurde festgestellt, daß wir ein Viertel der Kompagnie verloren hatten. Ich glaubte an diesem Tag, Fürchterlicheres könnte es gar nicht geben. Es kam noch schlimmer. Wir verfolgten den Feind, der gewaltige Unterstützung erhalten hatte. Nun begann das gewaltige Ringen, das sieben Tage dauerte. 40.000 Franzosen, 30.000 Deutsche. Der schlimmste Tag war der 7. d. M., an dem ich das Eiserne Kreuz erhielt. Wir lagen schon den ganzen Tag in grässlichem Granatfeuer, ganz hilflos, da unsere Artillerie die feindliche nicht finden konnte. Abends um sieben Uhr erhielt mein Hauptmann den Befehl, eine Patrouille auf eine Bergspitze, die von Geschossen buchstäblich übersät war, zu senden, da man von dort die feindliche Stellung übersehen konnte. „Acht Freiwillige vor“ Ich sprang vor und sonst keiner. Der Hauptmann drückte mir die Hand. Ich kroch auf allen Vieren vor. Glücklich kam ich oben an, wurde hier aber entdeckt und unter ein Feuer genommen, das jeder Beschreibung spottet. Ein Granatsplitter, etwa in Faußgröße, zertrümmerte meinen Helm, eine Schrapnellkugel meinen Tornister, eine andere meine linke Patronentasche. Unterdessen hatte ich die feindliche Stellung mit Bärenruhe durch mein Glas beobachtet und in die Karte eingesetzt. Ich krieche zurück zu unserer Artillerie, die sofort ihr Feuer dorthin richtet. Nach genau sieben Minuten schweigt die französische. Ich wieder auf die Höhe, alle französischen Geschütze sind umgestürzt. Die Mannschaft ist tot. Da kommt ein französisches Bataillon, um ihre Geschütze zu retten. Auf ein verabredetes Zeichen (weiße Leuchtkugeln, die ich hochschieße) gibt unsere Artillerie eine Salve ab. Über die Hälfte des Bataillons liegt tot oder verwundet, die andere flieht Hals über Kopf, und an dem Tag sieht man keinen Franzosen mehr. Am andern Morgen fand man dort 300 Tote und Verlebte. 82 waren durch Granaten zerrissen. Ich erhielt das Eiserne Kreuz.

Die nächsten Tage waren für uns noch hart, doch heute ist unser glänzender Sieg entschieden. Entsetzliches und Erhabenes gab es in Fülle; die ganze Menschen- und Volkseele lag offen. Alles in allem muss ich sagen: wir haben herrliches Menschenmaterial. Doch auch volle Achtung vor den Franzosen, die uns diesmal gegenüberstanden. 1600 Gefangene hat unser Regiment allein gemacht. Das spricht Bände! Von vier Majoren sind drei verletzt und ebenso äußerst viele Chargen. Obwohl ich etwa fünfzehnmal getroffen bin, habe ich nur zwei leichte Verletzungen. Möge unser Blut ein herrliches Reich schaffen, das für immer den Frieden garantieren kann. Es küsst Euch

Euer Walter.