Aus Serbien.

Brief des Leutnants d. Ref. Alfred Kraus. „Er starb den Heldentod in einem Gefechte in Bosnien am 20. Oktober. Mir ward die traurige Pflicht, ihn in sein Grab zu betten, das Antlitz gegen Erez Israel. So ist wenigstens sein letzter Wunsch erfüllt worden.“ (Aus einem Bericht des im nachstehenden Brief erwähnten Weißkopf).

Serbien, 25. 9. 1914.


Lieber Robert! Vorgestern nachts bekam ich Deinen Brief, lag schon mit meinem Diener im triefenden Zelt, „denn der Regen, er regnet jeglichen Tag, hoppheisa, bei Regen und Wind“ (unser Motto hier), habe trotz Verbotes unter der Decke Kerze angezündet; Beweis genug, wie sehr mich Dein Brief erfreut hat! Weißt Du, ich sehe auch daran, daß dieser Krieg, unfaßbar noch in Dimensionen und Weiterwirkung, das eine Große, Schöne uns, der Jugend aller Nationen, uns Juden in erster Linie gebraut hat, daß wir wieder den Sinn von activitas erfassen und, was lebendiges Erleben ist. Glaub mir, trotz aller Mühsal und Widerwärtigkeiten habe ich oft gerufen: es ist eine Lust, zu leben! Cum grano salis natürlich, denn wenn man geschlagene acht Tage in einem Urwald liegt, Tag und Nacht Regen, Nebel, Sturm, Alarme, Angriffe usw. hat, und dazu eine sehr wenig poetische Krankheit, dann ist's fast anders. Und wirklich: seit vier Tagen kam kein Wasser auf meine Hände als Regenwasser — wie fern sind die Tage, wo ich. Eau de Cologne kannte, — seit vierzehn Tagen kein Kamm als der fünfzähnige in mein Haupthaar, seit sechs bis acht Tagen kein Bett gesehen und wie oft auch kein Zelt; wie Heu oder Stroh aussieht, wissen wir nur noch vom Hörensagen, und der Dreck; kniehoch kann man waten in dieser verdammten Etappenlinie, die unser Bataillon jetzt scharf mitbewacht. Ich war leider noch bei keiner ernstlichen Affäre, da ich seit dem Einmarsch in Serbien verdammt war, als Kommandant der Trainbedeckung zu walten, verantwortungs- und mühevoll, aber ohne Aussicht auf Maria-Theresia-Orden. Gewehr- und Schrapnellkugeln habe ich schon genug neben und über mir singen hören, aber das hat mich von allem Anfang an kalt gelassen. Hoffe noch immer, mich in der männermordenden Feldschlacht mit Ruhm bedecken zu können (Rum — apropos — wäre auch nicht schlecht!). Habe auf unseren Wanderungen — waren zuerst Korpsreserve — viel an Land und Leuten gesehen, mich gut gehalten, trotz zahlreichen Anfällen: man weiß nicht, was ärger ist, die wahnsinnige Hitze oder der verfluchte Dauerregen, beides scheinbar gleich landesüblich. Also, mein Junge, sei getrost, Dein Kasernenleben wäre für uns ideal. Dir und Hans Kohn und einigen Bundesbrüdern wird das Soldatenleben zum Heile werden: eine neue Barkochbanerrasse sehe ich heraufflammen! Prächtig, daß 45 Bundesbrüder eingerückt sind! Die zwei Ingenieure hoffe ich persönlich befreien zu können. Was macht Hugo Bergmann, Dr. Koref, mein Vetter Kraus, Benisch e tutti quanti? Daß ich nicht gegen Rußland kämpfen kann!

Organisiert Auskunftsstelle für Bundesbrüder; sich in Verbindung setzen mit den betreffenden Stellen im Kriegsministerium; rege an eine Kriegserinnerungsstiftung für Studium in Erez Israel; zeichne 100 Kronen! Bitte lege für mich aus 7 Kronen für einen Ölbaum auf den Namen Wolffsohn sel. Eine rechte Tragik an diesem Mann: kämpfend erst im Schatten eines Titanen, dann sterbend im Schatten eines Weltkrieges, und war doch ein treuer Diener am Licht.

26. 9. 9 Uhr abends. Es regnet unentwegt weiter. Meine letzte Wäsche fault schon, wie ich bald, wenn es so weitergeht. Gestern abend kam Deine Karte vom 16. und beiliegend Zahlungsauftrag auf eine Krone. Die Herren Bürokraten reiten halt den Amtsschimmel gar vortrefflich! Bitte lege die eine Krone auch aus, ebenso sieben Kronen, ein Ölbaum: Leutnant d. Res. Alfred Kraus grüßt alle seine Bundesbrüder herzlich vom Felde a. N. Barkochba, derselbe grüßt innigst seine Mutter, Franziska Lutzer, Hamburg (auf deren Namen), alle drei im Barkochbahain; bitte dringend um einige Nummern der „Welt“, „Selbstwehr“ und um Nachricht über unseren Makkabi-Mädchenklub. Hoffentlich betätigen sie sich im rechten Geiste, d. h. zeitgemäß, das kann uns nützen für die Neugestaltung. Ist das Vereinsleben allgemein aufrechterhalten? In Sarajewo war der jüdische Nationalverein — herrliches Heim! — In Foca habe ich mit Robert Weißkopf (von der Hatikwah, Budweis) fest Büchsen gefüttert; lauter Zionisten dort!

Könnte man nicht eine Bezalel-Ausstellung zugunsten der Kriegsfürsorge machen? (via Konstantinopel, Rumänien). Was macht unsere Leitung? Verflucht schwer hat sie's jetzt. Schaut, daß Ihr fertig werdet mit der Rekrutenausbildung, 1813 war man früher fertig! Die zionistischen Mädchen sollen Krankenpflege lernen! (ich sage es immer!) Die Zionisten Österreichs mit den Logen zusammen ein Reservespital errichten! Ist's wahr, was man von der Verbrüderung in Prag hört, ach wäre es doch wahr und spontan, ewig leuchtend müsste es sein! (Drei Schularbeiten schlüge ich heraus) . . . Gestern nachts nur eine Kopfdusche bekommen in meiner Laubhütte, dafür zum ersten Mal beim Alarm. Zündhölzchen, Zigaretten und ein Schluck Rum sind gekommen. Wir leben also besser als der Herrgott in Frankreich, der jetzt ziemlich kümmerlich leben muss. Hoffentlich kloppen wir bald alle unsere Feinde, hübsch einen nach dem andern. Der Geist, Ihr Herren Tripleententeriche, der soll Euch um die Ohren schlagen.

Grüße alle Verwandten und Bekannten — klingt fast wie eine Farce — herzlichst alle Bundesbrüder, Turnbrüder und Turnschwestern, besonders aber Deine verehrte liebe Mutter, Deinen wackeren Vater, Liesel und Trude, die wohl brav Scharpie zupfen, noch extra. Stehe und gehe Habt Acht und im Defiliertempo durchs Leben, mein lieber Junge und Kriegskamerad! Auf frohes Wiedersehen, hier oder dort.