Ein Schabbosgruss.

L. b. M., 14. Oktober.

Just zur rechten Zeit, am Simchasthora-Abend, erhielt ich die Schokolade und den „Tatscher“. Ich hatte nichts mehr als Kommißbrot und hätte auch damit ganz vergnügt meinen Jaumtauw gefeiert. Wie oft hat uns auch schon dieses gefehlt! Nun aber war es ein richtiges Simchasthora. Sehr betrübt hat mich nur die Mitteilung vom Tod des Sally Michel und Max Frenkel. Es ist doch merkwürdig, wir wandeln über ganze Leichenfelder und haben uns an den Anblick bereits so gewöhnt, daß er uns nicht mehr aufregt. Die Kunde vom Tod eines Freundes, eines guten Bekannten erschüttert uns aber durch und durch.


Am Scheminiazeres waren wir den ganzen Tag im Wald. Nachts aber durften wir in einer Scheune schlafen und hatten frisches Stroh, ein ganz ungewohntes Wohlleben, das manchem Kameraden zu Kopf gestiegen war . . . Am Simchasthora aber hatte ich das zweifelhafte Vergnügen, mit noch einigen Kameraden eine französische Patrouille abzuspüren, eventuell abzuschießen. Wir marschierten mit Morgengrauen aus unserer Villa, sonst Kuhstall genannt, und konnten gegen 6 Uhr unser „Jagdgebiet“ erreichen. Leider zogen es die Herren Franzosen vor, an diesem Tag nicht zu erscheinen. Gern hätten wir mit ihnen dafür abgerechnet, daß sie unsere Bagage von einem Versteck aus beschosen hatten. Hinter uns auf der Höhe hat inzwischen unsere Artillerie ihre Arbeit begonnen. Sie macht einen solchen Radau, daß es mir schwer fällt, die Sinne zusammenzunehmen, Da ich ihr nicht Ruhe gebieten kann, werde ich den Brief etwas früher schließen. Ich bin in Gedanken immer bei Euch. Wenn Ihr mir Mittwoch einen „Tatscher“ abschickt, so ist: immer die Aussicht vorhanden, daß er schon am Samstag in meinen Händen ist. Das ist immer ein schöner Schabbosgruß! Ungeheuer freute ich mich, als ich unter meinen Postsachen die Rauschhaschonohnummer des „Israelit“ fand und die vielen Neuigkeiten erfuhr, für die ich früher vielleicht gar nicht so viel Interesse hatte. Und nun gar, da ich meinen eigenen Brief und meine eigenen Erlebnisse unter dem Strich fand! Die Artillerie will mit ihrer Schießerei nicht aufhören, also mag es genug sein für heute!

Gehabt Euch weiter wohl und haltet gut Schabbos.

Euer M.